American Football:Geläuterte Leugner

Miami Dolphins at New England Patriots

Auf den Kopf gefallen: So spektakulär solche Szenen für Fans sein mögen, für Profis wie Jimmy Wilson (re.) und LeGarrette Blount haben sie oft Folgen.

(Foto: Cj Gunther/dpa)

Mit dem Eingeständnis, dass es einen Zusammenhang zwischen Football und Gehirnschäden gibt, will die NFL Klagen vorbeugen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Sportart American Football und ernsthaften Kopfverletzungen. Diese Erkenntnis ist in etwa so bahnbrechend wie jene, dass sich das Klima auf der Welt verändert und auf den Frühling der Sommer folgt. Und doch ist sie bemerkenswert, weil sie nun jemand verkündet, der das bislang konsequent geleugnet hat. Die US-amerikanische Profiliga NFL hat die schwerwiegenden Folgen von wiederholten Zusammenstößen bislang vehement infrage gestellt. Sie hat sich von einem Geständnis sogar freigekauft, indem sie im August 2013 einer Einigung zugestimmt hat, derzufolge sie 765 Millionen Dollar an ehemalige Akteure bezahlt. Im Gegenzug übernimmt sie keine Verantwortung für Verletzungen und muss auch nicht zugeben, dass diese Erkrankungen durch Football hervorgerufen wurden.

"Die Antwort ist definitiv: Ja." Das sagte Jeff Miller am Montag auf die Frage, ob es diesen Zusammenhang zwischen Football und degenerativen Gehirnkrankheiten wie CTE gebe. Miller ist bei der NFL verantwortlich für Sicherheit und Gesundheit, die Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses Janice Schakowsky hatte bei einer Diskussion über Gehirnerschütterungen die Frage gestellt - und Miller hatte sich mit seiner Antwort keineswegs einen Versprecher geleistet. "Die Aussagen von Miller spiegeln die Ansicht der NFL akkurat wider", heißt es in einer Mitteilung.

Dieses Eingeständnis kommt so überraschend daher wie jenes der Zigarettenindustrie im Jahr 1997, dass es einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Herzerkrankungen gibt. Schließlich hat die NFL die Studien von Ärzten wie Bennet Omalu (der das Gehirn des 2002 verstorbenen Footballprofis Mike Webster untersucht und schwere Schäden festgestellt hat) und Ann McKee (die 94 verstorbene ehemalige Spieler untersucht und bei 90 davon die Krankheit CTE nachgewiesen hat) bislang als Quacksalberei abgetan und durch selbst finanzierte Studien zu widerlegen versucht. Noch vor dem diesjährigen Endspiel im Februar sagte Ligachef Roger Goodell: "Es gibt nun mal Risiken im Leben. Es ist auch gefährlich, auf der Couch zu sitzen." Die NFL kann es sich angesichts von Einnahmen von 13,5 Milliarden Dollar alleine in dieser Saison leisten, ihr ursprüngliches Angebot für ehemalige Profis auf bis zu eine Milliarde Dollar zu erhöhen.

Die Liga hat sich natürlich nicht über Nacht in einen Ponyhof verwandelt, Goodell ist aufgrund der Ligastruktur Angestellter der Klubbesitzer und damit eher mit dem Ölen der Gelddruckmaschine beauftragt als mit einer Wandlung zum reuigen Sünder. Genau aus diesem Grund ist das Eingeständnis aber als geschickter Schachzug der Liga zu interpretieren, sich aus einer misslichen Lage zu befreien. McKee, bei der Debatte in Washington ebenfalls anwesend, sagt nämlich: "Wir haben CTE in 90 von 94 NFL-Spielern gefunden, in 45 von 55 College-Athleten und in sechs von 26 High-School-Schülern. Das sind keine Einzelfälle. Wir werden erschüttert sein, wenn wir feststellen, wie weit verbreitet die Krankheit wirklich ist."

Genau an diesem Punkt wird es interessant: Die Einigung von 2013 verpflichtet die NFL grundsätzlich, nur Zahlungen an Spieler zu leisten, die bis dahin verletzt worden sind. Deshalb haben die Kläger - unterstützt von der Spielergewerkschaft - Einspruch eingelegt. Sie fürchten, dass Profis, die künftig erkranken oder bei denen Spätfolgen festgestellt werden, leer ausgehen. CTE kann bislang nur bei verstorbenen Patienten diagnostiziert werden.

Das Motto der Liga: Wer jetzt noch spielt, ist selbst schuld

Bei der Debatte um Zusammenstöße, Gehirnerschütterungen und Kopfverletzungen war es auch darum gegangen, ob die NFL nicht schon lange von den Gefahren gewusst und sie bewusst in Kauf genommen hat, ohne die Spieler zu informieren. Durch das Eingeständnis des Zusammenhangs versucht die NFL, sich vor künftigen Klagen zu schützen, die noch viel teurer werden könnten als die eine Milliarde Dollar, die sie nun bezahlen will. Ganz nach dem Motto: Nun wissen alle, dass Football gefährlich ist, wir haben es zugegeben - wer jetzt spielt, ist selber schuld.

Natürlich könnte man nun glauben, dass angesichts der Studien und des Eingeständnisses ein paar Reformen zu erwarten sind. Natürlich investiert die NFL mittlerweile in die Sicherheit ihrer Spieler und auch in die adäquate Ausbildung von Nachwuchstrainern. Sie hat viel unternommen, um die Gesundheit ihrer Akteure zu bewahren, auch durch vorsichtige Regeländerungen. Wer allerdings glaubt, dass die NFL zugunsten gesünderer Spieler auf das Spektakel zusammenprallender Muskelberge verzichtet, der glaubt auch daran, dass das mit dem Klimawandel von selbst wieder gut wird.

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