Sozialpolitik:Das Recht auf Sparen

Sozialpolitik: Constantin Grosch kann ohne Assistenten nicht leben. Die Kosten trägt überwiegend das Sozialamt. Das ist gut für ihn - und auch Teil seines Problems.

Constantin Grosch kann ohne Assistenten nicht leben. Die Kosten trägt überwiegend das Sozialamt. Das ist gut für ihn - und auch Teil seines Problems.

(Foto: Jasmin Teutrine)

Für Behinderte, die auf Hilfe angewiesen sind, muss sich Arbeiten lohnen - das fordern Hunderttausende in einer Petition. Ein neues Gesetz soll Abhilfe schaffen, doch die Finanzierung ist strittig.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Constantin Grosch, 23, sitzt seit dem zehnten Lebensjahr im Rollstuhl. Er ist an Muskelschwund erkrankt, braucht Hilfe, für alles, was Kraft in den Armen oder Beinen erfordert. Ohne einen Assistenten, der ihm beim An- und Ausziehen, beim Kochen oder dem Gang zur Toilette hilft, kann der Student der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften nicht leben.

Die Kosten für die Assistenten, die im Schichtdienst arbeiten, trägt überwiegend das Sozialamt. Das ist einerseits für Grosch eine gute Sache. Andererseits ist das Teil eines Problems, das er sein Leben lang haben wird, sofern sich im Sozialgesetzbuch XII nichts ändert: Für ihn wird es sich niemals lohnen, Geld zu verdienen oder für die Altersvorsorge zu sparen.

Was das Sozialamt für die Assistenten bezahlt, ist eine einkommensabhängige Leistung. Die Behörden können deshalb - je nach Einzelfall und seiner Schwere - bis zu 80 Prozent des Einkommens einziehen. "Das bedeutet, dass ich nur den doppelten Hartz-IV-Satz, also etwa 800 Euro verdienen darf, ohne dass ich diese drastischen Abzüge habe", sagt Grosch. Das ist aber noch nicht alles: "Geld fürs Alter kann ich auch nicht zurücklegen, weil ich nur ein Vermögen von 2600 Euro ansparen darf. Was darüber hinausgeht, kassiert das Sozialamt." Von einer Erbschaft hätte der junge Mann auch nichts - hier muss das Sozialamt laut Gesetz ebenfalls zugreifen. Und für eine Frau ist er, überspitzt gesagt, eine tickende Zeitbombe: "Würde ich mit ihr zusammenleben, wird ihr Geld teilweise auch eingezogen."

Grosch hat deshalb mit dem Behinderten-Aktivisten Raul Krauthausen vor mehr als zwei Jahren eine Online-Petition über die Kampagnenplattform Change.org initiiert. Darin wird "ein Recht aufs Sparen" proklamiert. Auch Behinderte sollen ein angemessenes Gehalt für sich behalten und Vermögen aufbauen dürfen, wenn sie vom Sozialamt Assistenz bezahlt bekommen. Die Petition gehört mittlerweile zu den fünf erfolgreichsten Petitionen auf der Seite. Mehr als 325 000 Nutzer haben sie bereits unterschrieben. "Offenbar empfinden auch viele Nicht-Behinderte diese Regelung als große Ungerechtigkeit", sagt Grosch. Das zeigt auch eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Internetplattform abgeordnetenwatch.de. Danach sprachen sich 65 Prozent der gut 1000 Befragten dafür aus, die Hilfe unabhängig von Einkommen und Vermögen zu zahlen.

Kosten dürfte dies dem Steuerzahler etwa 400 bis 500 Millionen Euro im Jahr, bei mehreren zehntausend betroffenen Schwerbehinderten, die Geld verdienen und auf Assistenz angewiesen sind. Im Bundesarbeitsministerium hieß es dazu bereits im Oktober 2015, es sei ein klares Ziel, im geplanten Bundesteilhabegesetz "hier zu Verbesserungen zu kommen". Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will noch im Frühjahr einen Entwurf des neuen Gesetzes vorlegen. Dass die Einkommens- und Vermögensgrenzen dabei komplett wegfallen werden, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Nahles würde dafür von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wohl kein zusätzliches Geld bekommen.

Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, unterstützt die Petition. Sie hält die aktuelle Gesetzeslage für "ungerecht und menschenrechtlich nicht vertretbar". Es sei den Betroffenen nicht möglich, zu sparen, "obwohl sie genauso gute Arbeit leisten und genauso viel verdienen wie ihre Kollegen". Bentele hält die Regel für ein "Damoklesschwert, das über jedem von uns schwebt". Jeder könne schnell durch einen Unfall oder eine schwere Krankheit in eine solche Situation kommen.

Grosch jedenfalls weiß schon, was ihn erwartet, sollte nichts geschehen: "Ich kann mich anstrengen, wie ich will. Im Alter werde ich arm sein."

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