Die Recherche:Frauen, redet mit uns! Streitet mit uns!

Die Recherche: Collage: SZ.de

Collage: SZ.de

Wenn Kinder da sind, setzt sich das Modell durch, dass er Vollzeit arbeitet und sie hinzuverdient. Das liegt auch daran, dass Frauen die Diskussion am Küchentisch scheuen.

Von Oliver Klasen

Der Streit begann unverhofft, bei Patatas Bravas und Thunfisch-Tatar auf einer Plaça in Barcelona, Jungsausflug, alte Schulfreunde, Abendsonne, schnell ein paar Bierchen und dann diese Sätze. Erster Satz: "Wenn meine Freundin ein Kind bekommt, ist ihre Karriere vorbei und das weiß sie auch". Zweiter Satz: "Ist ja irgendwie natürlich, dass Frauen sich stärker um Kinder und Familie kümmern".

Es folgte ein handfester Disput. Ich gegen alle anderen am Tisch.

Ich sagte, dass wir im Jahr 2016 lebten und nicht 1955, dass es heutzutage selbstverständlich sein sollte, Job, Kinder und Haushalt zwischen den Partnern grob fifty-fifty aufzuteilen. Sie erwiderten, ich könne ja mal versuchen, als Chirurg mit Perspektive auf eine Oberarztposition nach einer Halbtagsstelle zu fragen.

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der elften Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alle Texte zur aktuellen Recherche finden Sie hier. Mehr zum Projekt finden Sie hier.

Ich wies das Gerede von den "natürlichen, biologischen oder hormonellen Unterschieden" zurück, sprach von Seilschaften karrieregeiler Männer, die den Aufstieg von Frauen systematisch verhindern. Sie argumentierten mit finanziellen Zwängen. Klar helfe der Mann mit bei der Erziehung, aber, wenn es hart auf hart komme, müsse er eben doch den Großteil des Geldes ranschaffen. Sei eben so, könne man nicht von heute auf morgen ändern.

Ich nannte sie reaktionär. Sie bezeichneten mich als weltfremd und naiv.

Jetzt, fast ein Jahr später, komme ich mir manchmal wirklich naiv vor. Die Emanzipation, von der ich glaubte, sie sei in Deutschland schon ziemlich weit vorangekommen, steckt fest. Jeder kann das sehen. Ich selbst habe noch keine Kinder, aber viele Paare um mich herum. Manche Kinder sind noch sehr klein, andere schon im Kindergartenalter, wieder andere schon in der Schule. Die akademisch geprägte Mittelschicht ist zwar überrepräsentiert, aber trotzdem sind es sehr unterschiedliche Paare, in unterschiedlichen Städten, mit unterschiedlichen Jobs, unterschiedlichen familiären Hintergründen, unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten.

Große Projekte: lieber nicht, Meetings nach 17 Uhr: lieber auch nicht

Doch ist es auffallend, wie sich einige Monate nach der Geburt mit wenigen Ausnahmen ganz von alleine ein Modell durchsetzt: Er Vollzeit, sie "verdient mit". Mal ist es eine Dreiviertelstelle mit Home-Office-Tag, mal eine klassische Halbtagesposition, im ungünstigsten Fall ein 450-Euro-Job. Stets macht er die Karriere, höchstens unterbrochen durch eine zweimonatige Elternzeit, die gerne für eine ausgedehnte, staatlich alimentierte Fernreise genutzt wird.

Ihr Job läuft so nebenbei, große Projekte: lieber nicht, Meetings nach 17 Uhr: lieber auch nicht, denn dann hat die Kita zu. Dass jemand anderes das Kind abholen könnte, zum Beispiel der Vater, daran denkt sie gar nicht. Und wenn doch, verlangt sie es nicht von ihm. Die Chefin ist sie nur zu Hause, wenn es um "Familie und Gedöns" geht, ein herablassender Ausdruck, den der als Macho verschriene Altkanzler Gerhard Schröder mal gebrauchte (hat er angeblich nie so gemeint und inzwischen bereut, das muss man fairerweise dazu sagen).

Diese Beobachtung im erweiterten Bekannten- und Familienkreis wird durch repräsentative Studien gestützt. Eine vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene und im Juli 2015 veröffentlichte Untersuchung des Allensbach-Institutes ergab, dass vor der Geburt des ersten Kindes in 71 Prozent der Fälle beide Partner in Vollzeit arbeiten. Dieses Bild verändert sich radikal, wenn das erste Kind geboren ist. Nachdem die Elternzeit vorbei ist, steigen der Studie zufolge nur 15 Prozent der Frauen wieder voll in den Beruf ein. Die meisten wählen ein Teilzeitmodell, während der Mann weiterarbeitet, als sei nie ein Kind auf die Welt gekommen. Auswirkungen der Geburt auf seine Arbeitszeit: null.

Eine ebenfalls 2015 verfasste Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Zwar ist die Quote der Frauen, die berufstätig sind, zwischen 1998 und 2013 um 13 Prozentpunkte gestiegen. Immer mehr Frauen arbeiten also. Doch das, was die Forscher "Gender Time Gap" genannt haben, also der Unterschied zwischen der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von Frauen und Männern, hat sich in den vergangenen 20 Jahren sogar noch vergrößert. Die Gleichberechtigung, das zeigen die Zahlen, hat sich in diesem Punkt also zurückgedreht. Immer mehr Männer malochen in Stressjobs mit 55 Stunden und mehr, während immer mehr Frauen nur stundenweise tätig sind.

Warum Renate Schmidt und Bascha Mika sich aufregen

Es gibt prominente Frauen, die sich über diese Entwicklung richtig aufregen. Renate Schmidt zum Beispiel, SPD-Politikerin, von 2002 bis 2005 Bundesfamilienministerin und Autorin des Buches: "Ein Mann ist keine Altersvorsorge". Im Interview mit dem SZ-Magazin klagt sie über Frauen, die besser ausgebildet sind als zu ihrer Zeit, aber nichts daraus machen. Wenn sie Gleichberechtigung wollen, sagt Schmidt, dann müssen Frauen in puncto Familie loslassen. Also akzeptieren, dass "mein Mann die Fenster so putzt, wie er sie putzen will" und sich bewusst werden, dass es okay ist, "eine etwas schlechtere Mutter zu sein", wenn der Mann gleichzeitig zu einem besseren Vater wird.

Bascha Mika, die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, ging vor fünf Jahren noch weiter. Ihr Buch wurde damals als Frauenbeschimpfung gelesen. Sie schrieb von "Feigheit" und "Selbstbetrug". Frauen, behauptete Mika, wählten zu oft ein bequemes Leben und richteten sich gemütlich zu Hause ein. Sie lebten nach der Devise Kind statt Karriere, scheuten den harten Konkurrenzkampf in der Berufswelt und seien am Ende einfach nicht ehrgeizig genug.

Machos sind inzwischen so sehr in der Minderheit wie die SPD in Niederbayern

Man muss nicht jedes Wort davon richtig finden, aber Bascha Mika und Renate Schmidt haben einen Punkt. Es gibt eine selbstauferlegte Zurückhaltung von Frauen im Berufsleben und ein selbstauferlegtes Überengagement bei Kindererziehung und Haushalt. Dass Frauen unnötigerweise zurückstecken, finde ich ärgerlich - genau wie Renate Schmidt und Bascha Mika. Ich rege mich nicht auf, wenn eine einzelne Frau das tut, über deren konkrete Lebensentscheidung steht mir kein Urteil zu. Aber in der Summe finde ich es bedenklich, schädlich und dem gesellschaftlichen Fortschritt abträglich.

Klar gibt es Chefs, die Frauen absichtlich nicht fördern. Klar gibt es Machos, die sich alles hinterhertragen lassen. Klar gibt es noch immer das unsägliche Ehegatten-Splitting, das so gestaltet ist, dass große Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen steuerlich belohnt werden. Aber alle drei Konzepte stehen gewaltig unter Druck. Wenn sie nicht die besten Kräfte verlieren wollen, können Vorgesetzte kaum noch anders, als auf die Bedürfnisse von Frauen Rücksicht zu nehmen. Harte Machos sind inzwischen so sehr in der Minderheit wie die SPD in Niederbayern. Und das Steuerrecht steht zumindest massiv in der Kritik.

Natürlich gibt es Rollenbilder. Doch einer Rolle kann man sich verweigern

Überhaupt, so denke ich, könnt ihr, liebe Frauen, dem deutschen Staat kaum vorwerfen, zu wenig getan zu haben, für die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf", wie es immer heißt. Es gibt das Elterngeld, das Elterngeld Plus, das Recht auf einen Kita-Platz, das Recht auf einen Teilzeitjob, dazu inzwischen eine oft ausreichende Versorgung mit Ganztagsschulen und Kinderhorten und das alles innerhalb weniger Jahre. Mehr geht kaum in einer freiheitlichen Demokratie.

Es gibt natürlich Rollenbilder, die mit der Erziehung im Elternhaus und in der Schule quasi eingeimpft werden - der Mann als Ernährer, die Frau als Kümmererin. Das hält sich zäh und kann nicht per Gesetz abgeschafft werden. Rollenbilder, die seit ein paar Jahren mit vermeintlich neuen Inhalten sogar immer dominanter werden. Damit meine ich die gerade in großstädtischen Akademikerkreisen gelebte, völlig bekloppte Heroisierung der Mutterrolle, die vorsieht, dass vom Schreiben von Einladungen für den Kindergeburtstag bis zum mit der Laubsäge selbst Aussägen des aus nachhaltig gewachsenem Holz bestehenden Kinderspielzeugs alle Aufgaben stets mit gleicher Hingabe erfüllt werden müssen und die Frau dabei auch noch blendend auszusehen hat.

Aber einer Rolle muss man nicht entsprechen. Man kann sich ihr verweigern. Und wenn das genug Menschen tun, wird es irgendwann eine anderes Rollenbild geben. Deshalb solltet ihr genau das tun, liebe Frauen: Euch verweigern und rebellieren. So wie es in der Frauenbewegung der Sechziger- und Siebzigerjahre einmal angelegt war. "Das Private ist politisch", hieß es damals. Die Lösung, die ich für mich selbst erkämpfe, hat auch Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.

Stellt euch der Diskussion am Küchentisch

Lasst uns nicht auf die große Lösung warten. Darauf, dass der Staat alle Benachteiligungen aufhebt. Darauf, dass der Feminismus euch rettet. "Den Feminismus" als einheitliche Bewegung gibt es gar nicht, wie eine Kollegin hier klug begründet hat. Es gibt nur Millionen von Frauen (und Männern), die sich für Gleichberechtigung einsetzen. Wie das aussehen kann, sieht jede und jeder anders. Alle zusammen können dafür sorgen, dass das Thema wichtig bleibt. Dass darüber in jeder Familie geredet, diskutiert und manchmal auch gestritten wird.

Etwa über Väter, die auf dem Kinderspielplatz von Frauen kritisch beäugt werden, auf dass sie ja nichts falsch machen. Und am Ende auch über die Frage, ob neben all den äußeren Faktoren und Rollenzuschreibungen möglicherweise doch ein kleiner, letztlich biologisch bedingter Unterschied besteht, in der Art, wie sich Mutter und Vater zu ihren Kindern hingezogen fühlen. Solche Unterschiede brauchen wir nicht komplett negieren. Aber wir brauchen sie auch nicht als Entschuldigung benutzen, dass alles auf ewig so bleiben muss wie es ist.

Stellt euch der Diskussion am Küchentisch. Lasst uns darum ringen, wer den Einkauf macht, ob wir zum Kita-Sommerfest einen selbstgebackenen Kuchen mitbringen müssen und wie oft das Klo geputzt werden muss. Ringt mit uns und stellt fest, dass die meisten Männer weiter sind als ihr denkt und ehrlich gesagt, selber darunter leiden, wie festgefügt die Geschlechterrollen sind und wie wenig dafür getan wird, sie neu zu definieren. Diese Männer, das solltet ihr begreifen, sind eure Mitstreiter.

Sie sind es, wenn ihr sie denn lasst. So wie einen anderen Mann aus dem Bekanntenkreis. Er ist freischaffender Autor, seine Frau Ingenieurin in einem Industriebetrieb, die zumindest brutto fast doppelt so viel verdient wie er. Er hätte kein Problem, nach der Elternzeit nur noch drei Tage die Woche zu arbeiten und ansonsten zu Hause zu sein. Er würde die kleine Tochter wickeln, füttern und mit ihr spielen, das alles genauso gut wie die Mutter. Er würde auch - ein klein bisschen weniger gut als sie - kochen, putzen und staubwischen. Aber: Sie möchte das nicht.

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der elften Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alle Texte zur aktuellen Recherche finden Sie hier. Mehr zum Projekt finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: