Inneneinrichtung:Tapeten-Comeback: Der pure Wandsinn

Inneneinrichtung: Tapeten kommen zurück.

Tapeten kommen zurück.

(Foto: V.L.N.R. Birgit Morgenstern, Badgers Of Bohemia, Zuber)

Hochwertige und kunstvolle Wandbekleidungen erobern die Wohnräume zurück - weit weg von tantenhaft kleingemusterter Spießigkeit.

Von Anne Goebel

Wer bei der Pariser Design-Messe "Maison et Objet" im Januar durch Halle sieben und acht spazierte, konnte in sehr unterschiedliche Welten verreisen. Da war die öde Gesteinslandschaft, milchweiß vor übergroßem Mond. Oder ein Dickicht aus blauem Geäst, bevölkert von Paradiesvögeln - und die dekorativ verwitterte Kachelwand, die Mauer mit Goldverputz, was mochte sich dahinter verbergen? Natürlich war alles ein Fake, an den Wänden hingen Tapeten. Aber allein deren Auswahl auf der feinsten aller Einrichtungsmessen macht deutlich: Die in Interior-Kreisen längst geläufige Rückkehr der Tapete ist draußen in der Breite angekommen. Vorbei mit dem Purismus-Diktat, man verkleidet Räume wieder. Und mit dem Revival geht es auch gleich zurück zu einer Art Urfunktion der Tapete: Geschichten zu erzählen.

War die Tapete jemals weg?

"Mit Tapeten kann man ja sehr nett etwas simulieren, das gar nicht da ist", sagt die Hamburger Inneneinrichterin Conni Kotte. Das Büro der langjährigen Filmausstatterin gestaltet Privathäuser und öffentliche Gebäude, zuletzt hat Cotte dem 25-Hours-Hotel in der Hafencity Hamburg den letzten Schliff gegeben. Prunkstück in einem der Konferenzräume soll eine Tapete an der Decke werden, "die geballte Kraft der Ornamentik, sobald man den Kopf hebt".

Dass auch Normalverbraucher die Freiflächen zu Hause als kreative Spielwiesen zum Bekleben (wieder)entdecken, merkt Kotte an den verstärkten Nachfragen der Kunden. Und auch wenn für sie persönlich die Tapete nie weg war, "ich liebe luxuriöse Wandbespannungen, die Tapete ist der kleine Bruder": Der Markt sei tatsächlich in Bewegung. Man sehe das sogar am Angebot im Baumarkt. "Dort gibt es inzwischen richtig gute Tapeten." Dass all die erschwinglichen Easy-Living-Ausstatter für urbanes Design wie Westwing oder Ferm Living längst auf den Trend reagiert und rollenweise "wallpaper" im Programm haben, versteht sich von selbst.

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(Foto: V.L.N.R. Birgit Morgenstern, Badgers Of Bohemia, Zuber)

Was das Simulieren ganzer Parallel-universen mittels Tapetenkleister betrifft, Kunstkenner nennen den Wand-Effekt dann mit geschürzten Lippen trompe l'œil - für derlei perfekte Täuschungen muss man aber schon zur hochwertigeren Ware greifen. Frappierend echt aussehende Papageien, Arrangements exotischer Früchte, galante Szenen im Garten eines französischen Châteaus: Historisch gesehen waren solche detailgenauen Bilderwelten von Anfang an charakteristisch für die gedruckte Tapete, die in bürgerliche Wohnstuben Einzug hielt als billigere Variante einer dem Adel vorbehaltenen Raumverkleidung aus Textil. Vielleicht liegt es gerade an diesem Drang zum Exotischen, der die große Welt in die eigene kleine holen möchte, dass der Tapete so lange etwas miefig Provinzielles anhaftete, auch als sie gar keine Rokokodamen oder wilden Tiere mehr abbildete.

Der Gipfel der Wandpapier-Kunst

Die Exemplare des 19. Jahrhunderts gelten heute jedenfalls als Gipfel der Wandpapier-Kunst. Ihre Tradition halten ehrwürdige Firmen hoch wie Cole&Son in London, die jedes Wohnzimmer mit einem Handstreich in eine Menagerie verwandeln. Oder die großartige Manufaktur Zuber aus dem Elsass mit ihren gemäldeartigen Motiven. Und solche Opulenz soll nun die kühlen Herzen von Designfans höher schlagen lassen, denen ihr Industrie-loft nicht minimalistisch genug sein konnte, nur etwas Backstein, nackter Beton, Obstbaumholz?

Tapeten online

Gute Adressen für Tapeten im Netz: meinewand.de Klassische englische Marken wie Little Greene, Colefax and Fowler, Cole&Son; fabricsandpapers.com Neuauflagen von Liberty-Designer William Morris; wallpaperfromthe70s.com Große Auswahl an Op-Art; tapetenunduhren.de Schöne Kindertapeten; johnny-tapete.de Vintage-Tapeten aus den Fünfziger- bis Siebzigerjahren; blackedition.com Damasttapeten mit modernem Twist; decoris.ch Edles von Pierre Frey, Hermès oder Zuber. Zeitgenössisches Design aus London: eleykishimoto.com, timorousbeasties.com Deutsche Tapetendesigner: birgitmorgenstern.de, sabineroehse.com und über tapetenagentur.de

Aber ja, die neue Ornamentik scheint sie alle in Bann zu ziehen, und nichts könnte dafür sinnfälliger stehen als die auferstandene Tapete, deren einziger Zweck das Verschönern ist. Hersteller wie Little Greene legen gerade jede Saison mehr Dekor nach, die neue Frühjahrskollektion: Pfirsichblüten und Gefieder. Junge Labels, Eley Kishimoto zum Beispiel oder Timorous Beasties, zitieren die alten Musterbücher eher ironisch oder setzen auf psychedelische Op-Art-Anklänge. Und selbst die aktuelle Ausstellung im Pariser "Musée des Arts décoratifs" widmet sich der Tapete, dem "papier peint".

Weg von tantenhaft kleingemusterter Spießigkeit

Designer wie Birgit Morgenstern profitieren von dem Boom. Die Textilgestalterin aus Lüneburg fertigt Unikate im Handdruck, deren zarte grafische Struktur nichts Überladenes hat und auch weit weg ist von tantenhaft kleingemusterter Spießigkeit, ein Leitmotiv in dem feministischen Roman "The Yellow Wallpaper". Untypische Tapeten also, und Birgit Morgenstern druckt sie auch auf ungewöhnlich feines Papier. "Der Putz ist durch die Tapete erkennbar, sie wirkt leicht, fast schwebend", sagt die Designerin.

Natürlich passt das schnelle neue Raumgefühl durch einen simplen Tapetenwechsel gut in unsere Zeit, und zum anhaltenden Do-it-yourself-Trend obendrein. Aber das zunehmende Interesse der Kunden interpretiert Birgit Morgenstern auch als den Wunsch, sich in fordernden, bedrückenden Zeiten zurückzuziehen in ein wohnlich zurechtgemachtes Zuhause. "Sogar Stoffvorhänge, jahrelang verpönt, sind wieder im Kommen", erzählt sie. Die Menschen wollten private Räume wieder eher füllen, puristische Leere werde von vielen als zu abweisend empfunden.

Conni Kotte, die Interior-Designerin, hält das sogar für eine Art Überlebensstrategie: Am besten kämen diejenigen durch schwierige Phasen, "die gut für sich sorgen". Und sei es mit einer tröstlich schmückenden Tapete.

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