Amtsgericht Dachau:"Reichsbürger" bedrohen Beamte

Amtsgericht Dachau: Vor dem Amtsgericht Dachau ist der "Reichsbürger" wieder nicht erschienen.

Vor dem Amtsgericht Dachau ist der "Reichsbürger" wieder nicht erschienen.

(Foto: Toni Heigl)
  • Vor dem Amtsgericht Dachau muss sich ein sogenannter Reichsbürger verantworten.
  • Er soll einen Finanzbeamten bedroht und eine Rechnung geschrieben haben, weil dieser Steuern bei ihm eintreiben wollte.
  • Reichsbürger sehen sich nicht als Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Behörden und Gerichte sehen sich durch sie zunehmend mit Problemen konfrontiert.

Von Benjamin Emonts

Eine Handvoll Zeugen, drei Richter und ein Staatsanwalt müssen den Sitzungssaal unverrichteter Dinge verlassen. Der Angeklagte ist ein "Reichsbürger", wie er sich selbst nennt, und er ist wieder einmal nicht erschienen am Dachauer Amtsgericht - zum zweiten Mal bereits. So richtig verwundert das allerdings niemanden. Die sogenannten Reichsbürger verweigern der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsprechung jede Anerkennung. Ihre Zahl wächst.

Kommunen, Amtsgerichte und Behörden sehen sich wie in Dachau zunehmend mit Problemen durch sie konfrontiert. Den Sicherheitsbehörden sind die entsprechenden Personen bekannt, teilt das Innenministerium mit. Aber was es genau mit dieser Bewegung auf sich hat, ist noch unklar. "Sie werden vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz zwar nicht beobachtet, aber insbesondere hinsichtlich möglicher extremistischer Bestrebungen überprüft."

Wie viele Anhänger diese Bewegung in Bayern hat, ist unbekannt, weil sie statistisch nicht erfasst werden. Harmlos scheinen die "Reichsbürger" aber nicht zu sein, wie der Fall am Dachauer Amtsgericht zeigt. Dort herrschen an beiden Verhandlungstagen verschärfte Sicherheitsmaßnahmen.

Bild- und Tonaufnahmen sind im Gerichtssaal strengstens untersagt

Nach einer gründlichen Durchsuchung werden allen Verhandlungsteilnehmern und Pressevertretern die Mobiltelefone abgenommen. Das Erstellen von Bild- und Tonaufnahmen ist strengstens untersagt. Manche "Reichsbürger"-Gruppierungen, darauf verweist das Innenministerium, treten als Hilfsgemeinschaften für angebliche Justizopfer auf. Für Geld bieten sie "Rechtsbeistand" bei Gerichtsverfahren an, treten als Störer bei Prozessen auf oder widersetzen sich der Zwangsvollstreckung.

Der Angeklagte, der wieder einmal nicht erschienen ist, muss sich wegen Erpressung verantworten. Er hatte einem Mitarbeiter des Dachauer Finanzamts eine Rechnung über mehr als 140 000 Euro zugestellt - als Strafe dafür, dass der Finanzbeamte Steuern bei ihm eintreiben wollte. Der Beamte erstattete Anzeige. Die "Reichsbürger" suggerieren den Bürgern, dass sie sich nicht der bestehenden Gerichtsbarkeit unterwerfen und Steuern zahlen sollen.

"Die Fälle häufen sich bei uns", sagt der Beamte, der in der Zeitung nicht mit Namen genannt werden will. Schließlich gewährt er einen Blick in den Brief, den er von dem mutmaßlichen Erpresser erhalten hat: Für Androhung von Zwangsmaßnahmen soll der Dachauer Finanzbeamte 10 000 Euro Strafe bezahlen, für Pfändungen 100 000 Euro, für das Fehlen einer nicht vollständigen Unterschrift 1000 Euro, an Bearbeitungsgebühr 300 Euro. Das sind nur einige Punkte des umfangreichen Drohbriefs.

Auch dem Justizministerium sind einige Fälle bekannt

Der Finanzbeamte nahm das Schreiben nicht auf die leichte Schulter. Mitarbeiter des Finanzamts Dachau seien verunsichert, wie man mit den "Reichsbürgern" umgehen soll. Es entstünden "diffuse Ängste", sagt der Finanzbeamte. Das bayerische Innenministerium bestätigt, dass sich "die Bediensteten in den Finanzämtern zunehmend mit Drohungen und Schadenersatzforderungen konfrontiert sehen." Häufig würden sie - "verbunden mit pseudo-rechtlichen Belehrungen" - aufgefordert, ihre Maßnahmen gegen den Betroffenen zu unterlassen. Andernfalls werden ihnen Konsequenzen angedroht.

Auch dem Justizministerium sind einige Fälle bekannt, in denen Mitarbeiter - besonders Gerichtsvollzieher - von "Reichsbürgern" bedroht werden. Verbände der Landespolizei und das Bayerische Landeskriminalamt teilen mit, dass sich das Spektrum der Delikte der "Reichsbürger" von Widerstandshandlungen über Bedrohung bis hin zur Körperverletzung erstreckt. Die bekannt gewordenen Einzelfälle weisen nach Einschätzung der Polizei "eher auf querulatorische Motive hin als auf eine ernsthafte politische Zielsetzung der Akteure".

Aber so klar scheint das nicht zu sein: Bekannt ist, dass die Bewegung weitestgehend ungeschlossen auftritt und sich in verschiedene, teils sektenartige Kleingruppierungen aufteilt - zum Teil mit rechtsextremen Inhalten. Gemeinsam ist ihnen die kategorische Ablehnung von Behörden, Gerichten und Verwaltungen - also letztlich des Staates. Sie erachten eigenen Aussagen zufolge den deutschen Staat als nicht rechtmäßig und gehen davon aus, dass das Deutsche Reich weiter existiert.

"Reichsbürgerschaft" als Begründung, keine Steuern zahlen zu müssen

Gleichzeitig torpedieren sie Behörden mit unsinnigen Anfragen und bizarren Verfahren. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten die Gruppierungen teils als Verschwörungstheoretiker und Querulanten, teils als rechtsextrem. Viele ihrer Mitglieder setzen ihre "Reichsbürgerschaft" auch schlicht als Begründung dafür ein, Bußgelder oder Steuern nicht bezahlen zu müssen.

Die Auftritte und Behauptungen der Vertreter dieser relativ neuen diffusen Bewegung mögen nahezu lächerlich erscheinen. Aber Beamte und Behörden werden in zermürbende Auseinandersetzungen getrieben. Den Bediensteten der Steuerverwaltungen wurden Anfang 2016 durch das Bayerische Landesamt für Steuern ausführliche Hinweise zum Umgang mit den "Reichsbürgern" gegeben.

Unabhängig davon werden etwa Steuerfahndern arbeitspsychologische Schulungen und Eigensicherungstrainings angeboten. Die Gemeinden als Pass- und Personalausweisbehörden wurden vom Staatsministerium über den Umgang mit "Reichsbürgern" informiert. Besonders wurde auf die Beachtung der Ausweispflicht und die Ahndung von vorsätzlichen Verstößen hingewiesen. Das alles schützt den Dachauer Finanzbeamten im konkreten Fall aber nicht.

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