Ski:Auf Schuhspitzen

Telemark Weltcup Oberjoch; Tobias Müller Telemark

"Nur als olympische Sportart können wir die Aufmerksamkeit bekommen, die wir alle verdient haben": Tobias Müller, 22, zweimal Gesamt-Weltcupsieger.

(Foto: oh)

Tobias Müller ist der erfolgreichste Athlet des Deutschen Ski-Verbandes - als Telemark-Fahrer.

Von Matthias Schmid

Es war das bisher wichtigste Rennen seiner Karriere, obwohl es nicht um den Sieg ging, nicht um Preisgeld, nicht um Punkte für den Gesamt-Weltcup. Beim Wettkampf vor einigen Wochen im norwegischen Lillehammer ging um viel mehr: um die Zukunft seiner Sportart. Der Allgäuer Tobias Müller ist keiner, der viel Aufhebens um sich und seine Erfolge macht. Dabei ist der Fischener der erfolgreichste Sportler des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) der vergangenen Jahre. Erfolgreicher als seine prominenten Kollegen Felix Neureuther oder Viktoria Rebensburg. Müller, 22, ist sechsfacher Weltmeister, er hat bisher 33 Weltcuprennen - zuletzt am Mittwoch im slowenischen Golte - gewonnen, dazu zweimal in Serie den Gesamtweltcup. Sein Problem: Er fährt in einer Disziplin, die sich am Rand der Randsportarten bewegt. Müller ist Telemark-Fahrer. Er saust im Ausfallschritt den Berg hinab. In den Kurven schiebt er den Talski nach vorne und den Bergski nach hinten, nur die Schuhspitzen kleben fest auf den schmalen Brettern, die Fersen schweben. Wer Telemark mal im Fernsehen oder an der Piste gesehen hat, "bekommt erst mit, dass unsere Sportart ziemlich spektakulär ist", sagt Müller. "Das Feedback ist immer positiv."

Überwältigend seien auch die Reaktionen in Lillehammer ausgefallen, erzählt er. Während der Olympischen Jugendspiele durften er und andere Telemark-Sportler der Weltspitze in einem Demonstrationswettbewerb für ihre Disziplin werben. Müller hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dass Telemark eines Tages in die Familie der Olympischen Winterspiele aufgenommen wird. Doch noch fremdelt das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit den Exoten, die gleich mehrere Sportarten miteinander vereinen. Für die Spiele im koreanischen Pyeongchang in zwei Jahren hat das IOC generell keine neuen Sportarten zugelassen. "Aber ich glaube, dass wir die anwesenden IOC-Mitglieder in Lillehammer überzeugen konnten und unserem Ziel einen Schritt näher gekommen sind", sagt Müller. Er hofft, dass er im Jahr 2022 Olympia nicht mehr am Fernseher erleben darf, sondern als einer der Protagonisten. "Denn nur als olympische Sportart könnten wir die Aufmerksamkeit bekommen, die wir alle verdient haben."

Sein großes Ziel: Dass sein Sport ein olympischer wird

Wie schnell eine junge Sportart an Popularität gewinnen und plötzlich auf dem Radar eines größeren Publikums erscheinen kann, haben die Skicrosser erfahren. Seit dem viel beachteten Auftritt bei den Spielen in Vancouver vor sechs Jahren gehören sie zu den Lieblingssportarten der Fernsehanstalten, weil sie hochwertigen Sport, Spannung, Spektakel und die so wichtige Planbarkeit miteinander verbinden.

Auch Telemark ist durchaus telegen, weil die Teilnehmer in einem Rennen auf einer für die Zuschauer gut einsehbaren Strecke vier verschiedene Elemente bis zum Ziel bewältigen müssen. Zunächst umkurven sie wie in einem Riesenslalom die Torstangen, auf dem Weg zum Ziel springen sie wie Abfahrer bis zu 40 Meter weit, sie dringen wie Skicrosser in eine 360-Grad-Steilwandkurve ein, um die letzten Meter wie Langläufer in der Skatingtechnik zurückzulegen. Am Sonntag erst zeigte das ZDF einen 20-minütigen Beitrag vom Weltcup in Bad Hindelang/Oberjoch. Hinterher bekam Müller für seinen Sieg im Sprint und seinem zweiten Platz im Parallel-Sprint nicht nur viel Beifall und Glückwünsche, sondern auch eine E-Mail vom ZDF mit den Einschaltquoten. "Wir hatten zwei Millionen Zuschauer und hatten damit mehr als die Skicrosser und die Nordischen Kombinierer", sagt Müller. In seiner Stimme schwingt viel Stolz mit - und die Zuversicht, dass er sich doch noch seinen Traum erfüllen kann: "eine Olympia-Medaille zu gewinnen."

Als einer der wenigen Fahrer kann Müller vom Sport leben

Weil er schon als Bub davon träumte, begann er im Allgäu mit Alpinskiern und auf Langlaufskiern Rennen zu bestreiten. Das machte er so gut, dass er sich für eine der beiden Disziplinen entscheiden musste, als es darum ging, im Landesverband intensiver gefördert zu werden. Er entschied sich für Langlauf. Doch mit 16 Jahren endete seine Karriere, ehe sie so richtig begonnen hatte. Er erkrankte am Pfeifferschen Drüsenfieber. Über Umwege kam Müller zum Telemark. Es scheint fast so, als sei diese Sportart mit den geschmeidigen und kraftvollen Passagen für ihn erfunden worden. Er gewinnt fast alles, sogar sechs WM-Titel in Serie, seit er sich professionell dem Sport widmen kann. Als einer der wenigen Telemark-Fahrer kann er auch davon leben, weil er Sponsoren gefunden hat, die mit ihm werben wollen. Er hat alles erreicht, seine Karriere sieht er aber noch nicht als vollendet an. "Mir macht es unheimlich Spaß, hart zu arbeiten und ganz oben stehen zu dürfen." Irgendwann auch bei Olympia. Im Sommer 2017 entscheidet das IOC darüber, ob Telemark und Tobias Müller im Jahre 2022 in Peking dabei sein werden.

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