Streitgespräch:Das Kreuz mit der Kirche

Während der Glaube vielen Menschen Kraft gibt, hadern andere mit den großen Konfessionen und ihrer Lehre. Dem aufgeklärten Menschen könne die Religion keine befriedigenden Antworten bieten, kritisiert die Pullacher Kulturwissenschaftlerin Hannah Stegmayer im Gespräch mit dem Unterschleißheimer Pfarrer Johannes Streitberger

interview Von Irmengard Gnau und Udo Watter

Können die Kirchen die Menschen heute noch erreichen? Darüber diskutieren Hannah Stegmayer, Kulturamtsleiterin in Pullach, Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin, geboren 1960 in Brannenburg, und Johannes Streitberger, katholischer Priester, Leiter des künftigen Pfarrverbands Unterschleißheim, geboren 1961 in Triftern, gelernter Zahntechniker und Erzieher.

SZ: Herr Streitberger, Sie haben einmal gesagt, wir lebten heute in einer kirchenfeindlichen Gesellschaft. Inwieweit ist sie das und inwiefern ist vielleicht auch die Kirche feindlich eingestellt gegenüber der säkularisierten Gesellschaft?

Johannes Streitberger: Schwierige Frage. Als Priester und Seelsorger erlebe ich tagtäglich kirchenfeindliche Argumente, das sind die Kirchensteuer, die Frauenordination, der Zölibat - im Endeffekt immer die gleichen Dinge. Natürlich gibt es auch positive Rückmeldungen, aber unterm Strich gesehen, glaube ich, dass Religion in Deutschland generell, in der Wertigkeit nicht gerade vorne dran steht. Natürlich, es wäre tragisch, wenn es hier keine spirituellen Menschen gäbe, aber es ist eine zunehmende Minderheit.

SZ: Woran liegt das?

Streitberger: Da gibt es viele Gründe. Zum einen Desinteresse, zum anderen ist auch wenig Substanz da. Wenn vor den Hochfesten Umfragen stattfinden, ist inhaltlich ganz wenig da. Das merke ich auch bei meiner Arbeit an der katholischen Fachakademie für Sozialpädagogik, wo ich angehende Erzieher unterrichte. Da gibt es viele Ungetaufte, Angehörige anderer Religionen oder auch einen, der sich zum Atheisten erklärt, aber nicht definieren kann, was ein Atheist ist. Das ist in Lateinamerika zum Beispiel eine ganz andere Baustelle.

Hannah Stegmayer: Sie sprechen von Lateinamerika, von Entwicklungsländern - wir aber leben in einem hoch entwickelten Land. Ich glaube, dass Religion eine wichtige Funktion hat, sich aber seit der Aufklärung in einer Krise befindet. Auch, weil ihre Repräsentanten wider besseren Wissens Dinge vertreten müssen, die dogmatisch festgelegt sind. Wie Kirche Geld verwendet oder auch die Missbrauchsfälle, das gibt es anderswo auch und löst eine institutionelle Debatte aus. Das wird vielleicht auch von Leuten ins Feld geführt, die einen relativ einfachen Anlass dafür brauchen, warum sie aus der Kirche austreten. Aber im Kern, glaube ich, handelt es sich um eine inhaltliche Krise: Man darf nicht sagen, was man weiß. Die Sinnfragen, die Unfehlbarkeit des Papstes, dann 1950 ein Dogma, in dem es heißt, Maria sei leibhaftig in den Himmel aufgefahren - das müssen Sie dem aufgeklärten intellektuellen Gläubigen erst einmal erklären, wie Sie das verstehen. Ich meine, Sie können natürlich argumentieren, das sei nur bildlich zu verstehen, als Metapher, aber dann ist das ganze Alte und Neue Testament irgendwann nur noch Literatur.

Streitberger: Mein Ansatz ist die Sorge für den Menschen, in einer ganz einfachen Weise da zu sein und die frohe Botschaft zu verkünden. Darum unterrichte ich auch an der Fachakademie. Da versuche ich unabhängig von irgendwelchen Dogmen, Verkündigung zu betreiben und für die Kirche Jesu Christi einzutreten. Wohlwissend, dass es natürlich die dunklen Seiten der Kirchengeschichte gibt, das ist ja unstrittig. Aber das ist mein Anspruch: Verkündigung und Diakonie, Seelsorge, versuchen, Menschen konkret zu helfen. Darum bin ich Priester geworden, als Dienst am Nächsten, aus der Botschaft des Evangeliums heraus.

Streitgespräch: Der Glaube bröckelt: In den vergangenen Jahren verlieren die großen Kirchen stetig Gläubige.

Der Glaube bröckelt: In den vergangenen Jahren verlieren die großen Kirchen stetig Gläubige.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Abseits der Diakonie, ist die Kirche noch glaubwürdig als Beantworterin philosophischer und existenzieller Fragen?

Streitberger: Ich kann es nur aus meiner Praxis sagen: Zu mir kommen immer wieder Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen - die ich nicht lösen kann, aber ich versuche, eine Hilfestellung zu geben. Die Wertigkeit der Religion in der Gesellschaft schwindet, man spricht auch davon, dass der Glaube verdunstet. Und dass viele auch nicht mehr die wichtigsten Glaubensinhalte und Feste kennen.

Stegmayer: Sie sprechen jetzt von zwei verschiedenen Dingen. Einmal Religion als Kulturgut, etwa, dass man weiß, wann Karfreitag ist - auch ich ärgere mich, wenn der Nachbar an diesem Tag seine Garage mit dem Reinigungsgerät abspritzt. Religion ist Teil unserer Kultur, das ist unbestritten - aber das ist nicht ausreichend. Sie benutzen auch eine bestimmte Sprache, Sie sprechen von "Verkündigung". Das ist eine Sprache, die die Menschen nicht erreicht, mit der sie nichts anfangen können. Wenn ich in einer Welt, die mehr Bürgerkriege hat denn je, die "frohe Botschaft" bringe, das läuft ins Leere, damit reagiert man nicht auf tatsächliche Fragen. Aber wenn Sie sagen, Sie helfen den Leuten aus einem karitativen Anspruch heraus, dann hat das einen großen Wert. Meine Frage wäre nur: Kann das nicht auch ein Psychoanalytiker, jemand, der darin geschult ist, oder ein Mensch mit ethischen Prinzipien? Braucht es dafür denn die Kirche?

Streitberger: Zunächst ist die Kirche eine Glaubensgemeinschaft. In die wird man aufgenommen durch das Sakrament der Taufe. Daraus ergibt sich dann ein Anspruch der Kirche, der natürlich schon auf den Werten und Inhalten der Bibel basiert, etwa dem Doppelgebot der Liebe. Es geht nicht um äußerliche Dinge, auch nicht primär um Dinge wie den Zölibat, sondern aus dieser Glaubenszugehörigkeit und dieser Basis heraus gilt es zu handeln. Die Kirche hat drei Grundformen der Dienste: die Verkündigung, die Diakonia und die Liturgia. Das heißt, dass man sich für Menschen einsetzt, die der Hilfe bedürfen, oder denen man auch den Glauben vermittelt.

Stegmayer: Kurz zum Zölibat: Es gibt viele verschiedene Lebensformen, die man haben kann, ob verheiratet oder gleichgeschlechtliche Partnerschaft oder andere. Dass die Kirche sich äußerst konservativ gibt und diese Formen zwar betreibt, aber eben nicht öffentlich, das ist für Außenstehende eine Doppelmoral. Können Sie mir erklären, warum es den Zölibat gibt?

Streitberger: Einerseits war das ein pragmatischer Grund: Pfarrherren hatten Pfründe. Der inhaltliche, eigentliche Grund ist, dass Jesus auch ehelos gelebt hat. Ich habe diese Lebensform ja auch freiwillig gewählt. Ich muss sagen, die Aufgaben, die ich versuche zu erfüllen, wären in dem Umfang mit einer Frau oder Kindern schwer möglich.

Stegmayer: Dafür gibt es eine andere Lösung, wenn man das möchte. Das ist ein Problem, meine ich, das man schwer vermitteln kann. Auch die Ehelosigkeit Jesu, wenn man die Bibel historisch-kritisch auslegt - aber das macht die Kirche ja nicht, sie macht eine kanonische Exegese, das bedeutet, jedes Ereignis wird auf die bestehenden Glaubensgrundsätze hin ausgelegt. Wenn man sich auf eine solche Auslegung beruft, ist das sehr problematisch.

Streitberger: Ich würde mir eine Bibel orientiert an den Urtexten wünschen. Die gängige Einheitsübersetzung, die auch in der Liturgie vorgetragen wird, finde ich sehr unglücklich.

Streitgespräch: Inhaltlich sieht Hannah Stegmayer die Religion in der Krise.

Inhaltlich sieht Hannah Stegmayer die Religion in der Krise.

(Foto: Claus Schunk)

Stegmayer: Und sie ist nicht korrekt! Man müsste eine kritische Textauslegung und Interpretation aus dem historischen Kontext heraus vornehmen. Dann würde nämlich bei vielen Aspekten, auf die sich die Kirche heute beruft, etwas anderes herauskommen. Und das ist für einen kritisch-aufgeklärten Historiker ein großes Problem, da wird man sich immer in einer Argumentationsnot befinden.

Als Außenstehender kann man sich vorstellen, dass man gerade im Studium auch auf Widersprüche stößt, die sich auch niederschlagen im eigenen Bewusstsein. Ist man als Pfarrer manchmal auch nicht ganz frei und offen in dem, was man sagt?

Streitberger: Wenn ich mich privat mit einem Kollegen unterhalte, kann ich natürlich freier reden als wenn ich im priesterlichen Dienst in der Osternacht über die Auferstehung spreche. Wenn etwas öffentlich ist oder veröffentlicht wird - wie dieses Interview - muss man natürlich schon schauen, dass man auch auf dem christkatholischen Boden bleibt, ich darf ja auch keine Häresien verbreiten. Auch bei meinem Auftrag in der Schule muss ich aufpassen. Aber ich lasse mich gern auf Diskussionen ein und vertrete auch meine Meinung. Um ein Beispiel zu bringen: Bibelübersetzung. Im Deutschen heißt es "Jungfrau" Maria, eigentlich heißt es "junge Frau". Wenn Sie zu Hause eine Übersetzung der Bibel aus dem Griechischen haben, sehen Sie, es gibt schon einige Passagen, die sehr eingedeutscht sind.

Stegmayer: Aber was macht denn die Kirche damit? Was will sie? Will sie ihre Pfründe sichern? Warum hat sie so große Angst davor, Dinge zu benennen, wie sie sind, ist sie so labil? Gerade auch die unbefleckte Empfängnis, Marias Eltern Anna und Joachim sollen Maria unbefleckt gezeugt haben, damit sie später Mutter Gottes werden kann, odkoher der Begriff der Erbsünde - das sind ja unglaubliche Dinge, die sind ja für jemanden, der rational denkt, irrational im höchsten Grade. Warum soll Adam wegen einer einzigen Sünde von einem gerechten und allmächtigen Gott so verdammt werden, dass er aus dem Paradies vertrieben wird und jeder Nachfahre jetzt noch die Erbsünde trägt? Da wird ja ein Angstgebäude aufgebaut - was natürlich lange Zeit sehr wirkungsvoll war, mit dem man etwa Ablassbriefe verkaufen konnte. Das ist freilich Geschichte, ich hoffe, dass sich die Kirche inzwischen davon distanziert.

Streitberger: Also ich jedenfalls schon.

Stegmayer: Wenn man Tatsachen verschwiege, obwohl man eigentlich schon klüger ist, und damit rechnete, dass einfache Menschen das nicht wissen müssten oder wollten, wäre das fast menschenverachtend - und eine Zumutung für Menschen, die das lehren und aufrecht erhalten müssen.

Streitberger: Wenn ich ein Beispiel bringen darf zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie: Beim Thema Schöpfungs- und Entstehungsgeschichte - ich bin der Meinung, das muss sich ja nicht widersprechen. Ich bin kein Naturwissenschaftler, aber ich tausche mich aus und mir hat noch kein Naturwissenschaftler erklären können, was endgültig den Urknall verursacht hat.

Stegmayer: Ich kann natürlich immer in eine Wissenslücke sofort mit Glauben hineinpreschen. Wo ich noch nicht soweit bin mit meiner Erkenntnis, an diese Stelle setze ich den Glauben. Das praktiziere ich persönlich nicht so. Wenn ich Dinge noch nicht weiß, muss ich das aushalten können, wie ein kritischer Rationalist. Außerdem würde ein Wissenschaftler dem Gebot des ständigen Falsifizierens folgen - die Kirche verifiziert eigentlich ständig!

Streitgespräch: Johannes Streitberger ist froh, seinen Dienst leisten zu dürfen.

Johannes Streitberger ist froh, seinen Dienst leisten zu dürfen.

(Foto: Claus Schunk)

Streitberger: Ich als gläubiger Christ glaube an einen Schöpfergott, der allgegenwärtig ist, das zählt zu meinen "Basics". Es ist im Grunde vermessen, wenn ein aufgeklärter Mensch glaubt, er könne einen allwissenden, allgegenwärtigen Gott wirklich erforschen bis ins kleinste Detail. Ich glaube nicht, dass auch in 300 Jahren ein Mensch, ein Wesen, das geschaffen ist aus der Liebe und Sexualität der Eltern, dieses Geheimnis, dieses Mysterium Gott lösen wird.

Stegmayer: Natürlich, wenn frühere Evidenzbeweise wie Wundertaten heute durch die Wissenschaft verloren gegangen sind, gibt es verschiedene Ausweichstrategien, die Gläubige oder Kirche benutzen. Etwa, ich kann den Glauben gar nicht aktiv beeinflussen, sondern bin, ob ich will oder nicht, Gottes Geschöpf.

Aber sieht man nicht auch heute bei vielen Menschen ein grundsätzliches Bedürfnis nach Sinngebung?

Stegmayer: Ja, natürlich. Der Mensch hält schlecht aus, dass nichts sein soll. Man kann vielleicht darauf verzichten, die Frage nach diesen letzten Dingen zu stellen, dann muss man sie nicht beantworten. Wenn ich diese Frage nicht stelle, dann lebe ich damit unbequemer, ich habe keinen Trost, den die Kirche spendet, ich verzichte damit auf Erklärungsmöglichkeiten, ich muss alles selbst verantworten, ich kann aber auch in die Geschichte eingreifen. Die Kirche sagt ja eigentlich, der Mensch sei gar kein Agens mehr innerhalb der Geschichte, denn am Ende kommt Gott und richtet, straft oder erlöst. Wenn man die drei großen Kirchenkritiker Marx, Nietzsche und Freud betrachtet, liefern sie gute Argumente, die man nicht leugnen kann. Man kann etwas dagegensetzen, aber die Frage ist: Wie stark ist das Argument? Ich bin jemand, der aus der katholischen Tradition kommt und sie auch sehr schätzt, aber ich habe früh gemerkt, dass Religion oft eine Äußerlichkeit ist.

Macht die Kirche genug, um auch spirituell attraktiv zu sein?

Streitberger: Ich erlebe das ganze Spektrum, wir haben eine Vielfalt an Angeboten, vom Raum des Vertrauens bis hin zum Bibelabend. Aber in der Zahl der Angebote, die München bietet, ist das natürlich verschwindend gering.

Stegmayer: Ich merke, wenn ich mich mit Priestern unterhalte, dass die sich sehr in die Esoterik zurückziehen - es wird sehr vage, es geht um Gefühl, man muss Jesus spüren. Es wird nicht mehr ausreichend begründet, warum gerade die christliche Religion praktiziert wird - da könnte ich genauso gut nach Indien zum Meditieren fahren.

Was kann die Kirche der Krise entgegensetzen? Gibt es eine Kombination von Aufklärung, Vernunft und Religion, die den Intellekt befriedigt?

Stegmayer: Die Kirche muss generell ehrlich sein, muss sagen, was sie weiß. Leute bleiben nicht aufgrund veralteter Glaubensinhalte in der Kirche oder weil die Bibel das Wort Gottes ist, was ja historisch äußerst fragwürdig ist. Sondern eher wegen Leuten wie Herrn Streitberger, die engagiert sind, karitativ handeln oder in der Schule unterrichten. Ob ich dann noch Mitglied wäre? Ich bin's ja, ich kann nur in dieser Form kritisch sein, weil ich eine Nähe dazu habe.

Streitberger: Es gab ja schon in der Urkirche den Konflikt: Paulus, der Intellektuelle, gegen Petrus, den einfachen Fischer. Es gibt da Diskrepanzen über 2000 Jahre lang. Mit vielen dunklen Seiten, aber auch Lichtgestalten wie Mutter Teresa oder Franziskus oder Don Bosco. Den Glauben, den Sie fordern, den haben die gelebt. Oder nehmen wir Franziskus, der sich Bischof von Rom nennt, nie "Papst". Ich wünsche mir mehr Franziskusse, mehr Glaubwürdigkeit. Und mehr mutige Christen. Leute wie Sie, die sehr kritisch sind, aber nicht austreten, sondern sich mit der Kirche auseinandersetzen. Das Streitbare kann sehr gewinnbringend sein. Man muss Dinge benennen!

Stegmayer: Es darf eben auch keine Denkverbote geben. Ich verstehe den Philosophen Ludwig Feuerbach sehr gut, der sagt: Gott ist eine Projektion von mir. Deshalb gibt es so viele unterschiedliche Gottesbilder. Er ist ein Konstrukt meiner selbst.

Streitberger: Diese positive Kritik finde ich nicht tragisch. Viel tragischer ist die Gleichgültigkeit. Wenn die Menschen nichts vor sich haben, was sich rechnet, interessiert es sie nicht. Auf der Suche nach Gott kommt man ein Leben lang nicht zu Ende. Im Augenblick des Todes möchte ich meinem Schöpfergott entgegen treten. Und dann hätte ich ganz viele Fragen.

Stegmayer: Ich suche nach mir. Das ist vielleicht der Unterschied.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: