Bergkirchen:Im Geist der Karwoche

Das Vokal Ensemble München mit spanischer Passionsmusik

Von Adolf Karl Gottwald, Bergkirchen

"Renaissance" - das ist so ein Zauberwort, das Kunstbegeisterte schier auf der Zunge zergehen lassen. Man denkt an berühmte Renaissance-Architektur in Italien oder auch in Augsburg, und nach Renaissance-Musik befragt fällt uns neben Palestrina Orlando di Lasso ein, der größte Musiker dieser Zeit, der in München wirkte und sogar ins Dachauer Schloss kam. Die große geistliche Musik dieser Zeit, also des 16. Jahrhunderts, wirkt auf uns weihevoll und äußerst kunstvoll, ist uns aber letztlich fremd. In der Kirche Sankt Johann Baptist in Bergkirchen gab es jetzt etwas ganz Spezielles, nämlich spanische Passionsmusik aus dem 16. Jahrhundert von Tomas Luis de Victoria, Francisco Guerrero und Cristobal de Morales. Das "Vokal Ensemble München" war mit 24 Sängerinnen und Sängern angereist, um diese in jeder Hinsicht erlesene Musik in der herrlichen, von Johann Michael Fischer geplanten Kirche aufzuführen.

"Außergewöhnlich aufwendige Lösung für eine Dorfkirche" befindet der Dehio, und wir können das gleiche über dieses Konzert sagen. Ist man beim Betreten der Kirche von dem ganz in Gold gefassten Hochaltar schier geblendet, so erscheint auch diese spanische Musik wie in Gold gefasst, kostbar, ja äußerst wertvoll, aber eigentlich nicht fassbar. Der klassische Musikfreund, der sich in der Musikgeschichte auskennt, hat wenigstens die Namen Cristobal de Morales und Tomas Luis de Victoria, oder, italienisch geschrieben, de Vittoria, gehört und weiß, dass dessen "Officium Hebdomadae Sanctae" mit Klageliedern des Propheten Jeremias die wohl bedeutendste liturgische Musik für die Karwoche ist. Aber wer hat sie jemals gehört?

Ist es dem Vokal Ensemble München schon als unerhört großes Verdienst anzurechnen, sich dieser Musik zu widmen und sie aufzuführen - in Bergkirchen noch dazu im Rahmen eines kongenialen Kirchenraums -, so wird dieses Verdienst noch übertroffen von der Art und Weise der Darbietung. Dem Vokal Ensemble München gelang es nämlich, die zunächst wie ein in Gold starrender, reich ausgestatteter Hochalter wirkende Musik mit Leben zu füllen, die Figuren so lebendig werden zu lassen, dass sie zu uns sprechen können und ihre Aussagen uns berühren.

Das von Viktor Töpelmann geleitete Ensemble beeindruckte zunächst mit prächtigem Chorklang - sauberste Intonation ist dabei eine Selbstverständlichkeit. Nach und nach aber gelang es, durch feinste Differenzierungen immer mehr auf das gesungene Wort aufmerksam zu machen und den Zuhörern etwa die Klagelieder des Jeremias nahezubringen. Mit dem lateinischen Text samt deutscher Übersetzung in der Hand konnte man dank der sehr deutlichen Artikulation der Sängerinnen und Sänger gut folgen, man wurde in die Stimmung der Karwoche geradezu hineingezogen. Die Texte sind oft von beklemmender Aktualität wie etwa: "Unser Wasser müssen wir um Geld trinken; unser Holz muss man bezahlt bringen lassen. Man treibt uns über Hals; und wenn wir schon müde sind, lässt man uns doch keine Ruhe."

Nicht anders erging es den aufmerksamen und aufnahmebereiten Zuhörern bei Motetten von Cristobal de Morales und dessen Schüler Francisco Guerrero. So aber muss Musik dieser Zeit (auch anderer Zeit) gesungen werden; denn nur so ist ihre Wiedergeburt - Renaissance - in unserer Gegenwart möglich und sinnvoll.

So weit entfernt und beziehungslos zu unsrem gelobten Land zwischen München und Augsburg ist diese spanische und römische Musik übrigens nicht. Tomas Luis de Victoria, der als spanischer Musiker fast nur in Rom wirkte, widmete 1572 sein erstes Motettenbuch dem Bischof von Augsburg und 1576 eine Sammlung von Messen, Psalmen und Magnificat dem Herzog Ernst von Bayern.

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