Pop-Kolumne:Debütalbum von Aurora: Schluss mit den Elfenmädchen

Lesezeit: 2 min

Gefangen in der Fabelwesen-Metaphorik: die 19-jährige Sängerin Aurora aus dem norwegischen Bergen. (Foto: Vertigo; Bearbeitung Jessy Asmus/SZ.de)

Bekannt wurde die 19-Jährige, weil ihr Song den Werbespot eines Mobilfunkanbieters untermalte. Nun ist ihre erste Platte erschienen. Ist das alles Mainstreamgedudel?

Off the Record: die Pop-Kolumne von Julian Dörr

"We learned more from a three minute record than we ever learned in school", sang Bruce Springsteen 1984. Und das stimmt auch heute noch. Pop kann uns die Welt erklären - in unserer neuen wöchentlichen Musik-Kolumne.

Der Weg von einem norwegischen Fjord in den Werbejingle eines Mobilfunkanbieters kann verdammt kurz sein. Eben noch füllte die Sängerin Aurora die Clubs in ihrer Heimatstadt Bergen, dann durfte ihr Song "Running with the Wolves" den klanglichen Hintergrund für große Mutter-Tochter-Handy-Liebe liefern. Und das ist nicht der einzige Coup der 19-Jährigen. Vor einigen Monaten coverte sie für den Weihnachts-TV-Spot des Londoner Luxus-Kaufhauses John Lewis die famose Oasis-B-Seite "Half the World Away" - aus den besten Tagen der Band, als deren Ausschussware besser war als die Singles vieler anderer. Mit einem kitschigen Einsamer-Mann-im-Mond-Video wurde Aurora mitten hinein geworfen in den Pop-Zirkus.

Diese Geschichte vom kleinen Weihnachtswunder lockt den Hörer auf eine falsche Fährte. Ebenso wie Auroras nordlichternder Name und die ganze Fabelwesen-Metaphorik, die von Musikpresse und -industrie nun bemüht wird, um die junge Frau aus dem hohen Norden zu beschreiben.

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Auroras Debüt "All My Demons Greeting Me as a Friend" (Vertigo) ist kein mythischer Feenzauber, sondern sehr realer und sehr kommerzieller Groß-Pop. Für alle Lebenslagen vom Starbucks-Karamel-Frappuccino in der hektischen Mittagspause bis zur Early-Life-Crisis im einsamen Vorstadtjugendzimmer. Das klingt abwertend, ist aber gar nicht so gemeint. Denn Auroras musikalische Von-allem-zuviel-Attitüde macht wirklich Spaß. Allerdings ist ihre Inszenierung symptomatisch für die zielgruppenorientierte Verkaufe im Pop.

Hinter Kitsch, Bombast und Zuckerguss wartet die Selbstermächtigung

Was tun mit einer neuen Frau im Pop? Schublade suchen, Schublade finden, reinpacken. Sexy-selbstbestimmt oder durchgeknalltes Kunstwerk? Die größtmögliche Vermarktung braucht die kleinstmögliche Erklärung. Und dieser Weg geht über Klischees, die sich dann auch in den Köpfen der Zuhörer festsetzen. Am gefährlichsten ist die nur auf den ersten Blick progressive Erzählung von der komplizierten Frau. Das zeigen Aurora und das Dilemma des manic pixie dream girls.

Dieser Typ Frau beschreibt meist keine selbstbestimmten Heldinnen, sondern nur Objekt der Begierde eines männlichen Helden - erdacht von schluffigen Filmregisseuren und Autoren auf der Suche nach der Beste-Freundin-Traumfrau. Verträumt, intelligent, irgendwie anders. Das manic pixie dream girl ist die Außenseiterin, ein weiblicher Nerd - und Identifikationsfigur für all diejenigen, die eben nicht zur coolsten Clique der Schule gehörten.

Für die sonderbaren Mädchen des Pop - Künstlerinnen wie Kate Bush, Joanna Newsom und ihre Wiedergängerin Aurora - finden sich in diesem Schema schnell passende Attribute: die mysteriöse Elfe, die zarte Fee, die verhuschte Nymphe. Ihre komplexen Werke werden vor dem Hintergrund dieser Klischees aber auf eine magische sexuelle Anziehungskraft reduziert. Auf "All My Demons Greeting Me as a Friend" hingegen können wir einer 19-jährigen Norwegerin bei der Selbstermächtigung zuhören.

Dazu muss man sich natürlich erst einmal durch viel Kitsch, Bombast und Produktionszuckerguss kämpfen. Aber wer kann schon in vollem Ernst eine Zeile wie "Warrior of Love" schmettern, ohne sich lächerlich zu machen? Eben, Aurora. Und von diesen clever verdrehten Momenten gibt es einige auf dieser überbordenden Platte: Der "Murder Song" findet innerhalb von zwei Minuten von der Piano-Ballade zum Großraumdisco-Geballer und wieder zurück. Und ist doch eine klassische Mann-als-Retter-Fantasie. "Conqueror" hingegen ist eine zu Brachial-Getrommel tanzende Absage an den männlichen Helden und weißen Ritter: "I've been looking for a conqueror but you don't seem to come my way." Zwischen den Songs wird nicht nur an der immer vollmundigen Instrumentierung geschraubt, sondern auch an den Geschlechterrollen.

Es gibt auf dieser hochglänzenden Platte viele gegenläufige Strömungen und Ideen. Man muss Aurora nur zuhören und die vorgefertigten Klischees für einen Moment vergessen. Und sich dann daran freuen, was diese junge Frau dem Kaufhaus- und Mobilfunkwerbungs-Pop da untergeschoben hat.

Aurora: "All My Demons Greeting Me as a Friend" (Vertigo)

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