Belletristik:Übers Ziel hinaus "verschossen"

Bilal Tanweers Romandebüt spürt dem Leben im modernen Karatschi nach. Doch "Die Welt hört nicht auf", so der Titel, wirkt überambitioniert wie eine Abschlussarbeit im Fach kreatives Schreiben.

Von Tobias Lehmkuhl

Im Dezember 2012 fand an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt in Karatschi, der Cantt Station, ein Selbstmordanschlag statt. Sechs Personen starben. Nur sechs, müsste man fast sagen, denn bei früheren Anschlägen waren in Pakistan weit mehr Menschen ums Leben gekommen. Deutschen Zeitungen auf jeden Fall erschien der Vorfall kaum berichtenswert.

Bilal Tanweer, der 1983 in Karatschi geboren ist und heute in Lahore lebt, stellt diesen Anschlag hingegen ins Zentrum seines ersten Romans. Es ist gleichwohl ein leeres Zentrum, von dem aus auf das Geschehen an den Rändern der Explosion geblickt wird, dorthin wo das Blut auf die Heckscheiben der Autos spritzt, die Fahrer aber verschont bleiben.

Tanweer geht es nicht um Ursachen oder Hintergründe des Anschlags. Ihn interessieren die Menschen, die mittelbar von ihm betroffen sind, deren Freunde und Verwandte es sind, die hier den Tod finden - wenngleich der Leser auch einige der Opfer kennenlernt, einen alten Genossen etwa, der für seine politischen Ideale nicht nur im Gefängnis saß, sondern auch seine Familie verlassen hat. Oder den jungen Mann, der als eine Art Kopfgeldjäger arbeitet und Jagd macht auf Schuldner, um ihnen ihre Autos abzunehmen.

Belletristik: Bilal Tanweer: Die Welt hört nicht auf. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Hanser Verlag, München 2016. 192 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Bilal Tanweer: Die Welt hört nicht auf. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Hanser Verlag, München 2016. 192 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Ja, man lernt in "Die Welt hört nicht auf" einiges über das Leben in Karatschi, spürt, dass es hauptsächlich in Autos, Bussen oder geschlossenen Räumen stattfindet, nicht zuletzt wohl auch, weil der öffentliche Raum eine Gefahrenzone ist. Man erfährt viel über die angespannten Beziehungen zwischen Männern und Frauen, den Druck, dem diese ausgesetzt sind. Das Meer scheint zudem als immer wiederkehrender Sehnsuchtsort auf.

Man merkt, dass der Autor mit einem allzu aufdringlichen Kunstwillen zu Werke geht

Und doch ist die Lektüre dieses Erstlingsromans ein beschwerliches Unterfangen. Einerseits, weil Tanweer, der an der Columbia University in New York kreatives Schreiben studiert hat, mit einem allzu aufdringlichen Kunstwillen zu Werke geht. Doch die Vielzahl der Erzählperspektiven an sich ist dabei nicht das Problem. Dem Leser wird es nur gar zu schwer gemacht, die Verbindungslinien zwischen ihnen zu erkennen.

An anderer Stelle gibt es dagegen einen Überschuss an Information. So heißt es, nachdem eine junge Frau ihrem potenziellen Geliebten den Weg zu ihrem Haus erklärt und dabei den Handkarren eines Kesselputzers erwähnt hat: "Auf diese Weise merken sich alle Bewohner unserer Stadt den Weg, denn die meisten Straßen tragen keinen Namen."

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Man meint, plötzlich in einem Reiseführer gelandet zu sein, zumindest aber in einem Buch, das für Leute von außerhalb geschrieben wurde. Allein als Mitglied einer Zielgruppe allerdings wird man nur ungern angesprochen.

Wie geht das eigentlich, in die Hocke gehen und dabei gegen eine Wand pinkeln?

Ein anderes Problem dieses Buches ist die Sprache. Auf Englisch geschrieben, will es möglichst umgangssprachlich klingen. Das wirkt häufig sehr bemüht und wird in der Übersetzung nicht besser. Sie springt immer wieder zwischen den Registern hin und her. So heißt es etwa: "Am gleichen Tag geriet ich mit Sehr aneinander. Sehr war ein Mädchen, in das ich mich total verschossen hatte." So heftig das "verschossen", so läppisch das "aneinandergeraten".

Zuweilen wird es geradezu unverständlich, zum Beispiel wenn ein Mann "in einer Ecke hockt und gegen die Mauer pinkelt." Dem Rezensenten zumindest ist unklar, wie das technisch möglich sein soll: hocken und zugleich gegen etwas pinkeln. Doch es geht noch weiter. Der Mann, der den Pinkelnden beobachtet, schwelgt in "seinem Groll gegen die Islamisierung des Landes während der Herrschaft von General Zia, die unter anderem zur Folge hatte, dass man öffentliche Toiletten schloss oder entfernte, weil es sich um eine angeblich umislamische Art des Pinkelns handelte." Im Stehen oder im Sitzen (oder eben auch im Hocken), das sind Arten des Pinkelns - aber Toiletten, ob öffentlich oder privat, haben erst einmal nichts mit der Art zu tun, in der man es tut.

Am Ende stellt sich das Gefühl ein, es bei "Die Welt hört nicht auf" mit einer Abschlussarbeit zu tun zu haben, einer Sammlung von Erzählungen, die während eines langen Studiums entstanden sind und schließlich so kompiliert wurden, dass man "Roman" auf den Umschlag schreiben konnte. Zweifellos stecken Fleiß und Talent darin. Man merkt es nur leider allzu sehr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: