Flüchtlingskrise im Mittelmeer:Ein Abiturient will Flüchtlinge retten

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Rettung auf der kürzesten Route: Immer noch wollen viele Flüchtlinge direkt von Libyen aus Italien erreichen - in diesem Jahr bereits 12 000.

(Foto: imago/Starface)
  • Der Abiturient Jakob Schoen hat mit sieben Mitstreitern die Organisation "Jugend Rettet" ins Leben gerufen.
  • Sie will Flüchtlingen im Mittelmeer helfen. 2015 versuchten 154 000 Menschen auf diesem Weg nach Europa zu kommen.
  • Finanziell hat "Jugend Rettet" die eigene Mission durch eine virale Spendenkampagne und eine Großspende abgesichert.

Von Philipp Nowotny

"Für eine Seenotrettung sind wir die wohl denkbar schlechtesten Leute", sagt Jakob Schoen. Und doch hat der 20-Jährige genau das vor: Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten, die über die zentrale Route Libyen-Lampedusa das Ziel Europa zu erreichen versuchen. Seit einem Jahr macht Schoen Werbung für sein Vorhaben, hat Gleichgesinnte um sich versammelt, einen Verein gegründet, sich mit Experten vernetzt, um Unmögliches zu stemmen und Unfassbares zu stoppen.

Gemeinsam mit sieben Berliner Studenten - durchschnittlich 25 Jahre alt - hat der Abiturient vom Bodensee in weniger als einem Jahr eine Organisation geschaffen mit professioneller Homepage, prominenten Unterstützern und potenten Geldgebern. In diesen Tagen hat das Projekt "Jugend Rettet" einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht: Bis 31. März wollte der Verein unter anderem über die Spendenplattform "betterplace.org" 80 000 Euro sammeln, um eine eigene Seenotrettungsmission vor der libyschen Küste zu starten. Bereits vor Ende der Frist sind 120 000 Euro zusammengekommen.

Trotz winterlicher Temperaturen fliehen Menschen über das Mittelmeer

Auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit in Europa zuletzt mehr auf die Ägäis gerichtet war: 2015 flohen 154 000 Menschen über das zentrale Mittelmeer. Trotz winterlicher Temperaturen kamen bereits in den ersten Monaten des Jahres 2016 laut Internationaler Organisation für Migration wieder knapp 12 000 Flüchtlinge in Italien an, die meisten aus Nigeria, Gambia und dem Senegal.

Die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge ist gestiegen. Hilfsorganisationen wie "Jugend Rettet" befürchten, dass sich dieses Phänomen etwa durch den in Deutschland ausgesetzten Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige verstärken könnte. "In Libyen warten derzeit Hunderttausende auf gutes Wetter, damit sie losfahren können", sagt "Jugend Rettet"-Sprecherin Pauline Schmidt.

Gegründet hat Jakob Schoen den Verein, nachdem in der Nacht vom 18. auf den 19. April 2015 mehr als 800 Menschen vor Libyen ertrunken waren. "Die öffentliche Meinung war: So ist es eben, da sind wir ohnmächtig", sagt Schoen. Er wollte das nicht glauben, etwas unternehmen, sprach mit Reedern, telefonierte sich zu Leuten durch, die etwas von Seenotrettung und Mittelmeer verstehen, baute mit seinen Mitstreitern Schritt für Schritt die eigene Angst ab, vielleicht doch zu idealistisch an die Sache heranzugehen.

In Folge der Katastrophe im April 2015 hatten auch die EU-Staaten reagiert und Militärschiffe ins zentrale Mittelmeer entsandt, um kriminelle Schlepper zu bekämpfen. Alleine die deutsche Marine rettete seither knapp 12 500 Menschen aus Seenot, gewissermaßen als Begleiterscheinung der Operation "Sophia".

Neben nationalen Streitkräften beteiligen sich zivile Organisationen an der Rettung

Kritiker monieren, der Einsatz spiele den Schleusern in die Hände, weil er ihnen das Geschäft erleichtere. So einen "Pullefekt" will die Bundeswehr nicht bestätigen, immerhin seien die Flüchtlingszahlen von 2014 auf 2015 um rund zehn Prozent gesunken. Ohnehin: "Wenn Sie als Soldat einer schwangeren Frau das Leben gerettet haben, dann stellen Sie sich nicht die Sinnfrage", sagt Bundeswehr-Sprecher Bastian Fischborn.

Tatsächlich haben die gut vernetzten Schleuser schnell auf die neue Situation reagiert. In kaum steuerbaren Schlauchbooten schicken sie die Flüchtlinge führerlos aufs Meer, nur mit so viel Kraftstoff ausgestattet, dass sie internationale Gewässer erreichen. Dort werden die Boote meist von europäischen Schiffen abgefangen. Neben nationalen Streitkräften beteiligen sich auch zivile Organisationen an der Rettung, darunter Ärzte ohne Grenzen, SOS Méditerranée, Sea-Watch oder die Migrant Offshore Aid Station (MOAS).

Bald will "Jugend Rettet" ein Schiff im Mittelmeer stationiert haben

Von Juni an will "Jugend Rettet" ein eigenes Schiff in die Gewässer zwischen Libyen und Italien schicken, nach knapp einem Jahr intensiver Planung. Derzeit verhandelt der Verein über einen holländischen Fischtrawler: 33 Meter lang, hochseetüchtig, mit moderner Navigationstechnik und viel Platz unter Deck. Bis zu 100 Menschen könnte das Schiff aufnehmen, eine Mannschaft aus ehrenamtlichen Seeleuten soll es steuern.

Ein paar Trennwände müssten noch eingezogen werden, um Frauen und Kinder zu separieren und zum Schutz der Crew: Vor ihrer Rettung sind viele Flüchtlinge wochen- und monatelang unterwegs, von Schleppern über jahrhundertealte Karawanenrouten durch die Sahara geschleust. "Alle diese Menschen haben körperliche Gewalt erfahren, alle Frauen sexuelle Gewalt", sagt Bundeswehrsprecher Fischborn. In sehr schlechtem Zustand - psychisch, physisch und hygienisch - werden sie im Mittelmeer aufgegriffen, häufig mit Krätze oder Tuberkulose.

Zu tun gibt es genug: 2015 starben auf der zentralen Route 2892 Menschen

Natürlich soll der "Jugend Rettet"-Einsatz koordiniert werden - vom Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) in Rom. Teilweise arbeiten militärische und zivile Schiffe Hand in Hand, nehmen einander Flüchtlinge ab und unterstützen sich medizinisch. "Wir begrüßen die privaten Initiativen", sagt Fischborn. Zu tun gibt es nach Ansicht der Helfer genug, denn auch 2015 starben auf der zentralen Route 2892 Menschen. Mehr als 100 Tote sind es im aktuellen Jahr, obwohl die "Saison" noch gar nicht richtig begonnen hat.

Finanziell hat "Jugend Rettet" die eigene Mission mittlerweile abgesichert durch eine virale Spendenkampagne und eine Großspende für den Schiffskauf, das ungefähr 150 000 Euro kosten wird. Allerdings sind auch künftig noch mehr als 30 000 Euro für den Betrieb nötig - monatlich. Mit Helfern und Botschaftern in mittlerweile 29 Städten spricht der Verein dafür dezidiert junge Menschen an. "Wir wollen unserer Generation zeigen, dass humanitäre Hilfe nicht nur vor der eigenen Haustüre stattfinden darf", sagt Pauline Schmidt.

Da "Jugend Rettet" die Öffentlichkeit vornehmlich im Internet sucht, gibt es auch viele Kritiker. "Kommentare unter Artikeln über uns lesen wir nicht mehr", sagt Schmidt. Ein Spießrutenlauf zwischen Unverständnis und Schleppervorwürfen sei das. "Aber seit wann muss man sich eigentlich rechtfertigen, dass man was dagegen hat, wenn Leute sterben?" Gerne würden sie auf den Einsatz verzichten, "wenn die EU-Staaten endlich ein richtiges Seenotrettungsprogramm auf die Beine stellen würden."

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