Biathlon:Überraschungsgäste aus der Papierfabrik

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Rot-weißer Farbtupfer: Biathleten wie Kanadas Brendan Green stehen für die allmähliche Internationalisierung des Sports. (Foto: Vianney Thibaut/Getty Images)

Die kanadischen Athleten geben dem Sport bei der Weltmeisterschaft in Oslo neue Impulse.

Von Volker Kreisl, Oslo

Ab dem zweiten Drittel der letzten Runde, als der Himmel über dem Holmenkollen schon dunkelte, entschied sich Johannes Thingnes Bö, 22, den Höhepunkt dieser Biathlon-WM nach hinten, auf den letzten Zieleinlauf zu verlegen. Alles schien am Sonntagnachmittag den üblichen Verlauf zu nehmen, der viermalige Goldgewinner Martin Fourcade aus Frankreich skatete elegant wie immer davon, in Richtung fünftes Gold. Der dreimalige Vierte Johannes Thingnes Bö aus Norwegen hechelte hinterher, es war wie ein vorgeschriebenes Muster. Doch dann schloss Bö plötzlich auf und schnappte dem Franzosen den Titel weg, und das war auch ein kleines Glück für die ganze Veranstaltung.

Altmeister Björndalen deutet an, doch weitermachen zu wollen

Biathlon ist kein einfacher Sport, deswegen gelingt es jungen Athleten fast nie, ins Feld der Besten vorzustoßen. Es dauert, bis sich die Kombination aus Hetzen und Zielen eingespielt hat, und wenn ein Talent es dann zu höchster Reife bringt, sprechen viele Beobachter vom neuen Herrscher, aber Herrschen ist eben auch ein bisschen langweilig. Bö besiegte also Fourcade und stellte für einen Moment auch Ole Einar Björndalen, den nun 20-maligen Weltmeister, in den Schatten. Der deutete an, er werde trotz seiner 42 Jahre und entgegen seiner Ankündigung vor zwei Wochen doch weitermachen, Biathlon mache gerade wieder viel Spaß. Mit Björndalens Worten ("An die Zukunft denke ich im Moment nicht") hatte man fast schon gerechnet, nicht aber mit Bö, der grinsend sagte: "Ich wollte mein erstes Gold heute mehr als Fourcade sein fünftes."

Erfrischend gegen zu viel Sieger-Routine war neben Bös Auftritt auch die Rückkehr des ehrgeizigen Österreichers Dominik Landertinger, der sich einst fast selbst verheizt hätte, mühsam das langsamere Trainieren lernte und in Oslo nun Silber im Einzelrennen holte. Und am erfrischendsten war die Staffel-Bronze-Medaille der vier kanadischen Amateure aus Canmore, die statt mit akkurat sitzenden, sponsorbeklebten Stirnbändern mit ihren verwuschelten Mützenhaaren auf dem Medien-Podium erschienen und staunten.

Der alte Militärsport will sich ja international verbreiten, im vergangenen Jahrzehnt ist dies aber nur auf dem europäischen Kontinent gelungen. Weil der russische Fortschritt zuletzt immer wieder durch Dopingfälle gebremst wurde und der deutsche Trainer Ricco Groß in Oslo mit seinen russischen Biathleten weit jenseits der Medaillen landete, weil auch die Entwicklung in Weißrussland und der Ukraine stagniert, tun ein paar Idealisten aus den Rocky Mountains dem Biathlon ganz gut.

"Wir haben hier gezeigt, dass auch eine unbekannte Biathlon-Nation wie unsere eine Medaille gewinnen kann", sagte Brendan Green, 29, der Schlussläufer. Das Erfolgsgeheimnis der Kanadier ist der Teamgeist, zweimal am Tag trainieren sie gemeinsam am Stützpunkt in Canmore, wo zuletzt der Weltcup Station machte. Das steigere die Verantwortung und bringe Zug in die Leistung jedes Einzelnen, berichtete Green. Er hat bei Olympia in Sotschi vor zwei Jahren den neunten Platz im Massenstart belegt, der zweite Staffelläufer Nathan Smith gewann sogar Silber bei der WM in Kontiolahti vor einem Jahr.

Kontinuierlich steigern sich also die Leistungen der Läufer mit dem aufgeklebten roten Ahornblättchen auf der Backe. Es ist die Lust am Training, die Lust an diesem eigenartigen Kombinationssport, und wohl auch die Lust darauf, Überraschungsgast auf fremden Medaillen-Partys zu sein. Sie kennen es jedenfalls nicht anders, Green ist da ein gutes Beispiel.

Kanadas Schlussläufer arbeitet im Sommer in diversen Nebenjobs

Er kommt aus Hay River, einem 3000-Einwohner-Ort in den Nordwest-Territorien am Großen Sklavensee, auf Höhe von Alaska. "Da ist es kalt", sagt Green, "sehr kalt." In Hay River sinkt die Temperatur auf minus 30 Grad. Da spielt man - in der Halle - Eishockey, draußen vergleicht man sich höchstens im Schlittenhunderennen. Bildet man sich aber nach einem Schnupperkurs an der Schule ein, Biathlet zu werden, dann muss man weg von zu Hause, weit weg. Green ist schon lange weg, und er bereut nichts davon. Und manchmal kehrt er ja auch zurück nach Hause, um im Sommer etwas Geld zu verdienen, zum Beispiel in der Papierfabrik.

Die vier Bronzegewinner bleiben locker. Nach dem Biathlon wird das Leben schon irgendwie weitergehen, und jetzt können sie erst einmal zufrieden sein. Ihrem Sport haben sie bei der WM in Oslo frische Farbe gegeben.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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