Gerichtsentscheidung:Jobcenter dürften Hartz IV jahrelang kürzen

Hartz-IV-Klagen vor Sozialgericht

Das Gesetz erlaubt, die Regelleistung um bis zu 30 Prozent für maximal drei Jahre zu kürzen.

(Foto: dpa)
  • Bei dem Fall ging es um einen Arbeitslosen, der seit 2005 Hartz IV bezog und der 2007 der Behörde verschwiegen hatte, dass er Geld verdiente.
  • Das Amtsgericht Osnabrück verurteilte ihn rechtskräftig wegen Betrugs zur Rückzahlung von 8350 Euro Hartz-IV-Leistungen.
  • Der Mann konnte aber nicht zahlen, das Jobcenter verrechnete deshalb die Schulden aus dem Betrug mit den laufenden Hartz-IV-Leistungen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Jobcenter dürfen Hartz-IV-Leistungen jahrelang kürzen. Dies verstößt nicht gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das hat das Bundessozialgericht entschieden. Für besondere Anschaffungen könnten Hartz-IV-Empfänger auch einen Extra-Zuschuss beantragen, erklärten die Kasseler Richter in ihrem Grundsatzurteil. Damit muss sich auch an der Sanktionspraxis der Jobcenter nichts ändern.

Bei dem Fall ging es um einen älteren Arbeitslosen aus Osnabrück. Der Mann, der seit 2005 Arbeitslosengeld II (Hartz IV) bezog, hatte der Behörde 2007 verschwiegen, dass er in dieser Zeit Geld verdiente. Das Amtsgericht Osnabrück verurteilte ihn deshalb rechtskräftig wegen Betrugs. Daraufhin verlangte das Jobcenter die zu viel bezahlte Hartz-IV-Leistung zurück - insgesamt 8350 Euro. Der Mann konnte aber nicht zahlen. Das Jobcenter verrechnete deshalb die Schulden aus dem Betrug mit den laufenden Hartz-IV-Leistungen. Das Gesetz erlaubt dabei die Regelleistung um bis zu 30 Prozent für maximal drei Jahre zu kürzen. Diesen Höchstsatz behielt das Jobcenter ein, von monatlich derzeit 404 Euro für einen Alleinstehenden blieben dem Mann also nur 282,80 Euro übrig. Dagegen klagte der Hartz-IV-Empfänger durch alle Instanzen, mit dem höchstrichterlichen Urteil aus Kassel jedoch letztlich vergeblich.

Pflicht zur Kooperation

Die Richter hielten die gesetzliche Möglichkeit, den Regelsatz um 30 Prozent für bis zu drei Jahre zu kürzen, mit der Verfassung vereinbar. Das Grundrecht verpflichte den Staat, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Es enthalte aber auch die Möglichkeit, Leistungen zu verringern, schließlich liege es in der Eigenverantwortung des Hartz-IV-Beziehers solche Kürzungen zu vermeiden, so das Bundessozialgericht. Die Richter räumten dabei ein, dass der Kläger nun kein Geld mehr für größere Anschaffungen sparen könne. Bei Bedarf, etwa für eine neue Waschmaschine, könne er aber einen Zuschuss vom Jobcenter beantragen. Dies reiche als Ausgleich aus, "um verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Härten im Einzelfall zu begegnen" (Aktenzeichen: B 14 AS 20/15 R).

Die Jobcenter können auch Leistungen kürzen, wenn die mehr als vier Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher nicht kooperieren, zu Terminen häufig nicht erscheinen oder etwa zumutbare Jobangebote wiederholt ablehnen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit wurden deshalb im Oktober 2015 (aktuellere Zahlen liegen nicht vor) bei fast 135 000 Hartz-IV-Empfängern Leistungen verringert. Im Durchschnitt wurden dabei 19 Prozent oder 106 Euro monatlich gestrichen.

Bei unter 25-Jährigen dürfen die Jobcenter schon nach dem ersten gravierenden Verstoß gegen ihre Auflagen die staatliche Hilfe für drei Monate ganz kappen. Verfassungsrechtler hatten diese schärferen Vorschriften kritisiert. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gelang es wegen des Widerstands der CSU aber nicht, die Sonderregeln für unter 25-jährige Hartz-IV-Bezieher abzuschaffen.

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