Gesellschaft:Warum es viel weniger Seitensprung-Kinder als gedacht gibt

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Familie mit Kind und Flasche.

(Foto: dpa)

Frühere Studien hatten ermittelt, dass bis zu 30 Prozent aller Kinder einen falschen Papa haben. Solche Zahlen kursieren hartnäckig - sie sind aber ziemlich sicher falsch.

Von Marlene Weiß

Witze über die Vaterschaft stehen in der Rangfolge abgedroschener Scherze ziemlich weit oben. Die Tochter sieht dem Vater kein bisschen ähnlich? Na, ob da nicht der Pizzabote . . . "Mama's baby, papa's - maybe", wird grinsend bemerkt. Schließlich, so ist es immer wieder zu hören, habe jedes zehnte Kind einen anderen Vater als den offiziellen. Mindestens. Doch tatsächlich sind die kursierenden Angaben über die Kuckuckskinder-Quote meist grotesk übertrieben.

Belgische Forscher um den Biologen Maarten Larmuseau von der Universität Leuven haben die bisher vorliegenden Studien analysiert. Demnach wurden weder heute noch in vergangenen Jahrhunderten auch nur annähernd so viele Väter getäuscht, wie in populärwissenschaftlichen Texten noch immer behauptet wird (Trends in Ecology and Evolution). Die Kuckuckskinder-Quote dürfte unter Menschen bei höchstens ein bis zwei Prozent liegen. "Wenn das stimmt, wäre es für viele Väter eine beruhigende Neuigkeit", schreiben die Forscher.

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass Väter sich entspannen können. Zwar haben diverse Studien ergeben, dass zehn, 20 oder gar 30 Prozent der Kinder in einem Seitensprung entstehen. Meist stützten diese sich aber ausschließlich auf Testergebnisse von Vaterschaftslaboren. Und die meisten Männer, die eine Vaterschaft überprüfen lassen, dürften einen mehr oder weniger begründeten Verdacht hegen. Seriöse Zufallsproben sind das nicht.

Vieles deutet darauf hin, dass Väter sich entspannen können

Johannes Fischer, Mediziner am Universitätsklinikum Düsseldorf, hat vor einigen Jahren Daten von Familien in Deutschland ausgewertet, in denen ein Kind eine Knochenmarkspende brauchte und darum Eltern und Geschwister genetisch untersucht wurden. Von 971 Kindern hatten demnach nur neun nicht den offiziellen Vater, weniger als ein Prozent. Eine ähnliche Studie aus der Schweiz hatte sogar nur 0,64 Prozent ergeben. "Bevor ich die Daten aus der Schweiz kannte, hätte ich auch mit höheren Zahlen gerechnet", sagt Fischer.

Nun könnte man annehmen, dass Frauen dank moderner Verhütungsmittel in der Lage sind, Schwangerschaften aus Seitensprüngen zu vermeiden, während das früher anders war. Doch selbst das widerlegen die belgischen Forscher. Sie zitieren mehrere Studien anhand von Veränderungen auf dem Y-Chromosom, das vom Vater an den Sohn weitergegeben wird.

Im Tierreich ist Fremdgehen häufig

Ein Seitensprung kann so noch nach Generationen auffliegen, wenn der vermeintliche Nachfahre eines Mannes ein anderes Y-Chromosom geerbt hat als seine Cousins und Onkel. Aber auch solche Studien in Belgien, Italien, Südafrika, Katalonien und Mali ergaben Anteile untergeschobener Kinder von nur 0,6 bis 1,8 Prozent, über bis zu 500 Jahre. Offenbar waren Frauen auch früher sehr treu, oder sehr vorsichtig.

Für viele Verhaltensforscher sind solche Zahlen überraschend. Im Tierreich, etwa unter Singvögeln, ist Fremdgehen häufig und kann sich für Weibchen lohnen - um dem Nachwuchs beste Gene zu sichern, oder in der Hoffnung, dass zwei Väter sich kümmern werden. Allerdings riskiert das weibliche Geschlecht mit Seitensprung-Schwangerschaften viel. Geschlechtskrankheiten zum Beispiel, und - falls die Untreue auffliegt - den Verlust des Partners. Wahrscheinlich lohne es sich kaum, diese Risiken einzugehen, schreiben die Forscher um Larmuseau. Jedenfalls nicht für die menschliche Spezies: "mit stark abhängigem Nachwuchs und großem Einsatz der Eltern".

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