Duisburg:Staatsanwaltschaft will Loveparade-Strafprozess mit Beschwerde retten

Lesezeit: 2 min

  • Nach dem Loveparade-Unglück 2010 mit 21 Toten soll es nach einem Beschluss des Duisburger Landgerichts keinen Strafprozess geben.
  • Das entscheidende Gutachten zu dem Unglück wurde vom Gericht als "unverwertbar" bezeichnet.
  • Die Duisburger Staatsanwaltschaft hat eine Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt und will so erreichen, dass es doch noch zu einem Prozess kommt.

Von Bernd Dörries

"Das ist eine Bankrotterklärung der deutschen Justiz", sagt Julius Reiter. Seit mehr als fünf Jahren vertritt der Rechtsanwalt viele Hinterbliebene der Katastrophe auf der Loveparade 2010.

21 Besucher waren damals ums Leben gekommen, erdrückt in der Masse, im viel zu kleinen Eingangsbereich. Nun muss Reiter die Eltern der Toten anrufen, in Spanien, in China und ihnen erzählen, dass die deutsche Justiz kein Verfahren eröffnet. Dass es also keine Schuldigen gibt. Alles einfach so passiert.

Mit Beschluss vom 30.3. hat das Landgericht Duisburg entschieden, die Anklage gegen zehn Beschuldigte nicht zuzulassen. Es sei der Anklage nicht gelungen "den Beweis für die den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen und deren Kausalität zu erbringen", schreibt das Gericht im Beschluss, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt. Die ablehnende Entscheidung des Landgerichts sei "nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft", teilte die Anklagebehörde am Dienstag mit.

SZ MagazinDie Loveparade-Katastrophe
:Schuld ohne Sühne

Am 24. Juli 2010 starben 21 Menschen bei der Loveparade in Duisburg. Bis heute ist die Schuldfrage nicht geklärt. Fünf Jahre danach erzählen Betroffene vom Tag, der alles veränderte.

Von Thomas Bärnthaler und Christoph Cadenbach

Mehr als 60 000 Seiten Akten, mehr als fünf Jahre Ermittlungen. Alles umsonst?

Das Gutachten war schlampig geschrieben

Zwei Punkte waren für die Anklage entscheidend. Die Rampe, die zum Festivalgelände führte, war am Veranstaltungstag durch Zäune verstellt. Statt der vorgesehenen 18,28 Meter war sie an der schmalsten Stelle nur 10,59 Meter breit.

Die sechs Angeschuldigten der Stadt Duisburg und die vier beschuldigten Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent hätten die Hindernisse aus dem Weg räumen müssen, dann hätte sich auch keine tödliche Menschenmenge gebildet, so die Staatsanwaltschaft. Außerdem sei das Veranstaltungskonzept schöngerechnet gewesen. So viele Menschen hätten nie durch den Tunnel und die schmale Rampe auf das Veranstaltungsgelände geschleust werden dürfen.

Belegt werden sollte das vor allem durch das Gutachten des englischen Experten für Menschenverdichtungen, Keith Still. Sein erstes Gutachten gab der Professor am 9. Dezember 2011 ab. "Final Report" nannte er es. Dabei war daran gar nichts final. Es war schlampig geschrieben und voller Fehler. Immer wieder stellte das Gericht Nachfragen, zuletzt mehr als 70. Geholfen hat es nicht.

"Das Gutachten ist wegen erheblicher Verstöße von Prof. Dr. Still gegen Grundpflichten eines Sachverständigen unverwertbar", schreiben die Richter. Still habe seine Pflicht zu "Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität" verletzt. Bei mehreren Vorträgen und auf seiner Homepage habe er sich darauf festgelegt, dass "Planungsfehler und Genehmigungsfehler" Ursache der Katastrophe waren. "Diese Äußerungen lassen aufgrund ihres Inhalts und ihrer Vielzahl Rückschlüsse auf die innere Haltung zu, die seine Neutralität beeinflussen kann." Zudem habe Still die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstellung verletzt und Hilfskräfte beauftragt.

Das bemängelten die Richter inhaltlich

Auch inhaltlich gibt es nach Ansicht des Gerichtes große Mängel. Die Anklage der Staatsanwaltschaft wollte mit dem Gutachten beweisen, dass die Beschuldigten sich die Kapazität des Geländes am Duisburger Bahnhof schöngerechnet hatten. Still war für diese These entscheidend. In der Wissenschaft sei es Konsens, dass mehr als 82 Menschen pro Meter und Minute nicht durch einen solchen Zugang geschleust werden können, so die Anklage. Konzept und Genehmigung zufolge seien es aber zwischen 17 und 18 Uhr 132 Menschen pro Minute und Meter gewesen. Das klingt nach einem heftigen Verstoß. Die Richter bemängelten aber nun in ihrer Ablehnung, Still habe keine "konkreten Angaben zu den tatsächlichen Besucherzahlen" machen können.

Das Gutachten des englischen Professors war von der Verteidigung der Beschuldigten jahrelang unter Feuer genommen worden. Wieso die Justiz in Duisburg keinen neuen Gutachter beauftragte, war vielen Beteiligten ein Rätsel. "Es obliegt nicht dem Gericht - hier fehlende - wesentliche Teile der Ermittlungsverfahrens nachzuholen", schreiben die Richter nun in ihrer Ablehnung.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg will mit ihrer Beschwerde erreichen, dass der Prozess doch noch eröffnet wird. Darüber entscheidet nun das Oberlandesgericht Düsseldorf. Bis zu einem Ergebnis kann es Monate dauern. Wird die Beschwerde abgelehnt, gibt es kein weiteres Rechtsmittel.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: