Germering:Barrierefreie Unterkunft für Flüchtlinge

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Die Zimmer im Erdgeschoss sind reserviert für Menschen mit körperlichem Handicap. (Foto: Johannes Simon)

Im einstigen Seniorenheim Don Bosco in Germering leben auch elf Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen - wie die Vierjährige aus Somalia, die beatmet wird, und der 28-jährige Rollstuhlfahrer aus Pakistan.

Von Lena von Holt, Germering

Die vierjährige Sumaya ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Etwa sieben Meter lang ist die durchsichtige Kanüle, die ihrer Lunge durch einen Zugang am Hals Sauerstoff zuführt. Am Rand des Zimmers in der Germeringer Flüchtlingsunterkunft Don Bosco steht ein Sauerstoffbehälter. Seit einem halben Jahr lebt dort, auf 25 Quadratmetern, die Familie Ali Ossmani aus Somalia. In der Unterkunft leben neben Sumaya zehn weitere körperlich oder geistig behinderte Menschen. Sie alle profitieren von der Barrierefreiheit des 1971 errichtete, siebenstöckigen Altenheims.

Da Brandschutz und Nutzbarkeit nicht mehr den heutigen Ansprüchen genügen, war zunächst über die Sanierung des Hauses nachgedacht worden. Wegen der hohen Kosten entschied man sich dann aber für einen Neubau. Bis es so weit ist, steht das Haus für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung. Mittlerweile wurde der Brandschutz nachgebessert, ansonsten hat sich nicht viel verändert. Bevor das Don Bosco im August 2015 von der Erstaufnahmeeinrichtung zur Gemeinschaftsunterkunft wurde, haben hier sogar noch alte Menschen gelebt, erklärt Nora Otroc, Verwaltungschefin der Regierung von Oberbayern. Erst nach und nach wurden die Pflegebedürftigen in anderen Einrichtungen untergebracht.

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In den 94 Zimmern des ehemaligen Altenheims wohnen mittlerweile 187 Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien, Irak, Somalia, Eritrea, Nigeria, Sierra Leone und Iran. Das Erdgeschoss ist für die Gehbehinderten und Rollstuhlfahrer reserviert. Ihnen kommt vor allem die besondere Ausstattung des ehemaligen Altenheims zugute. Mit den Fahrstühlen kommen sie ungehindert in die oberen Stockwerke oder in den Keller zum Deutschunterricht. Auch das Badezimmer bietet ausreichend Platz für einen Rollstuhl, und an der Wand sind Haltegriffe befestigt.

Auch deshalb kommt der 28-jährige Husnain aus Pakistan trotz seiner Behinderung einigermaßen klar. Seit seinem dritten Lebensjahr sitzt er wegen Kinderlähmung im Rollstuhl. In Pakistan sei das Leben mit Handicap schwer, erklärt er. Man werde nicht respektiert und sitze den ganzen Tag nur im Zimmer herum. "Das ist kein Leben." Deshalb lebte er seit vielen Jahren in Libyen. Als dort der Bürgerkrieg ausbrach, verließ er das Land. Mit einem Schiff flüchtete er zuerst nach Italien und von dort aus nach Deutschland - ganz allein. "Für mich kein Problem", sagt der junge Mann, der in Libyen als Goldschmied gearbeitet hat. Nur im Boot sei es dann schwierig gewesen, weil er seinen Rollstuhl nicht mitnehmen durfte.

In Don Bosco lebt Husnain heute überwiegend selbstständig. Ist er mal auf Hilfe angewiesen, kann er auf seinen Freund Arsan, den er auf der Flucht kennenlernte, zählen. Oft kümmern sich Familienangehörige um den jungen Mann mit Handicap. Um diese zu entlasten, versucht der Helferkreis, Patenschaften zu vermitteln oder geistig beeinträchtigten Flüchtlingen einen Platz in Behindertenwerkstätten zu vermittlen. Die Verwaltung beantragte auch Behindertenausweise als Voraussetzung für kostenlose Fahrten mit öffentliche Verkehrsmitteln oder freie Zutritte zu Museen.

Im Fernsehen läuft eine deutsche Kinderserie. Mutter Aigeia sitzt auf dem Bett, auf ihrem Schoß ihre sieben Monate alte Tochter. Die hat sie zur Welt gebracht, als die Familie schon hier in Don Bosco war. Ihre ältere Tochter Sumaya bekam sie vor zwei Jahren in einem Flüchtlingscamp in Italien. Das Paar war geflohen, weil es in Somalia mit einer Todesstrafe rechnen musste: Sie hatten geheiratet, obwohl eine Ehe zwischen ihnen verboten war. Im Camp hatte Mutter Aigeia Milch für ihre Tochter erhitzt. Der Topf stand auf dem Tisch, als die Kleine an der Tischdecke zog und sich der kochend heiße Inhalt über sie ergoss.

Neun Monate lang lag Sumaya im Koma. Der italienische Arzt diagnostizierte eine Lungeninfektion. Während seine Tochter vor der Operation zumindest noch etwas selbstständig atmen konnte, war sie danach vollständig auf künstliche Beatmung angewiesen. Mohammed hatte das Gefühl, in Italien nicht die richtige Hilfe für seine Tochter zu erhalten. Deshalb machte sich die Familie mit dem Zug auf nach Deutschland. Hier erhielt sie dann nicht nur ein besseres Beatmungsgerät, sondern auch eine Therapie, die sie darauf vorbereitet, bald wieder ganz alleine zu atmen. Damals hatte der Doktor gesagt, es bestehe eine 50 prozentige Chance, dass seine Tochter sterben wird.

"Ich bin so froh, heute spielt sie sogar mit mir", sagt Mohammed. Die Kleine erhole sich gut und könne vielleicht bald schon mit den anderen Kindern spielen. Bisher war das zu gefährlich, weil die Gefahr zu groß war, dass sie dabei die lebenswichtige Kanüle verliert.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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