Grünwald:Erste Adresse

Wer sparen will, muss nicht nach Übersee. Grünwald lockt Unternehmer seit Jahren ganz legal mit niedrigen Steuersätzen. 7000 Firmen sind in der 11 000-Einwohner-Gemeinde gemeldet, die Attac zu den "Schattenfinanzplätzen" zählt

Von Iris Hilberth

Das rosa Sparschwein grinst fett über beide Backen, eine schwarze Brille gibt ihm zugleich ein seriöses, geschäftsmäßiges Aussehen. Die Botschaft der Annonce ist klar formuliert: "Gewerbesteuer sparen. Mit einem virtuellen Firmensitz an einer Top-Adresse in Grünwald." Um in den Genuss zu kommen, braucht man noch nicht einmal ein solch prall gefülltes Schwein, sondern - gemessen an sonst üblichen Mieten und Grundstückspreisen in Grünwald - nur ein wenig Kleingeld. Lediglich 235 Euro kostet laut dem Inserat ein Briefkasten inklusive Leerung und Postweiterleitung als Steuersparmodell in dem schicken Münchner Vorort.

Auch wer im Internet bei einschlägigen Immobilienportalen nach Angeboten sucht, wird schnell fündig: Büro in Grünwald, exklusive Lage, zwei Minuten zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Luxus-Ausstattung, Fußbodenheizung, eigene Telefon- und Faxnummer, sofort verfügbar für 300 Euro, heißt es dort etwa. Größe: ein Quadratmeter. Die Adressen klingen vielversprechend: Schlossstraße oder Nördliche Münchner Straße. Und sie sind keineswegs nur virtuell. Schon einige Firmen haben sich dort eingemietet. Die Idee von effektiven Bürogemeinschaften wird bereits am Eingang sichtbar: Etwa 40 Firmen-Schildchen stehen auf einem einzigen Briefkasten und machen es dem Postboten einfach, den richtigen Empfänger zu finden. Sollte es bei so viel Business an einer Stelle doch mal zu viel Post für den einen Kasten geben, kann man die Briefe auch gegenüber einwerfen, steht auf einem kleinen Hinweisschild.

Sind das hier nun lauter Briefkastenfirmen? Die sich lediglich eine Postadresse in Grünwald zugelegt haben, um Steuern zu sparen, weil der Gewerbesteuersatz so niedrig ist in der Gemeinde? Bernhard Heudorf, der hinter der Anzeige mit dem Brillen-Schwein steckt, winkt ab. Bei ihm kämen eher kleine Start-ups und Einzelunternehmen unter oder Firmen, die ihren Sitz eigentlich im Ausland hätten und gerade ihre Deutschland-Dependance aufbauten. Das könne der Vertreiber von Röntgendiagnostikgeräten aus Fernost sein oder ein Luxuslimousinen-Service. "Das virtuelle Büro ist nur die Einstiegskategorie, der Briefkasten gehört zur Firmengründung", sagt Heudorf. Oftmals bräuchten solche Unternehmer gar kein Büro mehr, da sie fast immer unterwegs seien. Und wenn doch, könnten sie sich bei ihm einmieten, auch stunden- oder tageweise, inklusive Sekretariatsdienst. Büroservice, sagt Heudorf, sei heute anders als früher eine gefragte Dienstleistung, virtuelle Büros ermöglichten Flexibilität.

Grünwald: Wie Vaduz, die Hauptstadt Liechtensteins, bietet der Münchner Vorort Gründwald nicht nur eine Burg, sondern auch Möglichkeiten zum Steuern sparen.

Wie Vaduz, die Hauptstadt Liechtensteins, bietet der Münchner Vorort Gründwald nicht nur eine Burg, sondern auch Möglichkeiten zum Steuern sparen.

(Foto: Claus Schunk)

So ähnlich beschreibt auch Carsten Kuchernig sein Geschäftsmodell "Business Service Center" an der Nördlichen Münchner Straße. "Wir haben überhaupt keine Briefkästen", betont er. Zahlreiche Firmenschilder am Eingang verraten, wer hier seinen Sitz hat, laut Vermieter in kleinen Büros zu 1500 Euro im Monat. Den Telefondienst für alle übernimmt eine von drei festangestellten Mitarbeiterinnen, die an der Telefonanlage erkennen, welche Firma gerade angerufen wird, um sich mit dem entsprechenden Namen zu melden. Auch Konferenzräume kann man buchen oder nach getaner Arbeit auf der Terrasse und im großzügigen Garten am Isarhochufer entspannen. Das Geschäft läuft gut. Kuchernig baut gerade ein zweites Gebäude, das noch etwas größer werden soll. Interessenten gebe es genügend. "Das hat aber nichts mit dem Hebesatz zu tun", sagt er. Vielmehr sei Grünwald ein "toller Standort" mit guter Lage und ausgezeichneter Infrastruktur.

Freilich macht eine Grünwalder Adresse auf der Visitenkarte mehr her als ein Firmensitz in Taufkirchen oder Sauerlach. Vor allem aber rechnet sich der Gewerbesteuerhebesatz von nur 240 Prozent. Im Landkreis München hat die Gemeinde damit seit Jahren den niedrigsten Satz, gefolgt von Gräfelfing (250) und Pullach (260). Leisten kann Grünwald sich das, weil die Gemeinde immer genug Geld hatte und nie in die Verlegenheit kam, Steuern erhöhen zu müssen. Im Gegenteil: 2004 senkte man den Hebesatz auf das heutige Niveau. Das war ein geschickter Schachzug, wie sich schnell herausstellte. Fortan meldete der Kämmerer Rekordeinnahmen. Schon ein Jahr später war die Kasse doppelt so gut gefüllt, danach stiegen die Einnahmen auf das Dreifache an.

4739 Unternehmen zählte Grünwald im Jahr 2006, mittlerweile sind in der 11 000-Einwohner-Gemeinde etwa 7000 Firmen angesiedelt. Kämmerer Raimund Bader konnte sich voriges Jahr über Gewerbesteuereinnahmen von 172 Millionen Euro freuen, etwa 30 Millionen Euro mehr als 2014. Für das laufende Jahr rechnet er mit immerhin 143 Millionen Euro. Zum Vergleich: Haar mit 20 000 Einwohnern nimmt nicht einmal zehn Millionen Euro ein. Damit liegt Grünwald im Landkreis an der Spitze.

Grünwald: SZ-Grafik

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Den Grünwaldern ist auch das sogenannte Steuervergünstigungsabbaugesetz zupass gekommen, mit dem der Bund 2004 die Kommunen verpflichtet hatte, einen Gewerbesteuerhebesatz von mindestens 200 Prozent zu verlangen. Damit war die Zeit der Briefkastenfirmen in deutschen Steueroasen, die mit einem Gewerbesteuersatz von null Prozent lockten, vorbei. Norderfriedrichskoog etwa, ein winziger Ort an der Westküste Schleswig-Holsteins, der aus 13 Höfen besteht, zählte zeitweise bis zu 500 Firmenadressen. Echte Global-Player waren darunter: die Deutsche Bank, Eon, Lufthansa, Siemens, Unilever. Als man gesetzlich gezwungen wurde, einen Mindestsatz einzuführen, wanderten die Firmen wieder ab. "Einige sind damals zu uns gekommen", erinnert sich Grünwalds Kämmerer Bader.

In Grünwald liegt man mit 240 Prozent nur leicht über dem Mindestsatz und ist damit äußerst attraktiv als Steuerspar-Standort. Landkreisweit liegt der Durchschnitt bei 310, in Bayern bei 422. Die nahe Landeshauptstadt München verlangt gar 490 Prozent, der Bundesdurchschnitt beträgt 438. Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag sind die Hebesätze in den vergangenen Jahren insgesamt stark gestiegen. Dadurch habe sich "die Schere zwischen günstigen und teureren Wirtschaftsstandorten weiter geöffnet".

Durch die Digitalisierung seien die Betriebe flexibler und eher bereit, den Standort zu wechseln, hat der Verband festgestellt. Das sieht man bei der IHK für München und Oberbayern nicht ganz so. "Deutschlandweit mag das stimmen, im Großraum München können wir das nicht feststellen", sagt Robert Obermeier, Chef-Volkswirt der regionalen IHK. Jede Firma habe andere Standortbedingungen. Eine Umfrage zur Standortzufriedenheit habe dem Landkreis aber durchweg bessere Noten beschert als der Stadt München.

240 Prozent

beträgt der Hebesatz für die Berechnung der Gewerbesteuer in Grünwald. Den Faktor kann jede Gemeinde selbst festlegen. Seit 2004 schreibt der Gesetzgeber allerdings vor, dass die Kommunen mindestens 200 Prozent verlangen müssen. Um den Betrag zu ermitteln, den eine Firma letztlich an den Fiskus abführen muss, wird der Ertrag des Unternehmens zunächst mit der bundeseinheitlichen Steuermesszahl von 3,5 Prozent multipliziert. Dieses Ergebnis, der sogenannte Messbetrag, wird dann mit dem Hebesatz der Gemeinde multipliziert. Daraus ergibt sich die Höhe der Gewerbesteuer. In Großstädten sind die Hebesätze meist um einiges höher als in ländlichen Gemeinden. In München beträgt er etwa 490 Prozent.

Die globalisierungskritische Organisation Attac bezeichnet Grünwald als Steueroase. Zumindest stellte sie vor fünf Jahren fest, dass die Kommune einige Kriterien erfüllt. Attac zählte damals 24 Kapitalgesellschaften in der Isartalgemeinde und schrieb: "Grünwald ist weniger als ein Zehntel so groß wie Regensburg, nimmt aber ebenso viel Gewerbesteuer ein." Attac nahm Grünwald daher in eine Tabelle auf, die "Verbindungen der Banken in als Schattenfinanzplätze klassifizierte Orte" auswertet. Grünwald wird von Attac seither zwischen Gibraltar und der britischen Kanalinsel Guernsey gelistet und in Gesellschaft von Barbados, den Caymans, den Marshallinseln - und Panama.

Die Commerzbank hatte laut Attac, deren Auswertung sich auf die Geschäftsberichte von 2010 bezieht, Anteile an 88 Firmen in Grünwald, die Hypo-Vereinsbank 16 und die Deutsche Bank fünf. Im vergangenen Jahr waren es bei der Commerzbank 73, bei der Deutschen Bank vier und bei der Hypo-Vereinsbank 50.

Im Rathaus von Grünwald geht man unaufgeregt mit dem Thema um. Gerne verweist man darauf, dass immerhin zwei Drittel der Einnahmen an Landkreis, Land und Bund abgegeben würden. Allein der Landkreis kann sich laut Haushaltsplan 2016 über 72 Millionen Euro Kreisumlage aus Grünwald freuen. Wie viele Firmen, von denen das viele schöne Geld kommt, in Grünwald nur einen Briefkasten oder ein Minibüro besitzen, weiß man im Rathaus nicht. "Natürlich werden Firmen angezogen", räumt Kämmerer Bader ein. Im Branchenbuch finden sich zahlreiche Ableger von Konzernen, Leasing-Gesellschaften, Immobilienfirmen, Vermögensverwaltungen und Medienfonds. An den 240 Prozent will er das nicht unbedingt festmachen, "wir haben traditionell einen sehr niedrigen Hebesatz", sagt er. "Ein schwieriges Thema", findet Antje Wagner, Gemeinderatsmitglied der Grünen. Natürlich profitiere Grünwald davon, und es sei ja auch nicht illegal, die Firmen zahlten schließlich ihre Steuern. "Aber es ist eben alles andere als gerecht, wenn andere Gemeinden zugleich vor der Zwangsverwaltung stehen", findet die Grüne.

Insbesondere wenn Firmen in Grünwald ihren Briefkasten hätten und anderswo produzierten. Dann, so Wagner, müsse man als Grünwalder sich den Vorwurf anhören, "dass wir den Firmensitz und die anderen den Dreck haben". Solche aufgesplitteten Firmen gebe es aber eher selten, ist man im Rathaus überzeugt. Legal wäre es gleichwohl. Wie ein Steuerberater aus dem Landkreis bestätigt, ist die "Zerlegung" eines Unternehmens möglich, der Hauptanteil an Steuern werde dort gezahlt, wo auch der Firmenhauptsitz angemeldet ist. Voraussetzung ist ein Büro, ganz gleich wie groß, und ein Ansprechpartner am Ort, der allerdings auch für mehrere Firmen zuständig sein kann, "reine Briefkastenfirmen sind nicht erlaubt".

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