Djokovic versus Murray:Absurde Doping-Debatte beschäftigt das Tennis

Tennis Australian Open 2016

Andy Murray glaubt nicht, dass sein Sport sauber ist. Novak Djokovic widerspricht ihm vehement.

(Foto: dpa)

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Maria Scharapowa hat das Tennisturnier in Stuttgart schon dreimal gewonnen. Die bestbezahlte Sportlerin des Planeten war lange Jahre die omnipräsente und unumstrittene Werbefigur für die wichtigste Veranstaltung im Frauentennis hierzulande. Der Hauptsponsor, ein schwäbischer Autobauer, beschäftigte die Russin sogar als internationale Markenbotschafterin. Doch wer in diesem Jahr bei der 40. Auflage der Veranstaltung nach irgendetwas sucht, das in der Arena an Scharapowa erinnert, der findet: nichts. Kein Plakat, keine Ahnentafel, nicht einmal ihr Kleid kann man mehr kaufen. Es ist, als hätte sie nie in Stuttgart mitgespielt.

Turnierdirektor Markus Günthardt sagt, dass der Grand Prix immer über einzelnen Spielerinnen gestanden habe. "Wir waren nie ein Maria-Scharapowa-Turnier." Das klingt ziemlich distanziert. Auch ihre Konkurrentinnen wie Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber wollen über sie nicht groß sprechen, nachdem Scharapowa am 7. März unter Tränen einen positiven Dopingtest gestanden hatte.

Djokovic irritiert mit seinen Aussagen zum Doping

Sie hatte jahrelang das Herzmittel Meldonium genommen, das seit 1. Januar dieses Jahres auf der Dopingliste der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada steht. Wie lange sie gesperrt wird, steht noch nicht fest. Allerdings kann die Geschichte noch eine ungeahnte Wendung nehmen, nachdem die Wada angekündigt hat, Athleten nicht sanktionieren zu wollen, wenn die Proben vor dem 1. März eine Konzentration von maximal einem Mikrogramm pro Milliliter aufweisen. Denn die Substanz verweilt im Körper länger, als zunächst vermutet.

Nicht erst seit Scharapowas Geständnis muss sich die Tennisszene mit dem Thema beschäftigen, das laut ihrer Protagonisten überhaupt kein Thema ist. Der Weltranglistenerste Novak Djokovic zumindest behauptete Anfang der Woche bei der Laureus-Verleihung in Berlin, dass "das Tennis sauber ist, solange es keine Beweise gibt, dass jemand gedopt hat. Ich bin sogar stolz auf die Rechtschaffenheit unseres Sports." Der Serbe verunglimpfte die Medien dafür, ein Dopingproblem herbeizureden.

Jeder Sportler weiß, dass unerlaubte Mittel in jeder Sportart helfen können, die Leistung insoweit zu steigern, dass es über den Ausgang von Sieg und Niederlage entscheiden kann. Markus Günthardt, der ehemalige Schweizer Weltklassespieler im Doppel, zeigt sich angesichts der Aussagen von Djokovic verwundert. "Ich kapiere unsere Sportler nicht. Sie machen sich unglaubwürdig und schießen sich mit solchen unverzeihlichen Mutmaßungen ins eigene Knie."

Die Washington Post zieht bei Djokovic sogar Vergleiche zu Lance Armstrong. Auch der habe Jahre lang Doping bestritten, bis er überführt worden sei, schreibt der Autor. Djokovic steht nicht in Verdacht, irgendetwas Verbotenes getan zu haben. Aber es ist recht seltsam, dass er Doping im Tennis mit Vehemenz bestreitet, obwohl es in der Vergangenheit zahlreiche prominente Fälle gegeben hat.

Crystal Meth bei Agassi, Kokain bei Hingis

So hat der ehemalige Weltranglistenerste und mehrmalige Grand-Slam-Turniersieger Andre Agassi nach seinem Karriereende zugegeben, Chrystal Meth konsumiert zu haben. Der Wimbledonsieger John McEnroe schluckte während seiner Aktivenzeit Steroide, wie er bestätigte. Und auch die beiden prägenden Grand-Slam-Gewinner Mats Wilander und Martina Hingis wurden des Kokainmissbrauchs überführt. Es gibt zahlreiche weitere positiv getestete Spieler zum Beispiel aus Argentinien, die sich früher stundenlang im Höchstgeschwindigkeit auf Sand die Bälle um die Ohren hauten.

An sie wird der schottische Wimbledonsieger Andy Murray auch gedacht haben, als er neulich gegenüber der Mail on Sunday Spieler der Tour des Dopings beschuldigte. "Verbesserungen in unserem Sport sind schwer zu beurteilen, jemand kann zum Beispiel seinen Aufschlag umgestellt haben", sagte Murray. "Aber wenn es rein physisch ist, wenn jemand ein Sechs-Stunden-Match nach dem anderen spielt ohne Anzeichen von Erschöpfung, sollte man darauf schauen."

Nadal sagt: "Jetzt ist es zu viel für mich"

Boris Becker hält solche Anklagen für überflüssig und verfehlt. "Es gibt regelmäßige Kontrollen und solange nichts bewiesen ist, sind sie für mich zu hundert Prozent unschuldig", sagte der Trainer von Djokovic bei der Laureus-Verleihung. "Behauptungen aufzustellen, weil jemand einen Grand Slam gewonnen hat oder weil er fitter ist, geht gar nicht. Ich kann immer nur wiederholen: Tennis ist sauber."

Vielleicht sollten sich sowohl Becker als auch Djokovic intensiver mit der Thematik auseinandersetzen. Denn in vielen Fällen haben nicht Dopingtests Sportler überführt, sondern Ermittlungen. Natürlich gibt es auch Politiker, die das Gegenteil bewirken. Als Negativbeispiel gilt dabei die frühere französische Gesundheits- und Sportministerin Roselyne Bachelot. Die hatte vor ein paar Wochen in einer TV-Show behauptet, dass Rafael Nadal mit einer langen Verletzungspause 2012 einen positiven Dopingbefund kaschieren wollte. Der Fall entwickelte sich rasch zum Politikum.

Nadal, der sonst meist über Topspin-Schläge und seine Form spricht, will nun gegen jede Person juristische Schritte einleiten, die ihm Doping unterstellt. "Das alles ermüdet mich", bekannte der Spanier. "Seit ich fünf Jahre alt bin, arbeite ich viel, immer mit Ehrlichkeit, Leidenschaft, Intensität und Liebe für den Sport." Bislang habe er nie auf Vorwürfe reagiert, weil er die Absender für unseriöse Personen gehalten habe. Ab sofort werde Nadal anders vorgehen - und sich "rechtlich dagegen wehren". Denn: "Jetzt ist es zu viel für mich."

Markus Günthardt, der in Madrid lebt, kann Nadal gut verstehen. "Solche Anschuldigungen bleiben ein Leben lang haften. Da kann Rafael machen, was er will." Ob Maria Scharapowa noch mal in Stuttgart aufschlagen wird, kann niemand voraussagen. Falls sie es tut, dürfte überall in der Arena wieder ihr Konterfei zu sehen sein.

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