Performancekunst:Eiszeitmusik

Lesezeit: 1 min

Beim Märzmusik-Festival in den Berliner Sophiensälen gingen der Filmer Daniel Kötter und der Komponist Hannes Seidl in einer Raum- und Zeit-Sinfonie der Antwort auf die Frage nach, wie eigentlich ein schmelzender Eisblock klingt.

Von Wolfgang Schreiber

Welche Klänge stecken in einem mächtigen Eisblock, wenn er sich in Wasser verwandeln? Man sah und hörte und staunte darüber bei einer Musiktheater-Performance in den schäbigen Sophiensälen, jenem Kulturzentrum der abgewetzten Fußböden und verschlissenen Wände, das in Berlin-Mitte längst nicht nur die jüngere Menschen fasziniert.

Der Eisblock war Zubehör des am Sonntag zu Ende gegangenen Berliner Musikfestivals "Märzmusik", das sich seit vergangenem Jahr als "Festival für Zeitfragen" versteht, weshalb es nun das "Digitale Universum als Geburtsort neuer Zeitformen" beschwört. Die Zuschauer blickten allerdings auf ein analoges Podium mit verschiedenen Klangerzeugern, die lange Zeit stumm blieben: eine Batterie von Trommeln, mehrere Tastaturen von E-Pianos, ein paar E-Gitarren. In der Mitte der Eisblock, an dem sich ein Handwerker zu schaffen machte mit Hammer, Meisel und Elektrobohrer. Auf einem großem Monitor dahinter flimmerte ein Stummfilm: Auf seiner Winterreise durchquert ein Wandersmann darin ewige Eisfelder, ohne je anzukommen.

Der Eishandwerker löste bald nach und nach Brocken aus dem Eisblock und trug diese nach und nach zu den Instrumenten, legte sie auf die Tastaturen, wo sie zu dunkel wummernde Clusterklänge führten, hängte die Brocken an eine Stange über den Trommeln und Gitarren. Immer noch stapfte auf dem Monitor dazu der Eiswanderer durch die weiße Wüste. Die Eisbatzen begannen langsam zu tropfen, erzeugten zufallsbedingte, extrem verstärkte Klänge und Perkussionsgeräusche, eine Raum- und Zeitsymphonie in einem sehr langem Decrescendo war das. Und dann warfen plötzlich Scheinwerfer schmerzhaft Lichtflammen in die Zuschauer.

Der Filmer Daniel Kötter und der Komponist Hannes Seidl verstehen die Performance als Teil ihrer Trilogie "Ökonomien des Handelns", den spekulativ sozialphilosophischen Überbau braucht man nicht un-bedingt. Beim Eistropfen-Finale wurde schließlich viel Eis durchs Publikum gereicht. Kötters und Seidls drittes Musiktheater-Experiment soll übrigens der Liebe gelten.

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: