Kolumne:Nein

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Man stelle sich vor, ein Raub zählte nur als Verbrechen, wenn die Opfer sich dagegen gewehrt hätten. Undenkbar! Aber das Sexualstrafrecht ist so konzipiert.

Von Carolin Emcke

"Nein". Vielleicht muss einfach das Wort noch einmal erklärt werden. "Nein", das ist eine Interjektion, ein Ausrufewort, das Ablehnung artikuliert, das Widerspruch ausdrückt, das eine Frage, ein Angebot, eine Aufforderung mit Negation beantwortet. Vielleicht muss auch noch einmal betont werden, dass das "Nein" keineswegs ein neuer Begriff ist. Vielmehr gehört es zu den ältesten Wörtern des deutschen Wortschatzes. Etymologisch, so erläutert es das "Grimm'sche Wörterbuch", ziehen sich im "Nein" (althochdeutsch nein, altsächsisch nên) zwei Worte zusammen: der Negationspartikel "ni" und der unbestimmte Artikel "ein". "Nein" bedeutet demnach nicht eins zu sein, also nicht übereinzustimmen in einer Absicht, einer Meinung, einem Wunsch. "Nein" signalisiert, dass eine Person etwas nicht will oder gutheißt, was jemand anderes will. Das lässt eigentlich nicht viele Fragen offen. Welcher Teil des Wortes "Nein" sollte nicht zu verstehen sein? Viel kürzer und prägnanter lässt sich Ablehnung nicht formulieren.

Angriffe wie in Köln werden künftig auch strafbar sein

Sexualität zwischen zwei Menschen, vielleicht sollte auch das noch einmal ausbuchstabiert werden, entsteht im und durch das gemeinsame Wollen, also einvernehmlich und freiwillig, durch und mit wechselseitiger Lust. Das ist ja gerade das Schöne. Sind sich die Personen nicht eins, stimmt eine Seite nicht zu, sagt jemand "Nein", dann widersprechen die Handlungen, die trotzdem begangen oder verlangt werden, dem freien Willen einer der beteiligten Personen, also ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Für eine kurze Zeit, direkt nach den brutalen Ereignissen der Silvesternacht in Köln, konnte man glauben, hierüber bestünde gesellschaftlicher Konsens. Die massenhaften sexuellen Übergriffe wurden einhellig verdammt und die Schutzlücken im deutschen Sexualstrafrecht, nach denen bis dahin keineswegs jeder sexueller Übergriff im öffentlichen Raum auch eine Straftat darstellte, vielfach bemängelt. Immerhin, nach dem jüngsten Gesetzesentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, werden solche Übergriffe in Zukunft auch zu ahnden sein. Das ist gut.

Dennoch erstaunt es, dass dem Gesetzgeber, der den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung ausdrücklich verbessern will, ein "Nein" als immer noch nicht ausreichende Ablehnung gilt. Die erste Überraschung stellt sich beim Lesen des Referentenentwurfs dadurch ein, dass die Vorschläge zur Änderung der Paragrafen 177 und 179, die auf 19 Seiten ausführlich begründet werden, für juristische Laien nahezu komplett unverständlich bleiben. Das ist insofern beunruhigend, weil Gesetze ja nicht nur Richter und Richterinnen, sondern alle Norm-Adressaten, also alle Bürger und Bürgerinnen erreichen sollten. Wäre es nicht hilfreich, wenn sich ein Gesetzestext auch denen erschließen würde, für die er gilt, und sie wüssten, welche konkreten Handlungen strafrechtlich verboten und welche zulässig sein sollen?

Was sich gleichwohl erkennen lässt, ist die Vorstellung des Gesetzgebers, dass es nicht reicht, wiederholt "Nein" gesagt zu haben, sondern das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung soll offenbar nur gelten, wenn die betroffene Person sich wehrt. In der Ausformulierung des Paragraphen 179, in dem es um "sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände" geht, werden ausdrücklich Ausnahmen formuliert, warum jemand in einer konkreten Situation womöglich nicht in der Lage sein könnte, sich zu wehren. Weil sie oder er aufgrund ihres körperlichen und psychischen Zustands "zum Widerstand unfähig ist", aufgrund der überraschenden Begehung der Tat "zum Widerstand unfähig ist" oder im Falle "ihres Widerstands" ein empfindliches Übel befürchtet. Damit unterstellt der Gesetzgeber anscheinend Widerstand als normale, gleichsam "typische" Reaktion auf eine unerwünschte, bereits abgelehnte sexuelle Handlung. Empirisch ist das schlicht nicht der Fall. Wie der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotruf (bff) in einer Stellungnahme erläutert, ist Gegenwehr in der akuten Stresssituation einer drohenden Vergewaltigung keineswegs als typischer Normalfall anzunehmen: "Bestimmte, möglicherweise wünschenswerte Handlungsstrategien (sind) oft nicht abrufbar, weil die angegriffenen Personen zumeist nicht planvoll handeln können." Das erkennt der Gesetzgeber implizit auch an, denn sonst müssten keine Ausnahmen definiert werden. Aber warum bleibt die (psychisch wie neurologisch unwahrscheinliche) Reaktion des Widerstands dennoch der Maßstab, der über die Strafbarkeit entscheidet?

Vielleicht erschließt sich das nur Juristen, aber: Warum sollte sexuelle Selbstbestimmung nur dann als Recht anerkannt sein, wenn es wehrhaft verteidigt wird? Wie wäre das bei anderen Rechtsgütern? Wenn beispielsweise Eigentum nur dann als schützenswert gelten würde, wenn es auch wehrhaft verteidigt wird? Wenn Einbruch und Diebstahl nur dann als Straftaten geahndet würden, wenn ich mich dem Einbrecher entgegenstelle und mit aller physischen Kraft mein Eigentum verteidige? Und wenn die Ausnahmen, warum ich nicht dazu in der Lage war, gesonderter Begründungen bedürften? Es liegt eine eigenwillige Verschiebung der Begründungslast vor: Nicht das Verhalten eines Täters bestimmt, ob etwas als Straftat eingestuft wird, sondern das des Opfers, das sich ausreichend wehren muss.

Dabei hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits im Jahr 2003 in einem Grundsatzurteil die Frage des Einverständnisses zum entscheidenden Kriterium des Tatbestandes der Vergewaltigung erklärt. Fehlt dieses Einverständnis, werden erhebliche sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer Person ausgeführt, sollten sie strafbar sein. Im Übrigen wäre für alle, die sich fragen, was sie denn nun dürfen und was nicht, eine solche Orientierung an dem Einverständnis einer Person die eindeutigste, verständlichste Regelung. "Nein" bedeutet nämlich nicht nur "Nein", wenn es auch mit physischem Einsatz verteidigt wird. Ein "Nein" bedeutet nicht "Vielleicht" oder "Ja". Ein Nein ist ein Nein ist ein Nein.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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