Make-up:Lehre vom Gesicht

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HD-Kameras machen heute jedes Fältchen sichtbar. Die Kosmetikbranche setzt deshalb auf neue Produkte.

Von Tania Messner

Als David Bowie im Januar starb, erschienen in den Nachrufen weltweit noch einmal die Glamourfotos aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Ziggy Stardust, dieser ikonografische Maskenmensch, hat sich in die kollektive Pop-Erinnerung eingebrannt. Er stammt ja auch aus einer Zeit, als Männer wie Frauen sich nicht nur schminkten, sondern sich neue Identitäten in ihr Gesicht malten. Es war die Ära der großen Selbstinszenierung - die Figuren, denen man in Diskotheken und auf Konzerten begegnete, schienen direkt von der Bühne aus Shakespeares "Sommernachtstraum" zu kommen.

"Schminke wurde damals fast pastös verwendet", erinnert sich die Professorin Verena Effenberg, Leiterin des Studiengangs Maskenbild an der August-Everding-Akademie in München. Für einen schönen, gleichmäßigen Teint trug man dick auf und für Farben galt: "Nimm richtig viel, denn das Licht schluckt." Im Theater schminkte man vor allem auf Ferneffekt, damit auch dem Zuschauer in der letzten Reihe der Charakter sofort klar war. "Man muss sich nur mal Platten-Cover von Opernaufführungen aus den Sechzigern ansehen", sagt der freie Maskenbildner Birger Laube, der ebenfalls an der Akademie unterrichtet. "Da sieht man, wie weit wir heute davon entfernt sind." Damals wurde der Lidstrich auch mal einen Zentimeter unter dem Auge gesetzt, um es auf die Distanz zu vergrößern.

Heutige Maskenbildner (hier Studentinnen an der Theaterakademie August Everding in München) müssen dezent vorgehen (Foto: Theaterakademie August Everding)

Die Zeiten, in denen Maskenbildner wie expressionistische Künstler arbeiten durften, sind vorbei. Heute werden Schauspieler durch "High Definition"-Aufnahmeverfahren bis zur kleinsten Hautpore betrachtet: Wer einen HD-Film auf Blu-Ray zu Hause ansieht, kann ein perfektes Standbild stoppen, hineinzoomen, es untersuchen. Sogar am Computer generierte Gestalten wie der grüne Hüne "Hulk" brauchen feinste Fältchen, Schattierungen und Hauttextur, um als authentisch wahrgenommen zu werden. Vergleicht man die modernen Comic-Verfilmungen mit der durchaus erfolgreichen "Hulk"-Serie aus den Achtzigerjahren, wirkt die fast wie verfilmtes Theater. Damals wurde dem Bodybuilder Lou Ferrigno einfach der Körper faschingsgrün angemalt und eine Perücke aufgesetzt, die wie ein Ananas-Büschel aussah. Das würden einem heute nicht mal mehr die Jugendlichen auf dem Jahrmarkt abkaufen.

"Noch vor zehn Jahren konnte man als Maskenbildner seine Arbeit am Set auf dem Monitor überprüfen", sagt Birger Laube, "das geht bei HD nicht mehr. Da sieht man lediglich ein 'Raw Image', das erst hinterher mit Filter unterlegt wird." Das finale Bild entsteht dann in der Nachbearbeitung, wenn Spezialisten beim "Color Grading" dafür sorgen, dass Haut wie Haut aussieht - sogar die falsche Haut. "Man sieht seine Arbeit das erste Mal bei der Premiere auf der großen Leinwand", so Birger Laube. Auch am Theater wird heute mit sogenanntem HMI-Licht aus Metalldampflampen beleuchtet, das dem Tageslicht gleicht. "Seit Aufführungen an der Met oder im Royal Opera House in HD-Qualität im Fernsehen übertragen werden, müssen Bühnenschauspieler auch von Nahem tadellos geschminkt sein", sagt Laube.

David Bowie durfte noch ganz dick auftragen. (Foto: Mick Rock, The Rise of David Bowie, 1972-1973, Taschen Verlag)

"Die Maske" ist ein magischer Ort, es riecht nach Puder, Hautkleber und Silikon

"Die Maske" bleibt aber ein magischer Ort für Schauspieler. Hier vollzieht sich ihre Verwandlung. Aus einem Menschen wird ein Charakter, eine Figur. Schön oder hässlich, mit Hochfrisur oder fettigen Haaren. Ein hochsensibler Bereich, weil Maskenbildner die ersten Personen sind, mit denen die Schauspieler am Tag zu tun haben. Jeder Regisseur, der halbwegs bei Verstand ist, beginnt seinen Arbeitstag damit, für gute Stimmung "in der Maske" zu sorgen. Und jeder, der schon mal in der Maske zu tun hatte, kennt den spezifischen Geruch. Ein olfaktorisches Amalgam aus Mastix-Hautkleber (für falsche Haare und Bärte), Puder, Lippenstift und Silikon, organisch und ein wenig verstaubt.

Genauso riecht es auch an der August-Everding-Theaterakademie im Prinzregententheater in München, wo man die Absolventen des Studiengangs "Maskenbild" beim Knüpfen von Perücken antrifft. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein, doch der Eindruck täuscht. Seit Jahren wird an neuen Techniken gearbeitet, um mit den Anforderungen durch HD Schritt zu halten. Noch vor 15 Jahren strahlten Scheinwerfer viel Rot auf die Bühne, was die gesamte Szenerie in gnädige, aber auch grobe Unschärfe tauchte. Um das auszugleichen, verwendete man Make-up mit speziellen Pigmentierungen und musste ständig darauf achten, dass sich die Farben nicht addierten oder gar aufhoben. Mittlerweile schminken Maskenbildner nicht mehr einfach nur, sie arbeiten mit Komplementärfarben, der "Color-Correcting-Technik". Es ist quasi eine Unsichtbarkeitsübung: Make-up, dessen Ziel es ist, nicht aufzufallen.

"Eine Zeit lang war die Airbrush-Technik beliebt", erklärt Verena Effenberg. Dabei wird das Make-up aus einer speziellen Luftpistole als feiner Nebel auf die Haut gesprüht, das wirkte deckend, aber natürlich. Doch mit jedem Qualitätssprung der HD-Kameras wurde es schwieriger, und irgendwann zeigten sich auf der Haut die fein verklebten Gesichtshärchen. Von Pickeln, Narben oder vergrößerten Poren ganz zu schweigen. Schauspieler mit schlechter Haut mussten fürchten, aus der Branche gedrängt zu werden, so wie einst die Fistelstimmen die Einführung des Tonfilms nicht überlebten.

Mittlerweile wurde spezielles HD-Make-up entwickelt, mit dem man die hochauflösende Technik ausgleichen kann. "HD-Make-up ist im Gegensatz zu klassischer Foundation einfach feiner", sagt der gelernte Maschinenbauingenieur Lorenz Koch, Produktionsleiter beim Make-up-Spezialisten Kryolan. Seit 70 Jahren beliefert die Berliner Firma die Film-, Theater- und Fernsehindustrie. Im Jahr 2007 brachte sie erstmals "High Definition"-Make-up auf den Markt, das speziell für die hochauflösende Kameratechnik entwickelt wurde. Seitdem werden die Produkte weiter optimiert.

Dass es klassisches Make-up überhaupt noch gebe, sei nur eine Preisfrage, erklärt Koch bei einem Rundgang durch die Firmenzentrale in Wedding. "Normalerweise zerkleinert man Pigmente über Walzen, die auch in der Schokoladenherstellung verwendet werden. Die HD-Pigmente werden hingegen über Luftdruck auf einen Kegel geschossen und zerspringen dabei in winzige Teile, was mehr Energie verbraucht und länger dauert." Man werde in der Branche das Rad laut Koch nicht neu erfinden - aber die Kosten und die Möglichkeiten steigern sich immer weiter. "Für den Laien ist HD-Make-up auf Komplementärbasis kaum praktikabel" sagt Verena Effenberg. Trotzdem sickern die Tricks der Profis in den Alltag ein. Womöglich auch, weil die Beauty-Blogger die Vorzüge der Technik entdeckt haben. Und weil Sternchen wie Kim Kardashian und Kylie Jenner, für die ein perfekter Teint zum Jobprofil gehört, auf ihren Internet-Seiten praktische Tipps geben. Alle großen Beautyfirmen ergänzen jedenfalls ihre Portfolios mittlerweile mit Color Correcting-Paletten und HD-Make-up für Endverbraucher. Das ist lukrativ, weil es sich für mehr Geld verkaufen lässt. In der Regel sind diese Foundations zehn bis zwanzig Euro teurer als konventionelle Produkte.

So sind zum Beispiel Bräute allererste Zielgruppe. Sie wollen an ihrem schönsten Tag makellos aussehen, nicht so sehr für die Gäste, sondern vor allem für die Kameras: um den einen magischen Moment für immer festzuhalten.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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