Amerikanische Nachkriegskunst:Die Vulkane der Westküste

Amerikanische Nachkriegskunst: Die meisten Werke hat Cameron verbrannt. Was blieb, wie "Fairy Queen" (1962), ist heute gefragt.

Die meisten Werke hat Cameron verbrannt. Was blieb, wie "Fairy Queen" (1962), ist heute gefragt.

(Foto: Courtesy Cameron Parsons Foundation/ Nicole Klagsbrun)

Kaum jemand kennt Cameron, Jay DeFeo und die anderen Künstlerinnen der Beat-Generation. Jetzt werden sie endlich neu entdeckt.

Von Alexandra González

Kenneth Anger, Großmeister des amerikanischen Underground-Films, ist 89 Jahre alt. Doch das hielt ihn nicht davon ab, auf der Messe Art Los Angeles Contemporary Ende Januar sein Galerie-Projekt Lucifer Brothers Workshop vorzustellen. Neben 300-Dollar-Bomberjacken mit Lucifer-Logo offerierte er ein Paar Aquarelle seiner 1995 verstorbenen Muse Cameron. Und wer diese rothaarige Okkultistin je in Angers rauschhaftem Kurzfilm "Inauguration of the Pleasure Dome" von 1954 gesehen hat, wird ihren somnambulen Auftritt als Scarlet Woman niemals vergessen.

Als Künstlerin hingegen blieb Cameron nur wenigen in Erinnerung. Wie auch, hatte sie doch zahlreiche Werke, fein ausgeführte Zeichnungen verstörender Visionen, verbrannt und Ausstellungen stets verweigert. Nun endlich wird ihr die Anerkennung zuteil, der sie zeitlebens misstraute. So feierte Stargalerist Jeffrey Deitch seine Rückkehr nach New York kürzlich mit der Schau "Cameron: Cinderella of the Wastelands". Repräsentiert wird dieses Postergirl der Beat Generation von Nicole Klagsbrun. Die Händlerin bietet die Arbeiten zu Preisen zwischen 10 000 und 200 000 Dollar an.

Cameron ist nicht die einzige lange übersehene Künstlerin mit Wurzeln in der Beat Generation, die gerade in Soloschauen und wichtigen Gruppenausstellungen vom breiten Publikum entdeckt wird. Auch Jay DeFeo, Deborah Remington, Sonia Gechtoff, Joan Brown und andere verkörpern einen Hype, den der nach erstklassigen Ressourcen hungernde Kunstmarkt dankbar aufgegriffen hat: noch unterbewertete Nachkriegskunst, zumal von Frauen, gepaart mit der nicht nachlassenden Faszination kalifornischer Gegenkultur. Über den New Yorker Tellerrand zu blicken hat sich schon immer gelohnt.

Sie verachteten den Konformismus und richteten den Blick auf ihr Innenleben

Niemand verstand dies besser als Allen Ginsberg und Jack Kerouac. Mitte der Fünfzigerjahre waren die Wortführer der Beat-Bewegung in San Francisco aufgetaucht. Die Stadt beherbergte eine Boheme, deren subversive Fantasie und vom Wunsch nach Selbstverwirklichung beseelter Lebensstil eine Blaupause lieferte für den Gegenkultur-Tsunami der nächsten Dekaden. Fernab des New Yorker Kunst-Establishments entstand ein von Dichtung, Bebop und Spiritualität beeinflusstes Schaffen, gedacht für eine Handvoll Freunde.

Die Beats verachteten den Konformismus des American Way of Life und richteten ihr produktives Leuchtfeuer auf das eigene Innenleben. Künstlerinnen spielten eine aktive Rolle in der Szene. Anders als ihre New Yorker Kolleginnen des Abstrakten Expressionismus fühlten sie sich von ihren männlichen Sparringspartnern akzeptiert. Aus Mangel an Ausstellungsmöglichkeiten gründeten sechs Beats, darunter Deborah Remington, an Halloween 1954 in einer ehemaligen Garage die Six Gallery. Hier las Ginsberg erstmals aus seinem Wut-Gedicht "Howl". In den drei Jahren seines Bestehens zeigte das Kollektiv unter anderem Arbeiten von Jay DeFeo, Joan Brown und Sonia Gechtoff.

Als Malerinnen stifteten sie nicht nur wichtige Beiträge zur Gegenkultur ihrer Zeit, sondern zu einem größeren Kunstkanon. Mit einiger Verspätung haben das auch die Institutionen erkannt. 2013 widmete das Whitney-Museum DeFeo eine Retrospektive. Sie und ihre Gefährtinnen Gechtoff und Remington werden in der überfälligen Schau "Women of Abstract Expressionism" des Denver Art Museum ab Juni vertreten sein. Und bis 23. April sind die eigenwilligen Gemälde und Zeichnungen von Deborah Remingtons in der Berliner Galerie Kimmerich zu ergründen.

Mit ihren in metallischen Farben kalt glühenden, scheinbar von hinten beleuchteten Leinwänden und einem seltsamen Formenrepertoire zwischen Motorblock und Spiegelkabinett war sie ihrer Zeit weit voraus. Und wenn das Centre Pompidou im Sommer seine "Beat Generation"-Retrospektive unter anderem mit Arbeiten DeFeos, Fotografien und Videos von Joanne Kyger und einem Schlüsselwerk der avantgardistischen Filmkünstlerin Jane Conger Belson eröffnet, spätestens dann wird deutlich: Dieser Club hat den wilden Dichtern nie alleine gehört.

"Manchmal findet die Geschichte einen Weg, sich selbst umzuschreiben", sagt Rani Singh vom Getty Research Institute. Sie hat die erste umfassende Beat-Schau in Europa mitkuratiert. "Glücklicherweise beurteilen wir die Nachkriegsmoderne gerade neu. Und finden eine Menge Überraschungen." Ähnliches beobachtet Björn Alfers von der Galerie Presenhuber, die DeFeos Arbeiten 2013 nach Europa gebracht hat: "Selbst ganz junge Galerien, die ihre eigenen zeitgenössischen Künstler aufbauen wollen, unterfüttern ihr Programm gerne mit diesen Nachkriegs-Positionen. Künstler wie Jay DeFeo besitzen eine gewisse Coolness. In Europa jemanden aufzugreifen, dessen Schaffen noch dazu eine so mysteriöse Aura verströmt, leuchtet doch ein."

Längst hat der Auktionsmarkt reagiert. So bestückt Bonhams seine "Made in California"-Sales in Los Angeles regelmäßig mit entsprechenden Werken. Ein Gemälde von Joan Brown - deren " Subjektiver Realismus" mit Frida Kahlos naiver Selbstbespiegelung korrespondiert -brachte dort den Rekordpreis von 139 250 Dollar. In der nächsten Auktion am 4. und 5. Mai führen DeFeos "The Arrival" (Taxe 12 000-18 000 Dollar) und Browns "Berchard's Brandy" (40 000-60 000) die Beat-Offerte an.

Inzwischen sind Individualität und Empfindsamkeit der Beats, ihre entfesselte Kreativität, die Hipster-Bärte und schwarzen Strumpfhosen zu einem unverwüstlichen Freiheitsversprechen avanciert. Doch das künstlerische Überleben in der bleiernen McCarthy-Ära war hart erkämpft. Die Dissidenten der kalifornischen Gegenkultur rissen Grenzen zwischen dem Leben und der Kunst ein, zelebrierten das Alltägliche und das Flüchtige, experimentierten mit Genres und billigen, leicht verfügbaren Materialien. Selbst eine so konventionelle Gattung wie die Malerei schien ihre Rohstoffe in den Hinterhöfen der verabscheuten Wohlstandsgesellschaft zu finden.

DeFeos Frühwerk beschrieb der amerikanische Kunstkritiker Thomas Albright als "gewaltige Kreationen aus Wandfarbe, Steinen, Schnüren und Gott weiß was, vermengt zu einer Art vulkanischer Schlacke, die die Texturen des Abstrakten Expressionismus zu irren Gemälde-Skulptur-Hybriden aufblähte". Ruth Asawas hängende Kokon-Skulpturen aus eng gehäkelten Drahtmaschen - sie erzielen auf internationalen Auktionen bisweilen mehr als eine Million Dollar - wurden von der San Francisco Arts Commission abgelehnt, weil diese Organisation nur Plastiken aus klassischen Materialien wie Stein oder Holz förderte.

Als eine Galerie eine Zeichnung von ihr zeigte, wurde sie von der Polizei geschlossen

Es entstanden Assemblagen, Collagen, Mail Art, kompiliert in Journalen wie Wallace Bermans handgedruckter Lose-Blatt-Sammlung "Semina". 1955 war Cameron das Covergirl der ersten Ausgabe und stellte ihre "Peyote Vision" zur Verfügung. Als diese frivole Zeichnung - ein Dämon mit einem Kopf, so zerfurcht wie das meskalinhaltige Kakteengewächs, penetriert eine Frau auf allen Vieren - zwei Jahre später bei Ferus in L.A. gezeigt wurde, ließ die Polizei die Galerie schließen und verhaftete Berman. Jetzt wurden die Pforten der Wahrnehmung für Camerons psychotrope Kunst in der Stadt der Engel wieder weit aufgestoßen.

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