Grünen-Parteitag:"Wir haben keine Machtoption"

Vor dem Grünen-Parteitag in Rostock fordert der Parteilinke Robert Zion eine Abkehr von Jamaika und neues Personal an der Parteispitze.

Michael König

Robert Zion, 43, gilt als Rebell in den Reihen der Grünen, seit er 2007 auf dem Sonderparteitag in Göttingen die Parteispitze düpierte. Damals stimmte die Basis für seinen Antrag, den Einsatz von Tornado-Einsätzen in Afghanistan abzulehnen. Zion ist Vorsitzender des Kreisverbandes Gelsenkirchen. Er gehört zum Flügel der Parteilinken.

sueddeutsche.de: Herr Zion, die Grünen haben das beste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren. Trotzdem ist die Stimmung vor dem Parteitag mies. Woran liegt das?

Robert Zion: Das ist wohl ein Ausdruck von Ratlosigkeit innerhalb der Partei. Es ist schon erstaunlich, dass der Bundesvorstand den Tagesordnungspunkt 'Grüne Opposition' aufruft - und dann hauptsächlich Anträge eingehen, die sich mit etwas ganz anderem beschäftigen. Nämlich mit einer Art versuchter Neuverortung der Partei. Das ist bezeichnend für unsere Situation.

sueddeutsche.de: Das Motto des Parteitags heißt 'Grün macht Zukunft'. Die Debatte kreist aber um die Vergangenheit: War es clever, ohne Machtoption in die Wahl zu gehen?

Zion: Das ist keine Frage von Cleverness. Manche Dinge kann man sich nicht aussuchen. Es gab für uns keine echte Machtoption, weil es im Mitte-Links-Lager Zerwürfnisse gibt, die noch Jahre andauern werden. Für das bürgerliche Lager ist das ein strategischer Vorteil.

sueddeutsche.de: Der hessische Grünen-Chef Tarik Al-Wazir hat gemeinsam mit vielen prominenten Unterstützern einen Antrag eingereicht, in dem es heißt, die Grünen seien mit ihren Inhalten und Wählern in der Mitte angekommen. Wieso wehren Sie sich dann noch gegen Jamaika?

Zion: Dieser Vorstoß von Tarik Al-Wazir ist intelligent, weil er sagt, dass wir im Mitte-Links-Lager die Meinungsführerschaft übernehmen müssen. Die Frage ist allerdings: Wo ist diese Mitte? Bei der FDP ist das ganz klar, sie wendet sich an das Besitzbürgertum und versprüht den diskreten Charme der Bourgeoisie. Wir Grüne haben es hingegen versäumt, eine Diskussion über den Charakter unserer Bürgerlichkeit zu führen. Dabei ist es ja kein Geheimnis, wie die Antwort aussehen könnte.

sueddeutsche.de: Nämlich wie?

Zion: Die klassische Mitte ist in den Umbrüchen der Globalisierung zerfallen. Das haben CDU und SPD zu spüren bekommen, ihre Wählermilieus lösen sich auf. Es gibt aber ein neues Bürgertum. Der Autor Richard Florida hat das die creative class genannt, den produktiven Teil der Wissensgesellschaft, der sich auf Großstädte konzentriert. Wir Grüne haben dort sehr hohe Zustimmungswerte. Diese Menschen orientieren sich tatsächlich eher links-liberal als klassisch-bürgerlich. Deshalb können wir jetzt nicht einfach das Lager wechseln und Jamaika anstreben.

sueddeutsche.de: Die Grünen im Saarland haben sich für Jamaika entschieden. Die Chefs der Landtagsfraktionen solidarisieren sich mit ihnen. Droht den Grünen ein handfester innerparteilicher Streit?

Zion: Das ist sehr durchschaubar, was da gerade passiert. In der Politikwissenschaft spricht man von der Radikalität der mittleren Führungsschicht: Da melden sich Leute zu Wort, die große Ziele haben. Ihre Bindung zur Basis ist nicht mehr ganz eng, nach ganz oben reicht es aber auch noch nicht. Bei denen zieht dann eine gewisse Radikalität ein, es werden alle Möglichkeiten offen gehalten. Denn wenn alles offen bleibt, dann hat man auch persönlich immer eine Option. Das wird sich aber alles wieder relativieren, denke ich.

sueddeutsche.de: Was macht sie da so sicher?

Zion: Nehmen wir nur mal die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die im Mai 2010 ansteht: Nahezu alle, mit denen ich in NRW gesprochen habe, lehnen Schwarz-Gelb-Grün ab. Mindestens ein Drittel der Partei bleibt außen vor, wenn man diese Option anstrebt. Das kann böse nach hinten los gehen. Wir dürfen nicht ausschließlich machtpolitisch denken, nur weil die SPD in einer historischen Krise steckt, die noch einige Zeit andauern wird. Sonst fehlt irgendwann die Substanz, und ohne Substanz geht es nicht.

Auf der nächsten Seite: Robert Zion fordert neues Führungspersonal. Den Nato-Einsatz in Afghanistan hält er für gescheitert, die Bundeswehr soll das Land verlassen.

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sueddeutsche.de: Auch die Grüne Jugend hat vor dem Parteitag aufhorchen lassen: Sie fordert die personelle Erneuerung an der Parteispitze.

Zion: Ja, wir haben ja noch die alte Führung aus der Regierungszeit. Das kann nicht ewig so bleiben, das weiß die Führung aber auch. Allerdings hat die zweite Reihe, die jetzt mit den Hufen scharrt, erst noch einen Selbstfindungsprozess vor sich. So lange sie nur machtpolitisch argumentiert, wird es nicht funktionieren.

sueddeutsche.de: Der Bundesvorstand schreibt in einem Leitantrag, die Grünen hätten sich in den vergangenen vier Jahren 'manchmal zu sehr im Detail verloren, anstatt die großen Linien zu betrachten.' Was ist damit gemeint?

Zion: Als wir in Berlin unser Wahlprogramm besprochen haben, da hatten wir 1000 Änderungsanträge. Wir sind tatsächlich eine Partei, die alles bis ins Kleinste ausdiskutiert und -formuliert und jedes noch so kleine Grüppchen berücksichtigt. Die großen Grundfragen gehen dabei manchmal unter. Wir haben zum Beispiel nicht geschafft, die ganze Dramatik des Klimawandels im Wahlkampf zu zeigen. Wir haben immer noch keine einfache Aussage darüber, ob es mit dem Wachstums- und Beschäftigungsbegriff der alten sozialen Marktwirtschaft weiterhin funktionieren wird. Und wir können auch den green new deal nicht klar definieren: Ist das jetzt Keynesianismus oder doch eher ein postindustrielles Konzept? Die großen Linien, die grundlegenden Veränderungen, die haben wir nicht benannt.

sueddeutsche.de: Zu diesen Linien gehört auch der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. 2007 haben Sie einen Abzug der deutschen Truppen abgelehnt, jetzt sind Sie dafür. Woher der Meinungswandel?

Zion: Der Krieg ist eskaliert, die Nato ist gescheitert. Ganz einfach. Ich bin ja studierter Philosoph, und es gibt da einen schönen Satz von Spinoza: 'Die Natur verbietet einem nichts, außer das, was man nicht kann.' Wenn man etwas nicht mehr kann, soll man es lassen. Es zeichnet sich ab, dass die Nato den Krieg verliert oder ihn zumindest ohne Erfolg abbricht. Ich bin mit dem Antrag des Bundesvorstands sehr zufrieden, der klare Zwischenziele und für 2010 die Entwicklung einer Exit-Strategie fordert. Dann können mehr Polizisten ins Land und der zivile Aufbau anders organisiert werden. Aber mit mehr Militär wird es nicht klappen.

sueddeutsche.de: Der Bundesvorstand muss diesmal also nicht fürchten, dass Sie ihn in der Afghanistan-Frage vorführen wie damals in Göttingen?

Zion: Diesmal ist sich die Parteiführung einig und sie hat die Position von Göttingen adaptiert. Insofern gibt es keinen Grund. Der Konfliktpunkt wird diesmal wohl die Strategiedebatte am Samstag sein.

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