Prozess in Lüneburg:"Was Frau Kröger sonst so treibt"

Landgericht Lüneburg

Vor dem Landgericht Lüneburg werden wohl auch die beiden Polizisten als Zeugen aussagen, die als Urheber der Lauschangriff-Idee gelten.

(Foto: Philipp Schulze/dpa)

Ein früherer Oberstaatsanwalt soll eine Journalistin über Ausspähungspläne gegen sie informiert haben. Der Prozess gegen ihn wirft Fragen zur Pressefreiheit auf.

Von Thomas Hahn

Dieser Prozess kann ein paar Wahrheiten über Polizei und Justiz ans Licht bringen, die der deutsche Staat nicht gerne hört. Das ist auch aus Sicht des früheren Verdener Oberstaatsanwalts Hansjürgen Schulz das Gute daran. Allerdings ist er derjenige, der bei dem Prozess am Landgericht Lüneburg seit Anfang März auf der Anklagebank sitzt. Deshalb ist die ganze Angelegenheit, die vor fünf Jahren nach entlarvenden Medienberichten über das polizeiliche Verständnis von Pressefreiheit begann, keineswegs lustig für ihn. Verletzung des Dienstgeheimnisses lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Schulz soll dem Weser-Kurier verraten haben, dass hohe Polizeibeamte überlegten, mit Lauschangriffen und Durchsuchungen gegen die Reporterin Christine Kröger zu ermitteln. Schulz bestreitet das und muss nun feststellen, dass ihm ein Rechtsbruch zur Last gelegt wird, durch den ein erwogener Rechtsbruch der Polizei erst öffentlich wurde. "Es ist absurd", sagt sein Anwalt Martin Stucke.

Wie geschützt ist die Pressefreiheit in Deutschland? Das ist die Frage, die über dem Fall des früheren Oberstaatsanwalts Schulz schwebt. Und wenn man den Stand des Vorgangs betrachtet, dann liegt die Antwort nahe: Vor allem bei der Polizei, die als staatliche Ordnungsmacht das Grundrecht der Pressefreiheit hüten sollte, ist nicht ganz klar, ob wirklich alle den Wert dieses Grundrechts vollständig verstehen.

Schulz muss sich auch wegen Vorteilsannahme verantworten. Nach seiner Scheidung und persönlichen Nachlässigkeiten war Schulz zwischendurch derart abgebrannt, dass er einen Dolmetscher um Hilfe bat, der schon oft für die Staatsanwaltschaft Verden gearbeitet hatte. Dass er Schulz mit 6000 Euro aushalf, legt den Verdacht nahe, Schulz habe ausgenutzt, dass der Dolmetscher keinen Auftraggeber verlieren wollte. Wirklich hart geworden ist der Verdacht nicht, als der Übersetzer am Dienstag im Zeugenstand aussagte. Und für Anwalt Martin Stucke ist der Vorwurf der Vorteilsannahme nur "der Hebel", um einen missliebigen, weil korrekten Staatsdiener zu schwächen. Nach seiner Darstellung geht es darum, dass die Behörden eine Mentalität bei der Polizei schützen wollen, die in einer freien, kritischen Presse einen Gegner sieht. Der Vorwurf des Geheimnisverrats war jedenfalls früher da.

Angefangen hat die ganze Geschichte im Frühjahr 2009 nach einem Weser-Kurier-Bericht der preisgekrönten Reporterin Kröger über Ermittlungsfehler der Polizei in einem Mordfall. Die Polizei interessierte damals, wie Christine Kröger an die Ermittlungsakten gekommen war, auf die sich ihr Artikel stützte. Und die zuständigen Kommissare hatten dazu auch schon eine Idee, die sie Oberstaatsanwalt Schulz und dessen Behördenleiter Helmut Trentmann eröffneten: nämlich, so schrieb Schulz in einem Vermerk über die Unterredung, die Telefonverbindungen der Journalistin auszuwerten, um "präventiv ein Signal" zu setzen, Informanten zu enttarnen und bei der Gelegenheit auch zu erfahren, "was Frau Kröger sonst so treibt". Auch eine Durchsuchung kam den Aufzeichnungen zufolge zur Sprache. Beides sei rechtlich unzulässig, sagte Schulz. Er verwies auf das sogenannte Cicero-Urteil von 2007, bei dem das Bundesverfassungsgericht infolge einer Polizei-Razzia bei dem Magazin Cicero entschieden hatte: "Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln."

Zwei Jahre nach der Unterredung landete Schulz' Vermerk beim Weser-Kurier und anderen Medien und damit das Vorhaben der Polizeivertreter in der Öffentlichkeit. Im Mai 2011 richteten die Grünen, damals Opposition im niedersächsischen Landtag, eine Kleine Anfrage zu dem Thema an die schwarz-gelbe Landesregierung. Und im Juli rückte die Polizei bei Schulz an. Heute sieht der sich durch einen bloßen Verdacht in die Frühpensionierung gezwungen. Er sagt: "Ich war's nicht."

Polizei und Politik haben die Vorwürfe seinerzeit an sich abperlen lassen. Im Weser-Kurier sagte der Oldenburger Polizeipräsident Hans-Jürgen Thurau, im Falle Kröger seien wie üblich, "alle rechtlichen Erfordernisse und Möglichkeiten erörtert und abgestimmt" worden. Der Schutz der Pressefreiheit genieße in seiner Direktion "eine besonders hohe Bedeutung". Der damalige CDU-Innenminister Uwe Schünemann erklärte, "die Thematik ,Grundrecht der Pressefreiheit nach Artikel 5 GG' und damit auch das Cicero-Urteil" komme in der Polizisten-Ausbildung auf vielfältige Weise vor. Und was die Polizisten selbst sagen, die mit ihrer Lauschangriff-Idee abblitzten, wird der Prozess zeigen. Der Leiter der Polizeiinspektion Verden/Osterholz und sein erster Kriminalhauptkommissar sind als Zeugen vorgemerkt. War vielleicht doch alles ganz anders?

Das glaubt Schulz-Anwalt Stucke nicht, "bis zum Beweis des Gegenteils". In der Erfahrung seines Mandanten liest er vielmehr einen fatalen Machtanspruch von Polizei und Justiz. Er geht davon aus, dass die Polizei gegen viele Journalisten auf unlautere Art ermittelt - ohne Widerstand von Oberstaatsanwälten. "Wenn es zu so einem Vorgang überhaupt kommt, dann ist das kein erstmaliger Vorgang, sondern die Denke", sagt Stucke. Deshalb habe Schulz es damals auch nicht dabei bewenden lassen, die Polizisten ausgebremst zu haben. Auch dem Vorermittlungsrichter habe er erklärt, dass er Ermittlungen gegen die Journalistin Kröger nicht zulassen dürfe. "Denn", sagt Stucke, "das hat es schon gegeben, dass die Polizei einen Antrag bei einem anderen Oberstaatsanwalt stellte und der diesen dann durchgehen ließ."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: