Streit um das Stammzellgesetz:"Verantwortungsethik ist nun einmal heikel"

Der EKD-Ratsvorsitzende und Berliner Bischof Wolfgang Huber will den Stichtag für den Import embryonaler Stammzellen verschieben. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, dies sei Verrat.

Matthias Drobinski

Auch die Kirchen streiten über das Stammzellgesetz. Die katholischen Bischöfe sind gegen jede Liberalisierung; Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, ist dafür, den Stichtag für den Import embryonaler Stammzellen zu verschieben. Er wird dafür auch in seiner Kirche heftig kritisiert.

Streit um das Stammzellgesetz: Steht in der Kritik: Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland

Steht in der Kritik: Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Bischof, werden Sie als derjenige in die Geschichte eingehen, der den Lebensschutz aufweichen half?

Huber: Sicher nicht. Ich bin gegen die Aufweichung des Lebensschutzes und strikt gegen die Abschaffung des Stichtags, die viele Forscher fordern. Ich fürchte aber, dass diese Freigabe gerade dann wahrscheinlicher wird, wenn es nur heißt: Diese Forschung darf nicht sein. Man darf nicht vergessen: Der Kompromiss von 2002 hat dazu beigetragen, den strengen Maßstab des deutschen Embryonenschutzgesetzes aufrechtzuerhalten.

SZ: Die katholischen Bischöfe, aber auch viele evangelische Vertreter halten dies für gefährlich kompromissbereit.

Huber: Ich respektiere, dass viele Christen die Forschung an embryonalen Stammzellen grundsätzlich ablehnen. Auch mir wäre es lieber, wir bräuchten diese Forschung nicht. 2006 habe ich vorgeschlagen, die deutsche Stichtagsregelung auf Europa zu übertragen, was dort eine erhebliche Restriktion bedeutet hätte. In europäischen Zusammenhängen fließt deutsches Geld jetzt leider in Forschung, die an keinen Stichtag gebunden ist. Das ist paradox. Dafür hätte europaweit ein neuer Stichtag gefunden werden müssen. Bei dieser europäischen Debatte hielten viele eine einmalige Verschiebung für vertretbar, die sich jetzt nachdrücklich dagegen wehren.

SZ: Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle hat der Embryo eine Menschenwürde. Dieses menschliche Leben wird zerstört. Das ist schwer von der Hand zu weisen.

Huber: Ein Embryo hat von Anfang an menschliche Würde. Deshalb darf auch kein Embryo zu Forschungszwecken hergestellt und dann getötet werden. Es entstehen aber bei der künstlichen Befruchtung überzählige Embryonen, und die schwierige Frage heißt, ob aus diesen Embryonen, die ohnehin absterben, Stammzellen gewonnen werden dürfen, um mit ihnen Heilungsmöglichkeiten zu erforschen. Da kann es unterschiedliche Haltungen geben. Es kann nicht die eine Position als christlich, die andere als unchristlich dargestellt werden.

SZ: Damit bewegen Sie sich in der Grauzone.

Huber: Meine Position ist heikel, aber Verantwortungsethik ist nun einmal heikel. Ich setze mich für den Lebensschutz ein, akzeptiere aber eine Stichtagsverschiebung; das ist schwieriger zu begründen als die kategorische Ablehnung jeglicher Forschung an embryonalen Stammzellen. Aber starke Positionen können auch starr sein und dadurch verantwortbare Lösungen verhindern. Die evangelische Kirche hat immer gefragt, was konkret dem Menschen, dem Leben dienen kann. In dieser Tradition sehe ich mich.

SZ: Fürchten Sie, keinen Einfluss mehr auf politische Entscheidungen zu haben, wenn Sie zu unbeweglich sind?

Huber: Ich fürchte, dass eine zu starre Haltung einer viel weiter gehenden Liberalisierung Vorschub leistet. Man kennt dann die Kirchenposition, nickt - und entscheidet anders. Das ist die Schwierigkeit, vor der die katholische Kirche bei den Fragen der Familienplanung, der Aids-Bekämpfung oder der Abtreibung steht; vergleichbar ist die Situation auch bei der Forschung mit Stammzellen. Hinter dem Pillenverbot steht ja ein richtiges Motiv: Sexualität soll auch der Weitergabe des Lebens dienen. Nur kann eine allzu starre Position auch dazu führen, dass selbst die eigenen Gläubigen solchen Argumenten nicht mehr folgen.

SZ: Ihnen wird Verrat vorgeworfen. Fühlen Sie sich getroffen?

Huber: Mich stört nicht die Kritik, mich stört der Absolutheitsanspruch, mit der sie vorgetragen wird.

SZ: Die Gegner einer Stichtagsverschiebung sagen: Eine Änderung zieht weitere Änderungen nach sich, und am Ende steht die faktische Freigabe.

Huber: Es gibt keinen Automatismus, aber die Gefahr kann ich nicht leugnen. Deshalb hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im November klargestellt, dass es nur um eine einmalige Verschiebung des Stichtags gehen kann. Ich hoffe, dass diese Sorge gegenstandslos wird. Es gibt Grund zu der Hoffnung, dass die Forschung an embryonalen Zellen schon bald unnötig wird.

SZ: Zeigt sich in der Debatte nicht das Dilemma, dass die Wissenschaft schneller voranschreitet als die Ethiker Kriterien für den Fortschritt entwickeln?

Huber: Die christlichen Kriterien des Lebensschutzes stehen unangefochten. Um deren Umsetzung muss allerdings immer wieder gerungen werden.

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