Ökologie:Glyphosat ist nur ein Symptom - und nicht das Problem

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Ein Imker demonstriert gegen Pestizide. Sie sind zum Symbol der globalisierten Landwirtschaft geworden. (Foto: dpa)

Über den Unkrautkiller, der möglicherweise Krebs erregt, reden jetzt alle. Doch was ist mit der überfälligen Wende in der Landwirtschaft?

Von Kathrin Zinkant

Niemand darf die Angst der Menschen vor Krebs missbrauchen. Weder Wissenschaftler, noch Umweltverbände, noch die Industrie. Deshalb kann und darf das Krebsrisiko nicht länger Argument sein, wenn es um die Neuzulassung des Unkrautvernichters Glyphosat geht. Das galt schon für den zuständigen Fachausschuss der EU, der am Dienstag in Brüssel seine Abstimmung verschoben hat. Und es muss definitiv gelten, wenn nun wohl im Mai über die Zukunft des Herbizids entschieden wird.

Natürlich machen sich die Menschen Sorgen, wenn sie hören: Ein möglicherweise krebserregendes Ackergift lässt sich in fast jedem Körper nachweisen. Also vermutlich auch in meinem. Doch wenn der Argwohn erst gesät ist, sprießt er mindestens so sehr wie Unkraut. Da hilft es wenig, dass die widersprüchlichen Ergebnisse der Studien eher für einen geringen schädlichen Effekt sprechen; wenn überhaupt.

Es nützt auch nichts, dass Glyphosat zwar jetzt im Fokus steht, sich im Urin aber nicht allein dessen Rückstände aufspüren lassen. Es finden sich dort, so wie im Blut und in der Muttermilch, im Fettgewebe noch Spuren vieler anderer Stoffe, auf die man lieber verzichten würde: Schwermetalle, Dioxine, Bisphenol-A, Phtalate und mehr. Doch so bitter es ist: Der westliche Wohlstand ist zu einem nicht unerheblichen Teil auf diesen Chemikalien gewachsen. Leider ist das nach den heftigen, meist unsachlichen Debatten über "Krebs oder nicht Krebs" kaum noch zu vermitteln.

Über Krebs und dieses Gift reden nun alle - über andere nicht

Und genau das ist wirklich schädlich. Denn wer sich auf die gesundheitlichen Folgen des Unkrautkillers Glyphosat konzentriert, verfehlt das echte, große Thema: die überfällige Wende in der Landwirtschaft. Sicher ist bisher nämlich nur, welche verheerenden ökologischen und ökonomischen Folgen das Herbizid in seinem heutigen Verwendungsgrad hat. Das Gift tötet die Vielfalt, entzieht Insekten und Vögeln die Lebensgrundlage. All das ist gut belegt und unstrittig. Fest steht aber auch, dass Glyphosat viele Bauern abhängig gemacht hat.

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Chemische Alternativen aus dem Herbizidschrank sind teurer und in einigen Fällen sogar noch viel schädlicher. Der physikalische Kampf von Menschen und Maschinen gegen Schädlinge und Unkräuter kostet Zeit, Geld und Erträge. Und das können sich die Betriebe nicht leisten.

Was also ist zu tun? Ein Verbot mag noch so sehr die Schutzbedürfnisse des Einzelnen vor nebulösen Risiken befriedigen. Es verschiebt aber nur die Probleme. Und ändert auch nichts an all den anderen Versäumnissen in Ackerbau und Tiermast. Dass diese Hyperproduktion irgendwann an die Grenzen des Verantwortbaren stoßen und eine Agrarwende unumgänglich machen würde, ist eigentlich seit vielen Jahren klar. Von insektentötenden Giften über die verbrachte Gülle bis hin zum nach wie vor unangemessenen Einsatz von Antibiotika in der Fleischproduktion liegt auf den Äckern und in den Ställen genug im Argen, als dass alle Welt bloß aufs Glyphosat zu schielen bräuchte.

Nicht nur Glyphosat, auch andere Pestizide müssen reduziert werden

Nein, es geht darum, für die konventionelle Landwirtschaft einen ökonomisch vertretbaren Weg zum umweltverträglichen, nachhaltigen Ackerbau zu finden. Nicht nur Glyphosat, auch andere Pestizide müssen reduziert, die Einsätze von Medikamenten eingedämmt, Alternativen erforscht, Landwirte unterstützt werden. Und zwar Schritt für Schritt, damit die erzeugten Nahrungsmittel erschwinglich bleiben. Eine schwere Aufgabe, keine Frage.

Die Angst vor Krebs aber hilft ganz sicher nicht, sie zu lösen - zumal echte Gifte selbst ohne Glyphosat in hinreichender Zahl übrig bleiben. Daran möge denken, wer das Auto tankt, nach Hause fährt, sich ein Wurstbrot gönnt und zum Feierabend ein schönes Glas Wein trinkt. Das alles ist nämlich wirklich krebserregend.

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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