Islamischer Staat:Geheime Liste deutscher IS-Kämpfer aufgetaucht

Von einer Liste mit den Namen von IS-Kämpfern konnten die Ermittlungsbehörden bislang nur träumen. Dank der Bürokratie und Korruption im Islamischen Staat geht der Traum nun in Erfüllung.

Von Georg Heil, Volkmar Kabisch und Georg Mascolo

Dass der sogenannte Islamische Staat einen Hang zur Bürokratie hat, weiß man inzwischen; zu Papier gebracht wird im Kalifat jedes verhängte Strafmandat, die Einteilung der Islamisten zur morgendlichen Pflege der Blumenrabatten in der IS-Hauptstadt Raqqa oder unter welchen Umständen Ungläubigen die Organe entnommen werden dürfen.

Aber dann meldet sich ein Informant und berichtet, dass es noch ganz andere Dokumente gäbe - eine Datei mit den Namen von Zehntausenden Kämpfern, die sich dem IS angeschlossen hätten, eine Akte pro Freiwilligem. Jeder ausländische Kämpfer werde beim Grenzübertritt aus der Türkei in das Kalifats-Gebiet von einer ominösen "General-Grenz-Verwaltung" ausführlich befragt. Und ausgerechnet diese Unterlagen, eine Art Mitgliederverzeichnis der derzeit gefährlichsten Terror-Truppe der Welt, sei dem IS nun abhanden gekommen. Vielleicht, so sagt der Informant, lasse sich da etwas machen, ob man denn interessiert sei, vor allem an den Namen der Deutschen?

So beginnt für NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung eine wochenlange Recherche, die in das türkisch-syrische Grenzgebiet und in den Nordirak führen wird. Man wird bei dieser Recherche viel lernen über den Zustand des IS, bei dem die Korruption inzwischen offenbar ein großes Problem geworden ist - so groß, dass man Videos und Dokumente aus dem Kalifat heute überall in der Region finden kann: Manches ist von kurdischen Milizen erbeutet, anderes erkennbar von IS-Anhängern selbst gestohlen worden. Manche hoffen damit, viel Geld verdienen zu können, echte Mondpreise werden verlangt. Die Liste der Kämpfer bringt am Ende ein lokaler Mitarbeiter der drei Medien bei - man muss, außer einer Aufwandsentschädigung für den Mitarbeiter, nichts für sie bezahlen.

Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit "echte Dokumente"

Und dann blättert man in Dutzenden vom IS als "Geheim" eingestuften Papieren, ein Bogen mit 23 Fragen, die jeder der deutschen Jihad-Reisenden ausfüllen musste: Seinen Namen, seinen Kampfnamen, Geburtsdatum und natürlich, unverzichtbar, die Frage, ob man schon einschlägige Jihad-Erfahrungen gemacht habe und wenn ja, wo.

So bemerkenswert ist dieses Material, dass man sich zunächst die Frage stellen muss, ob es denn wirklich echt ist. Alle Namen, Telefonnummern, Anschriften stimmen, auch wenn die Orthographie zu wünschen übrig lässt, aus Düsseldorf wird beim IS schon mal "Dusenduf", aus Leverkusen "Leferkusi". Man wird bei der Recherche feststellen, dass nicht nur Journalisten, sondern auch Geheimdienste und das BKA von der Geschichte gehört haben. Das BKA wird bestätigen, dass ihnen auch solche Bögen der deutschen Islamisten vorliegen und dass es sich dabei "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um echte Dokumente" handele.

Nun wird dieser Fund noch große Bedeutung bekommen; mehr als 800 Deutsche sind nach Zählung des BKA bis heute in das Kriegsgebiet ausgereist, rund ein Drittel von ihnen ist wieder in Deutschland. Gegen sie laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren und hier werden die ersten dieser IS-Papiere bald eine entscheidende Rolle spielen. Denn viele der Rückkehrer schweigen, manchmal kann ihnen nicht nachgewiesen werden, dass sie sich dem IS angeschlossen haben. So blieben sie unbehelligt. Das dürfte sich nun schnell ändern. Für manchen werden die Papiere den Unterschied machen zwischen Freiheit und Gefängnis.

Der IS, eine Terrortruppe mit einem Hang zur Bürokratie, hat die entscheidenden Beweise gegen seine eigenen Kämpfer selbst geliefert.

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