Vorschlag von Winfried Kretschmann:Schluss mit dem Zank zwischen Linken und Realos

Parliamentary floor leaders of the environmental Greens party Hofreiter and Goering-Eckardt pose with new elected party leaders Peter and Oezdemir during party meeting in Berlin

Die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt (v. l.) zusammen mit den Parteivorsitzenden der Grünen, Simone Peter und Cem Özdemir (Bild von 2013).

(Foto: REUTERS)

Kein Wunder, dass Kretschmann die Doppelspitzen bei den Grünen abschaffen will: Das Konzept ist eine Zwangsjacke, das die Partei im Lagerdenken gefangen hält.

Kommentar von Stefan Braun

Wenige Tage erst ist es her, da hat Winfried Kretschmann, grüner Wahlsieger von Baden-Württemberg, seiner Bundespartei gedankt für Solidarität und Beinfreiheit im Wahlkampf. Inzwischen zeigt Kretschmann, dass die Beinfreiheit für ihn weit über den Wahltag hinausreicht. Mit seinem Ruf, die doppelte Doppelspitze abzuschaffen, beweist er enormes Gespür für den gemeinsten Zeitpunkt. Er trifft das grüne Spitzenquartett in Berlin genau in dem Moment, da mindestens drei von den vieren sich für die Spitzenkandidatur 2017 warmlaufen. Jetzt eine Debatte anzustoßen, wie absurd es ist, von einem Quartett geführt zu werden, muss die ins Mark treffen.

Beinfreiheit neu gedacht: Man kann Kretschmanns Einwurf auch als politische Ohrfeige bezeichnen. Dass der Einwurf so wehtut, liegt indes nicht nur an dem Mann aus Stuttgart. Seit zweieinhalb Jahren haben es die beiden Partei- und die beiden Fraktionschefs nicht geschafft, wie ein starkes, einiges, kreatives und verschworenes Quartett aufzutreten. Keine Frage, so etwas hinzubekommen, ist nicht einfach, zumal in der Bundespolitik, in der Zwang und Verlockung zur Selbstdarstellung sehr groß sind.

Trotzdem muss man heute konstatieren, dass im Berliner Spitzenquartett mit Simone Peter und Cem Özdemir, mit Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter keine Stimmung der vergnügten Kooperation herrscht, sondern ein kalter Frieden, in dem jeder versucht, sich die eigene Zukunft zu sichern. Kretschmanns Attacke auf die doppelte Doppelspitze schmerzt so sehr, weil die vier nicht den Beweis erbracht haben, dass eine doppelte Doppelspitze wirklich Sinn hat.

Nicht Waffenstillstand, sondern Zugewinngemeinschaft

Das zentrale Problem ist dabei nicht die Machtteilung zwischen einem Mann und einer Frau an der Spitze. Das Problem ist das ewig währende Bemühen, mit der Doppelspitze immer und überall auch Linke und Realos auszubalancieren. Es mag sein, dass viele mittlere Funktionäre der Grünen das bis heute als ihre wahre Berufung betrachten. Die Wähler aber sind eher genervt von den einschlägigen Debatten, Spiegelfechtereien und Konflikten. Sie wollen klare grüne Antworten auf konkrete Fragen erhalten, nicht den Kampf um Macht und Einfluss erleben. Ohne es zu merken, sind Linke wie Realos an dieser Stelle der SPD, der CDU und der FDP näher gekommen, als sie es je für möglich hielten.

Die eigentliche Frage ist für die Grünen keine strukturelle, sondern eine inhaltliche: Wie schaffen sie es, eine Führung zu bekommen, die nichts ausbalanciert, sondern viel verkörpert? Also ein Führungsduo, das nicht mehr nach Waffenstillstand aussieht, sondern nach Zugewinngemeinschaft?

Das geht nur, wenn die Grünen Frauen und Männer an die Spitze wählen, die glaubhaft beide Flügel integrieren wollen, statt sich als Ikone eines Flügels zu stilisieren. Bislang werden alle, die das versuchen, parteiintern als Träumer oder Weicheier belächelt. Wenn sich das nicht ändert, können die Grünen auch nach 2017 viel über interne Siege und Niederlagen debattieren - auf der Oppositionsbank.

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