Theater:Zwischen Couch und Dusche

Phädra ist die Frau, die sich höchst sterblich in ihren Stiefsohn verliebt. Am Pariser Odéon-Theater spielt die virtuose Isabelle Huppert gleich mehrere Versionen dieser Figur.

Von Joseph Hanimann

Die letzte Zigarette hätte sie besser nicht mehr geraucht. Die Dame im schwarzen Hosenkleid sitzt in der Talkshow, nestelt ständig an ihrem Handtäschchen herum, sucht nach Redenotizen und spekuliert über die Liebesunfähigkeit der Götter, die sich für die Menschen nicht mehr interessierten. Sie, die ihre Asche achtlos abstreift, hieß vorher anders. Nun heißt sie Elizabeth Costello, nach dem Roman von J. M. Coetzee, und hat ihre eigene Liebesfähigkeit offensichtlich ebenfalls verloren - mag sie auch plötzlich vom Stuhl aufspringen und die Begegnungsszene zwischen Phädra und Hippolyt aus Racines klassischem Drama spielen.

Phädra, das ist die Figur, als welche Isabelle Huppert zuvor an diesem Abend auch schon ganz anders gepafft hat: gierig, nervös, berauscht, gelangweilt, verzweifelt. Oder vielmehr war es eine ganze Personenriege mit fließenden Übergängen und scharfen Kontrasten, in welche die Darstellerin abwechselnd schlüpfte. Denn für den Regisseur Krzysztof Warlikowski ist diese Frau, die mit dem griechischen Draufgänger Theseus verheiratet ist und bis zum Wahnsinn sich in dessen Sohn Hippolyt verliebt, heute nur noch als kompliziertes Mischwesen aus Königinnenvamp, Liebeswahnheldin, Edelnutte, Ehebruchvirtuosin, Absolutheitsdienerin, Mörderin und Selbstmörderin verstehbar. So bat er für sein neues Stück "Phèdre(s)", in der Pluralform, den libanesisch-kanadischen Autor Wajdi Mouawad, ausgehend von den "Phädra"- bzw. "Hippolyt"-Texten von Euripides und Seneca eine neue Spielvorlage zu schreiben und versetzte diese mit Szenen aus Sarah Kanes Stück "Phädras Liebe" sowie mit dem Roman "Elizabeth Costello" von Coetzee.

Phädra

Isabelle Huppert als Phädra, das ist ein kompliziertes Mischwesen aus Königinnenvamp, Edelnutte, Ehebruchvirtuosin, Mörderin und Selbstmörderin.

(Foto: Pascal Victor/ArtComArt)

Entstanden ist daraus am Pariser Odéon-Theater - programmiert noch vom verstorbenen Intendanten Luc Bondy - eine dreistündige Zitterdramaturgie der Textfragmente, starken Bilder, Musik- und Tanzeinlagen, die eindrücklich beginnt, sich dann aber in der Beliebigkeit der Regieeinfälle verliert und nur durch das virtuose Spiel von Isabelle Huppert zusammengehalten wird.

Vom ersten Augenblick an, da sie mit langem Strähnenhaar und Sonnenbrille den weiten, leeren Kachelraum betritt (Bühnenbild: Malgorzata Szcześniak), steht man in ihrem Bann. "Hier war nichts, nur Wüste", sagt sie halb verwundert, halb spöttisch. Eine Heimkehrerin aus dem Exil? Nicht nur. "Schau, sie haben uns in einem Palace-Hotel untergebracht", schwärmt sie in der folgenden Szene und stürzt sich aufs Waschbecken an der Wand. "Nein", antwortet die Dienerin Oenone, "wir sind hier mit den anderen Flüchtlingen."

Wo soll in dieser Zerrissenheit zwischen Flucht, Exil, fantasierter oder realer Rückkehr das Liebesverlangen dieser Frau Platz finden? Zwischen zwei hastigen Zigarettenzügen, in einem Moment der Mutlosigkeit unter der Dusche, beim Herumhängen auf der Couch - immer dann halt, wenn das reale Gehetztsein und die traumatischen Erinnerungsbilder eine kleine Atempause gewähren. Mouawad zeigt in seiner Umschreibung die kretische Königstochter Phädra als Frau, die in jungen Jahren die Zerstörungswut des Kriegsführers Theseus im Reich des Minos gekannt hat, bevor sie ihn heiratete. Und die Darstellerin Huppert setzt diese durch ihre abrupte Liebe zum Glühen gebrachte Unentschiedenheit zwischen Verdrängen und Rächen um in einem grandiosen Spießrutenlauf der Selbstqual. Jedes Liebeswort ist eine wieder aufgerissene Narbe, jeder Sehnsuchtsblick eine Selbstbeleidigung, jede zärtliche Geste ein Dolchstoß - bis Phädra im Wahntraum neben Hippolyt auf dem Liebeslager sich mit dem Küchenmesser ersticht.

Nur Vexierbilder der Figur Phädra zu zeigen, genügt Warlikowski nicht. Er will mit symbolschwerer Sprache vorführen, wie die liebende Heldin ihre Gefühle nach und nach durch Reflexion entschärft. In den Passagen von Sarah Kane spricht Huppert in der dritten Person Singular die Regieanweisungen für sich selbst und tritt, halb unschuldiges Ding, halb Fleisch gewordene Selbstbeherrschung, im rosa Kleid zum fettleibigen Hippolyt ins Zimmer, der Pornos guckt und masturbiert. Sie macht sich an seinem Hosenlatz zu schaffen wie an einem Geschenkpaket ("Du bist geil wie dein Vater") und scheuert ihm dann eine, wenn er mit der Antwort, genau das habe ihm auch ihre Tochter schon gesagt, sie als Liebende, als Gattin und als Mutter verletzt. Doch sitzt sie dann eben bald schon wieder als Intellektuelle in der Talkshow und schickt dem Gerücht namens Phädra ein paar müde Kommentare hinterher. "Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit", ist ihr letztes Wort in den Saal. Nichts zu danken, aber im zweiten Teil des Abends hatten wir damit doch erhebliche Mühe.

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