Das Mutter-Bild von heute:Immer noch die Beste

Das Mutter-Bild von heute: Auch sie warten weiter geduldig auf eine Erdung der Diskurse.

Auch sie warten weiter geduldig auf eine Erdung der Diskurse.

(Foto: Regina Schmeken)

Mütter werden heute kontrolliert, manipuliert und abkassiert - das behaupten Alina Bronsky und Denise Wilk. Blicken sie dabei über ihren Tellerrand hinaus?

Von Ralf Bönt

Im vergangenen Jahr überraschte Alina Bronsky, die erfolgreiche Romane für jüngere Leser geschrieben hatte, mit der Erzählung "Baba Dunjas letzte Liebe". Baba Dunja ist sehr alt und zieht sich in ihr Haus im verstrahlten Tschernobyl zurück, um die letzten Tage mit der eingebildeten Liebe zu ihrer in Deutschland lebenden Enkelin zu verbringen. Die hinreißende Hommage an die Freiheit des Menschen ist eine Seltenheit in der deutschen Literatur.

Ein Kind gehöre zu seiner Mutter, sagt Baba Dunja einmal. Offenbar handelt es sich um Bronskys Lebensthema, denn nun legt sie zusammen mit der Geburtshelferin Denise Wilk den Essay "Die Abschaffung der Mutter" nach. "Mütter", heißt es in der Einleitung, "jeder von uns hat eine. Manche sind mit einer verheiratet. Andere sind es selbst. Wir zum Beispiel." Tatsächlich haben beide Autorinnen zusammen beeindruckende zehn Kinder, wie man im Klappentext erfährt. Das ist eine gute Nachricht, wird doch der Geschlechterwandel sonst gern von kinderlosen Protagonisten der Gendertheorie und des Feminismus verfochten, von Theoretikerinnen. Schon im Voraus dankbar erwartet man eine furiose Gegenrede zur These vom sozialen Geschlecht und einen Einspruch gegen die Kapitalisierung der Biografien, gegen Karrieredruck und falsch verstandene Gleichmacherei, in der die Männer herumirren wie gerupftes Federvieh. Man erwartet eine Erdung des Diskurses.

Die Positionen finden sich im Buch auch. Furios ist das Buch auch, aber anders als gedacht, eher wie befürchtet: Es handelt sich um eine Cholerik im Geiste der Dünnhäutigkeit. Die Autorinnen behaupten, dass die Mutter heute neuerdings kontrolliert, manipuliert und abkassiert wird. Sie versuchen aber über die größte Strecke nicht einmal zu analysieren oder zu argumentieren, sondern grasen Zeitungsartikel und Kaffekränzchen nach Indizien ab, die ihre These stützen. Das geht dauernd schief. Dass quasi niemand einer Schwangeren oder Frau mit Kleinkind in den Berliner U-Bahnen einen Platz frei machen würde, kann der Rezensent jedenfalls so gar nicht bestätigen. Und von Schwangeren würde man vielmehr erwarten, mit ihren dicken Bäuchen Rücksicht zu nehmen, auch auf Gefühle derer, die sich den Kinderwunsch nicht erfüllen können?

Übergriffigkeit nimmt zu in Arztpraxen und Krankenhäusern, Politik und Gerede

In paranoider Logik einer gefühlten Weltverschwörung gegen die Mutter geht es über die ersten acht Kapitel. Dabei ist die Beobachtung einer zunehmenden Übergriffigkeit in Arztpraxen und Krankenhäusern, Politik und Gerede so richtig wie wichtig: Nicht jede verkaufte Behandlung ist sinnvoll, immer mehr Menschen trauen sich nicht mehr zum Arzt. Man lernt bei Bronsky und Wilk aber nichts, was man nicht schon auf jedem Kita-Flur diskutiert hätte. Die fortschreitende Aggressivität des freien Marktes und der Verlust an Empathie haben auch gar nichts mit Mutterschaft zu tun, findet man sie doch genauso beim Zahnarzt, im Straßenverkehr oder auf dem Bau. Warum der Staat in diesem Drama der falsch verstandenen Freiheit die körperliche Unversehrtheit des Bürgers nicht schützt, hat der ehemalige Staatsanwalt Erich Schöndorf in seinem Buch "Von Menschen und Ratten" gezeigt.

Bronsky und Wilk surfen dagegen durch allfällige Themen von Entbindung bis künstlicher Befruchtung, ohne je eine Grenze der mütterlichen Verantwortung zu ziehen. Lieber kippen sie Unmut über jeden, der ihnen nicht zu Füßen liegt und gleichzeitig die Tür aufhält. So verstehen sie eine Mutter nur zu gut, die eine Kindergruppe meidet, nachdem die Erzieherin ihrem Kind die Nase so übergriffig geputzt hat, obwohl doch die Mutter anwesend war. Oder behaupten, Väter bekämen mehr Nachsicht vom Chef, wenn das Kind zum Logopäden muss. In den Stunden der Lektüre diese Buches wird man den Eindruck nicht los, es habe einen Verlagsvertrag gegeben, in dem die Seitenzahl nach der Überzeugung festgelegt war, dass Haptik unter Gleichgesinnten schon Kasse mache. In der Eile darf man dann auch fordern, Sibylle Lewitscharoff doch bitte nach ihrem Büchner-Preis zu beurteilen und nicht nach ihrer Dresdner Skandalrede gegen künstliche Befruchtung. Elisabeth Badinter kanzeln Bronsky und Wilk im Vorbeigehen als Intellektuelle ab, um mit ihrer Schubkarre voll Antimodernismus vorbeizukommen. Dabei sind ihre Überlegungen um Geburtshaus, Hausgeburt und Kreißsaal auf dem Stand der Achtzigerjahre und längst überholt. Allen Ernstes wenden sie sich dann sogar gegen den Mutterpass, Begründung: Die Zahl der Risikofaktoren stieg binnen zwanzig Jahren von 17 auf 52 an, als würden Mütter und Säuglinge nicht immer gesünder, sondern immer kränker!

Das ganze Ausmaß des Realitätsverlustes tritt schließlich im Kapitel über den Vater als bessere Mutter zutage. Unter dem Vorwand, um das Kind konkurrierende Eltern nicht zu wollen und auf die besondere Rolle der Mutter zu verweisen, versteigen sich Bronsky und Wilk zu der Darstellung, in Sorgerechtsfällen stehe die Mutter heute einer Mafia aus Gerichten, Gutachtern und Vätern gegenüber, die kaum einer ihr Kind oder Auskommen lässt. Hatten sie bei der Ablehnung der Leihmutterschaft noch mit dem psychischen Wohl des Kindes argumentiert, verraten sie sich mit dem Angriff auf das Recht des Kindes auf den Vater: Es geht ihnen nicht ums Kind, sondern um die Macht der Mutter, laut Canetti die einzige totale Machtkonstellation im Leben. Der Vater? Soll erst mal eine liebevolle Beziehung zur Frau aufbauen!

Von Zürich bis Houston kämpfen Väter darum, mit ihren Kindern leben zu dürfen

Alina Bronsky verehrt Alice Schwarzer, greift aber viele Positionen als vermeintlich feministische an, reklamiert also den besseren Feminismus für sich. Nicht nur deshalb muss man fragen, was eigentlich mit dem Feminismus los ist, dass er jetzt in diesem Hyperegoismus versinkt. Man findet ihn schließlich auch bei der israelischen Soziologin Orna Donath, die die bereute Mutterschaft propagiert. Auch sie weiß kaum, wie man Väter buchstabiert, die heute von Zürich bis Houston darum kämpfen, mit ihren Kindern leben zu dürfen. Das Versäumnis, nicht über den eigenen Nudelsuppentopf hinaus sehen zu wollen, lädt Schuld auf sich. Bei Badinter, zum Beispiel, kann man auch zwischen zwei Windeln nachlesen, wie fest das christliche Konzept von Vaterschaft mit der autoritären Persönlichkeit verknüpft ist. Dass sie der Nothaltegriff des ausgegrenzten, vermeintlich entbehrlichen Vaters ist: auch nicht mehr so ganz so arg neu. Soziologen wissen übrigens, dass ein Donald Trump diese Sehnsucht nach Autorität bedient, während wir uns in einem Krieg um ihre religiösen Variationen befinden. Die von Bronsky und Wilk reklamierte vormoderne Mutter arbeitet diesem Konfliktherd zu, und das ist der Grund, warum sie reaktionär ist.

Benommen liest man in den Kapiteln neun und zehn dann bedenkenswerte Zustimmung zur Herdprämie und berechtigte Kritik an der viel zu frühen Eingewöhnung von Säuglingen in der Fremdbetreuung. So weit kommt aber gewiss niemand, der nicht im Modus der reinen Affirmation liest, dass Mutter die Beste und die Welt eine Scheide ist.

Alina Bronsky, Denise Wilk: Die Abschaffung der Mutter. Kontrolliert, manipuliert und abkassiert - warum es so nicht weitergehen darf. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016. 256 Seiten, 17,99 Euro. E-Book: 13,99 Euro. Der Schriftsteller Ralf Bönt veröffentlichte 2012 "Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann". 2015 erschien sein Roman "Das kurze Leben des Ray Müller".

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