Nürnberg:Streit über die Rekonstruktion des Nürnberger Pellerhauses

Nürnberg: Das Pellerhaus am Egidienplatz in Nürnberg - früher.

Das Pellerhaus am Egidienplatz in Nürnberg - früher.

(Foto: Nürnberger Altstadtfreunde)

Das Renaissance-Prachtstück wurde im Krieg zerbombt. Die neue Fassade aus den 1950ern ist denkmalgeschützt. Wäre es ein Frevel, das Gebäude wieder in den Urzustand zu versetzen?

Von Olaf Przybilla

Was Martin Peller durch den Kopf gegangen ist, als er den Bau eines Hauses in Auftrag gab, das es in die Kunstgeschichten der Welt schaffen sollte, ist nicht überliefert. Aber man kann sich ganz gut vorstellen, was ihn getrieben haben mag. 1559 am Bodensee geboren hatte sich Peller an die Spitze einer der größten Handelsgesellschaften des Reiches emporgearbeitet.

Fast monopolartig beherrschte man die Fabrikation von Leinen, Peller machte Geschäfte in halb Europa. In der feinen Nürnberger Gesellschaft aber betrachteten sie den Kaufmann immer noch von oben herab: Peller, das war der klassische Emporkömmling, ein Parvenü aus der Provinz. So einen mochte man nicht.

Ein Bürgerbau, den man im Reich so noch nicht oft gesehen hatte

Also plante Peller etwas, das die etablierten Herrschaften von Nürnberg, die Patrizier, kaum verhindern konnten. Er gab einen Profanbau in Auftrag, der in Nürnbergs Baugeschichte ohne Beispiel sein sollte. Einen Sitz, der sämtliche Kaufmannshäuser der Stadt in den Schatten stellte, einen Bürgerbau, den man im Reich so noch nicht oft gesehen hatte. Das Ensemble am Egidienplatz galt später als der wesentliche Beitrag Nürnbergs zur Architekturgeschichte. Was etwas heißen soll in einer Stadt, die sich als "des Deutschen Reiches Schatzkästlein" einen Namen gemacht hatte.

Freilich, über "Fürwitz und Hochmut" ätzten Pellers Zeitgenossen, als das Kaufmannshaus 1605 zu besichtigen war. Immerhin war da vom tradierten Understatement Nürnberger Baukunst kaum was zu spüren. Und zu allem Überfluss wohnte Peller selbst nur die letzten vier Jahre seines Lebens im Haus mit der reich gegliederten und verzierten Fassade. Später wurde bei Pellers dann Geschichte geschrieben: Piccolomini und der schwedische Kanzler unterzeichneten in ihrem Schloss die Präliminarien zum Westfälischen Frieden.

Das alles muss man womöglich wissen, um zu verstehen, warum in Nürnberg gerade eine Debatte entbrannt ist, die mit einer Verve geführt wird, mit der man sonst nur über den Club streitet. Im Zentrum dieses Sturms der Meinungen steht Karl-Heinz Enderle, der Vorsitzende der Altstadtfreunde. Er und seine Mitstreiter haben sich vor etwa zehn Jahren daran gemacht, den Renaissancehof des Pellerhauses zu rekonstruieren. Das Haus ist 1944 und 1945 zu großen Teilen zerstört worden, der Hof blieb lange Torso, woran sich ein Steinmetz namens Harald Pollmann störte.

2017 soll die Rekonstruktion fertig sein

Er gab 2005 den Anstoß, den Hof wiederaufzubauen, zunächst von heftigen Gegenreden begleitet. Denkmalschützer warnten inständig, der städtische Baureferent war unglücklich, die Zweifel schienen kaum überwindbar zu sein. Am Ende aber setzten sich Enderle und Pollmann doch durch. Vor allem mit ihrem Argument: Die Öffentlichkeit solle diese Hof-Rekonstruktion keinen Cent kosten. Danach bröckelte der Widerstand, und inzwischen ist das Ende der Arbeit in Sicht. Wohl 2017 wollen die Altstadtfreunde fertig sein mit dem Hof, eine Rekonstruktion für 3,2 Millionen Euro, die tatsächlich nahezu ausschließlich aus Spendengeld finanziert wird.

Das alles wäre ein Grund zur Freude, Enderle könnte sich feiern lassen. Aber dazu ist er offenbar nicht der Typ. Jetzt will Enderle mehr, er denkt über die Rekonstruktion des gesamten Baus nach. Wer ihn fragt, ob er das tatsächlich will, immerhin müsste in dem Fall die denkmalgeschützte Fassade aus den 1950er Jahren abgerissen werden, den lächelt er lange an. Und hält dann erst mal eine Laudatio auf Fritz und Walter Mayer, zwei "große Architekten der Nachkriegszeit", denen Nürnberg viel zu verdanken habe. Auch das neue Pellerhaus, lange ein Bibliotheksgebäude, das die Mayers nach dem Krieg in der Formensprache ihrer Zeit entwarfen. Und dafür die wenige Substanz, die noch übrig war vom Pellerhaus, behutsam mitverwendeten.

Nürnberg: Die Fassade heute.

Die Fassade heute.

(Foto: Olaf Przybilla)

Das Werk also zweier ganz Großer vernichten, im Ernst? "Der Riss geht mitten durch mich", antwortet Enderle und schaut zu Boden, "und mitten durch uns Altstadtfreunde". Er selbst aber habe sich durchgerungen dazu: "Auch weil die Nürnberger diesen Platz nach dem Krieg nie akzeptiert, anfangs sogar gehasst haben", sagt er - von den Touristen, die den verwaisten Egidienplatz fast nie zu Gesicht bekämen, ganz zu schweigen. Und weil das zentrale Architekturerbe der Stadt wohl eher nicht vom Wurf der beiden Mayers dominiert werde, sondern von Jakob Wolff, dem Renaissance-Baumeister seiner Zeit.

Ein Denkmal ist ein Denkmal, ist das wiederkehrende Argument

Seit Enderle sich durchgerungen hat, das so zu formulieren, muss er sich mit wenig charmanten Gegenreden beschäftigen. Fachleute, das räumt er unumwunden ein, Architekten, Denkmalschützer, Kunsthistoriker, schütteln nahezu geschlossen den Kopf. Ein Denkmal ist ein Denkmal, ist das wiederkehrende Argument - und die Zerstörung eines Denkmals, erst recht eines so wichtigen Denkmals, wäre schlicht: Barbarei. Wer Enderle damit konfrontiert, erlebt einen mit sich ringenden Mann. Sei ihm alles bewusst, sagt er. Es gebe da aber auch den Zuspruch von Liebhabern, die sein Vorstoß geradezu euphorisiere.

Warum nicht versuchen, fragen sie, einen drögen, nahezu leblosen Platz wieder zum Leben zu erwecken? Und ob denn der Egidienplatz, einst Teil jeder kundigen Kunstgeschichte, für immer Parkplatz bleiben solle, einer der malerischsten und dadurch verstörendsten Blechplätze der Republik? "Dieser Platz ist so, wie er ist, ein Debakel", sagt Enderle, "damit kann ich mich nicht abfinden." Wer die Leserbriefspalten der Nürnberger Zeitungen durchkämmt, bekommt einen Eindruck davon, dass es offenbar nicht wenigen so geht.

Dass er jetzt sehr viel, sehr leidenschaftlichen und gut begründeten Widerspruch einstecken muss von der Fachwelt - immerhin steht Nürnberg inzwischen eher für die Architektur der 1950er Jahre als für die Renaissance - sei ihm vorher einigermaßen klar gewesen, sagt er. Aber in Frankfurt, glaubt er beobachtet zu haben, sei die Debattenlage anfangs ähnlich gewesen. Dort werden nun 15 Bürgerhäuser rekonstruiert. Das Geld für die Fassade und den restlichen Pellerbau, da sei er sich sicher, "würden wir zusammenbekommen". Immerhin hätten schon für die Rekonstruktion des Hofes Hunderte Bürger gespendet.

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