Fundamentalismus:Grundsatzurteil für die arabische  Welt

Ein Salafist forderte in Algerien die öffentliche Hinrichtung des Literaten Kamel Daoud. Solche Fälle sind nichts Neues für die Region. Ein Gericht in Oran aber entschied nun: Es reicht.

Von Paul-Anton Krüger

Es ist eine späte Genugtuung für den algerische Schriftsteller und (Noch-) Journalisten Kamel Daoud - und zugleich ein Signal, das Bedeutung für die gesamte arabisch-muslimische Welt erlangen könnte: Ein Gericht in Oran, der zweitgrößten Stadt Algeriens, hat den Salafisten-Prediger Abdel Fattah Hamadache zu sechs Monaten Haft verurteilt, davon drei ohne Bewährung. Hamadache hatte den Schriftsteller im Dezember 2014 auf seiner Facebook-Seite wegen Daouds Buch "Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung" (Verlag Kiepenheuer & Witsch) und seiner Äußerungen in Interviews als Apostaten beschimpft. Daoud müsse zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet werden. In Algerien hatten in den Neunzigerjahren Islamisten ungestraft Intellektuelle ermordet, Daoud aber ließ sich nicht aus seinem Land vertreiben. Er forderte vom Staat Schutz - der ihm verwehrt wurde -, und erstattete Anzeige.

Diese hat nun, nach über einem Jahr, zu dem Urteil geführt, das der führende algerische Journalist Adlène Meddi, Chefredakteur der Wochenendausgabe von El-Watan, als "Premiere in der arabisch-muslimischen Welt" bezeichnet. Es sei das erste Mal, dass ein Fundamentalist wegen Todesdrohungen gegen einen Intellektuellen verurteilt werde. Der Spruch der Richterin ziehe eine rote Linie, die zeige, dass Gewalt, auch verbaler Natur, die Grenze jeder Debatte sei. Weithin unbehelligt hetzen salafistische Prediger in vielen arabischen und auch anderen muslimischen Ländern gegen kritische Stimmen, vielerorts sollen Schriftsteller und Journalisten mit Beschuldigungen wie der Beleidigung der Religion oder der öffentlichen Moral mundtot gemacht werden.

Die Religion zu reflektieren, Abstand zu halten, die eigene Freiheit gegenüber dem Himmel zu verteidigen sei lebensnotwendig für ihn, sagte Daoud einmal. Er ist einer der wenigen Denker, die noch wagen, sich öffentlich kritisch mit dem Islam und seiner Interpretation auseinanderzusetzen, die Vorherrschaft fundamentalistischer Narrative anzuprangern. Aus dieser Haltung schrieb er auch einen Text für Le Monde über die Kölner Silvesternacht, in dem er das "sexuelle Elend in der arabisch-muslimischen Welt" beklagt und das "kranke Verhältnis zur Frau, zum Körper und zum Begehren" in Beziehung zu den Übergriffen setzte. Als ihm daraufhin einige Akademiker vorwarfen, er heize die wachsende Islamophobie in Europa an, kündigte Daoud seinen Ausstieg aus dem Journalismus an. Er wolle sich ganz der Literatur widmen. Dabei wäre er eine wichtige Stimme in der längst überfälligen Diskussion darüber, wie es den Salafisten gelungen ist, ihre verklemmten Moralvorstellungen der Mehrheit der Muslime aufzuzwingen.

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