Altersvorsorge:Heute jung, morgen arm - der Renten-Irrweg

Frühling in Passau

Rente und Altersvorsorge: Passauer sonnen sich am Inn-Ufer (Archiv)

(Foto: dpa)
  • Experten erwarten, dass heute junge Menschen im Alter deutlich niedrigere Renten erhalten werden als Senioren heute.
  • Bereits im Bundestagswahlkampf 2017 dürfte die Reform der Altersvorsorge ein großes Thema werden.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Vorhersagen, erst recht, wenn sie etliche Jahre voraus reichen, sind ein schwieriges Unterfangen. Das gilt auch für das Thema Rente. Sicher ist aber eins: Je jünger ein Arbeitnehmer ist, desto weniger kann er in Zukunft von seiner gesetzlichen Rente erwarten. Warnrufe gibt es deshalb schon lange, aus ganz verschiedenen Ecken. Schon die frühere Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schlug Alarm: "Es steht nicht mehr und nicht weniger als die Legitimität des Rentensystems für die junge Generation auf dem Spiel." Der Generalsekretär des Staatenbundes OECD, Angel Gurría, prognostiziert: "Deutschland bekommt ein Problem mit der Altersarmut." Rentenexperten rechnen vor: Wer in etwa 25 Jahren Altersgeld kassiert, bekommt etwa 20 Prozent weniger Leistungen als einer, der soeben das Berufsleben beendet hat.

Doch langsam formiert sich der Widerstand gegen den Fall des Rentenniveaus, den die frühere rot-grüne Bundesregierung beschlossen hatte, um die Beiträge für die jüngere Generation einigermaßen stabil halten zu können. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wird im Spätsommer eine millionenschwere Kampagne für höhere Renten starten. Und auch in der großen Koalition werden Rufe nach einem Kurswechsel laut.

Ein Durchschnittsverdiener muss 26,5 Jahre für eine Rente auf Hartz-IV-Niveau arbeiten

Einst lag das Niveau des gesetzlichen Altersgeldes netto und vor Abzug von Steuern bei deutlich mehr als 50 Prozent (siehe Grafik) eines Durchschnittsverdienstes. Die Rentenversicherung rechnet dabei mit einem Standardrentner, der 45 Jahre lang zum Durchschnittslohn (derzeit 3022 Euro im Monat) gearbeitet hat. Dieses Sicherungsniveau wird nach Angaben der Bundesregierung von knapp 48 Prozent in diesem Jahr auf etwa 44 Prozent bis 2030 sinken. Und danach dürfte es weiter auf unter 40 Prozent im Jahr 2040 fallen.

Für Karl-Josef Laumann, Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) in der CDU, ist daher klar: "Wer über die Rente redet, sollte auch über die Zukunft des Rentenniveaus reden." Dessen Senkung könne langfristig "das Vertrauen in die Rentenversicherung untergraben", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Gleiches gilt für den Fall, dass jemand, der keine oder kaum Rentenbeiträge gezahlt hat, aus der staatlichen Grundsicherung womöglich genauso viel erhält wie jemand, der jahre- und jahrzehntelang in die Rentenkasse eingezahlt hat."

Im Moment beläuft sich die staatliche Grundsicherung im Alter (sozusagen das Hartz IV für Rentner) laut Statistischem Bundesamt auf durchschnittlich 773 Euro. Laumann spielt nun darauf an, dass ein Durchschnittsverdiener bereits 26,5 Jahre arbeiten und entsprechend Rentenbeiträge zahlen muss, um diese Höhe zu erreichen. In Zukunft wird so ein Muster-Arbeitnehmer dafür wohl noch einige Jahre draufsatteln müssen. Üppige Rentenerhöhungen wie in diesem Jahr von mehr als vier Prozent im Westen und fast sechs Prozent im Osten ändern daran nichts, weil die Löhne langfristig stärker steigen werden als die Renten.

In der SPD wächst deshalb auch die Sorge um das Alterssicherungssystem. "Wir müssen die gesetzliche Rentenversicherung stärken und das Rentenniveau wieder anheben", fordert Klaus Barthel, Vorsitzender der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Er begründet dies mit der Erkenntnis, dass "die Riester-Rente gescheitert ist".

Schon im Bundestagswahlkampf 2017 dürfte die Reform der Altersvorsorge ein großes Thema werden

Die frühere rot-grüne Bundesregierung wollte mit der privaten und betrieblichen Altersvorsorge die Verluste beim Rentenniveau ausgleichen. Das aber blieb ein gut gemeinter Wunsch, da sind sich Barthel und Laumann einig. "Gerade die Geringverdiener, die es besonders bräuchten, nutzen die zusätzliche, kapitalgedeckte Vorsorge zu wenig", sagt der SPD-Abgeordnete. "Es muss uns zu denken geben, wenn mindestens 30 Prozent der Menschen nicht zusätzlich vorsorgen - weder betrieblich noch privat", ergänzt der CDU-Mann.

Bei der Riester-Rente liegt allerdings noch mehr im Argen: Wegen der historisch niedrigen Zinsen werfen die Verträge immer weniger ab. Trotzdem wird im Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung weiter unterstellt, dass die Riester-Verträge im Durchschnitt vier Prozent Zinsen bringen. Hinzu kommt: Die Kosten sind vielfach zu hoch. Nicht einmal jeder zweite Sparer schöpft die Förderung voll aus. Bei fast einem Fünftel der Verträge wird sogar überhaupt nichts mehr eingezahlt. Für Barthel steht somit fest: "Der Staat muss aufhören, neue Verträge zu subventionieren." Nur für alte Verträge solle weiter Steuergeld fließen, zuletzt etwa drei Milliarden Euro jährlich. "Das Geld ist in der gesetzlichen Rentenversicherung besser aufgehoben", sagt er.

"Die Riester-Rente ist gescheitert." Das sagt jetzt auch CSU-Chef Horst Seehofer

Auch für Laumann ist die Riester-Rente nicht in Stein gemeißelt. Für viele Menschen seien die zusätzlichen Vorsorgeformen viel zu undurchsichtig. "Daher müssen wir die ergänzende Vorsorge einfacher, transparenter und kostengünstiger machen", fordert er. Laumann schlägt vor, die betriebliche Altersvorsorge auszubauen. "Auch eine Pflicht zur betrieblichen Altersvorsorge ist denkbar." Das Bundesarbeitsministerium arbeitet an einem entsprechenden Konzept, das voraussichtlich im Sommer endgültig vorgelegt wird. Das Kernproblem der betrieblichen Altersvorsorge wird dabei allerdings nicht infrage gestellt: Für gesetzlich Krankenversicherte bleibt von dieser Zusatzrente wenig übrig, weil darauf der volle Beitrag für die Kranken- und Pflegekasse fällig wird.

Beim Rentenniveau wird bis zur Bundestagswahl ebenfalls nichts passieren. Das Parlament müsste sich damit in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen, verlangt Laumann. Doch bereits im Bundestagswahlkampf 2017 wird die Reform der Altersvorsorge ein großes Thema werden, auch für Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Bayerns Ministerpräsident treibt die Sorge um, dass viele Wähler in die Altersarmut abrutschen könnten. Nun räumte er erstmals öffentlich ein: "Die Riester-Rente ist gescheitert." Nötig sei "eine große Rentenreform". Die Rente, so wie sie 2002 reformiert wurde, werde "keinen Bestand haben. Alle Prognosen von damals sind überholt."

Das Rentenniveau anzuheben oder zumindest auf dem jetzigen Stand einzufrieren, wird aber teuer. Das zeigt schon die dafür einschlägige Faustformel: So kostet nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung ein Prozentpunkt Veränderung des Niveaus einen Rentenbeitrag von 0,5 Prozent. Das entspricht, so rechnen Rentenexperten vor, etwa sechs Milliarden Euro. Nur das Netto-Rentenniveau vor Steuern von derzeit 47,5 Prozent beizubehalten, statt es nach den Vorausberechnungen bis 2030 auf 44,4 Prozent sinken zu lassen, würde also bereits ungefähr 18 Milliarden Euro jährlich kosten. Der Präsident der Rentenversicherung, Axel Reimann, spricht von "Mehraufwendungen in zweistelliger Milliardenhöhe, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Beitragssatz". Denn würde dafür nicht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit einem erhöhten Zuschuss für die Rentenkasse aufkommen, müssten dafür die Beitragszahler tief in die Taschen greifen. Die Beitragssätze würden so schnell von derzeit 18,7 auf weit mehr als 22 Prozent steigen. Die aber gelten in Berlin als langfristig gerade noch so akzeptable Obergrenze.

Trotzdem macht sich auch Reimann dafür stark, "dass sich die Politik in absehbarer Zeit mit dem Alterssicherungssystem insgesamt befasst". Dazu gehörten neben der gesetzlichen Rente die betriebliche und die private Altersvorsorge. "Hier wären regelmäßige Monitoring-Berichte nötig, in welchem Umfang die Bürger für das Alter ergänzend abgesichert sind und sein werden. Auf einer solchen Grundlage wäre über weitere Reformschritte auch für die Zeit nach 2030 zu entscheiden", sagte Reimann der SZ.

Den Gewerkschaften geht dies alles viel zu langsam. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die 40 oder 45 Jahre hart gearbeitet haben, als Rentner nicht mehr als Sozialhilfe bekommen. Das gesetzliche Rentenniveau muss zumindest auf dem heutigen Stand stabilisiert werden", fordert DGB-Chef Reiner Hoffmann. Sonst seien "Millionen Menschen in einigen Jahren von Altersarmut bedroht".

Das zu finanzieren, hält er für machbar. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen länger gesund im Erwerbsleben bleiben und damit auch länger Beiträge zahlen können. Dafür brauchen wir faire Arbeitsbedingungen ohne Niedriglohn, Stetigkeit im Erwerbsleben und mehr Weiterbildung", sagt der DGB-Chef. Mittelfristig schlägt er vor, die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung umzubauen, in der zunächst Selbständige und später auch Beamte einzahlen sollen.

Die DGB-Rentenkampagne wird zum Sommerende jedenfalls anlaufen. Erste Entwürfe, zum Beispiel für das junge Publikum im Kino, gab es schon: "Rente muss für Popcorn reichen." Die soll die Werbeagentur nun noch einmal überarbeiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: