Sprachpolitik:Das falsche Reinheitsgebot

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung war bei ihrer Frühjahrstagung zu Gast in Köthen - und fragte an historischem Ort nach den Traditionen der "Reinigung" des Deutschen.

Von Volker Breidecker

Angefangen bei der "Flüchtlingsflut", über politische und protomilitärische Kampfbegriffe wie "Umvolkung" und "Überrollung" hat in Deutschland binnen weniger als zwei Jahren eine zuvor undenkbare Verrohung der Sprache stattgefunden, und zwar nicht nur auf Straßen und Plätzen, sondern auch in den gehobenen Salons. Dies war der beklemmende Befund, mit dem Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, deren Frühjahrstagung an einem geschichtsträchtigen Ort eröffnete: In Köthen, dem Residenzstädtchen des einstigen Fürstentums Anhalt, wurde vor 400 Jahren die deutsche Sprache buchstäblich erfunden: als ein stetiger Pflege und Kultivierung bedürftiges Idiom, gebunden weder an eine homogene Ethnie noch an einen zentralen Einheitsstaat.

Zum Zwecke der Sprachpflege wurde 1617 die "Fruchtbringende Gesellschaft", eine von Adligen und Bürgern vorwiegend protestantischer Konfession getragene Akademie, aus der Taufe gehoben. Diese erste deutsche Akademie überhaupt war ebenso wenig ein "autochthones" deutsches Produkt, wie die Sprache selbst der Ausfluss einer vermeintlichen "Ursprache" der Deutschen war. Diese "Ursprache" schien erst nach späteren "alldeutschen" und "völkischen" Vorstellungen ihrer vermeintlichen Reinheit und Unveränderlichkeit wegen der beständigen Ausmerzung von "artfremden", "fremdwörtlichen" und "fremdländischen" Ein- und Zuflüssen zu bedürfen.

Ganz im Gegensatz dazu war die Köthener Akademie des 17. Jahrhunderts, die sich in einer Zeit der Konfessionskriege als "Friedensprojekt" - so der Romanist Harald Weinrich - ihre eigene kleine Welt einrichtete, ein Transfer- und Lehnprodukt fremdländischer, nämlich italienischer Sprachkultur. Ihr Gründer, Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, hatte seine Kavaliersjahre in Florenz verbracht und verkehrte dort im Kreise der ältesten europäischen Sprachgesellschaft, der Accademia della Crusca - berühmt durch das Großprojekt eines noch heute verbindlichen vielbändigen Wörterbuchs der Sprache Dantes, Boccaccios und Petrarcas, die zur Landessprache des geeinten Italien wurde.

"Crusca", das heißt "Kleie", die - wie bei uns der Weizen - durch die Arbeit der Sprachverfeinerung bildlich gesprochen vom "Spreu" getrennt werden sollte. Die Köthener "Fruchtbringer" und nachfolgender "Gartenpfleger" zielten jedoch auf ein Mehr an sprachlicher Vielfalt und sprachlichem Reichtum, nicht aber auf die Durchsetzung starrer sprachlicher Reinheitsgebote. Dies verdeutlichte der Sprachwissenschaftlers Uwe Pörksen am Beispiel des Philosophen Leibniz, der hundert Jahre darauf dem Deutschen neben dem Lateinischen und Griechischen auch - das Arabische als vorbildhafte Kultursprache zur Seite stellte. "Reinheit" hingegen ist Pörksen zufolge der "Tod der Sprache".

Für die Zeit um nochmals hundert Jahre später verfolgte Gustav Seibt, Mitarbeiter dieser Zeitung, Goethes entschiedene Abwendung von aller Deutschtümelei: " . . . eigentlich geistlose Menschen sind (es), welche auf die Sprachreinigung mit so großem Eifer dringen", befand der Weimarer 1813. Ähnlich muss - wiederum hundert Jahre später - Karl Kraus gedacht haben, als er 1918 schrieb: "Die Sprachreiniger wissen nicht einmal, dass es nicht die Sprache ist, was sie reinigen." Das Zitat steht einer Schrift des Philologen Leo Spitzer als Motto voran: "Fremdwörterhatz und Fremdvölkerhass. Eine Streitschrift gegen die Sprachreinigung", erschien ebenfalls 1918, fünfzehn Jahre bevor der Wiener Jude von seinem Kölner Lehrstuhl vertrieben wurde und ins Exil ging - nach Istanbul. Spitzer schreibt: "Das 'Gedenke, dass du ein Deutscher bist!" führt unvermerkt hinüber zum 'Am deutschen Wesen soll die Welt genesen"". Bis am Ende des Weges der Ausmerzung von Fremdwörtern und Einflüssen anderer Sprachkulturen die Ausrottung des und der Fremden selbst steht.

Von den historischen Perspektiven führte - jenseits der schmalen Pfade der Sprachkritik an Idiomen der "Flüchtlingskrise" - leider keine tragfähige Brücke zu den im zweiten Teil der Tagung erörterten Fragen von Einwanderung, Spracherwerb und Integration. Etwas Sprengstoff barg lediglich die Sprachfalle unbedingter politischer Korrektheit um den Preis eines guten Gebrauchs der deutschen Grammatik: Einige Tagungsteilnehmer aus der praktischen Sprachvermittlung ersetzten das in ihren Augen pejorative Wort "Flüchtling" durch "Geflüchtete" oder, als handle es sich um Popstars, gleich durch "Newcomer". Das brachte den Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg auf die Palme - sie war übrigens das Emblem der "Fruchtbringenden Gesellschaft" -, der darin einen widrigen Eingriff in das Sprachsystem erblickte: Grammatikalisch wie semantisch bedeuteten dergleichen Wort-Ersetzungen nämlich immer etwas anderes, im Zweifelsfall Unsinniges, wohingegen das Wort "Flüchtling" niemandem etwas getan habe. Da spiegelt die partizipial verkrampfte Ersetzung eines unschuldigen Wortes den wohl noch aus der zweiten deutschen Nachkriegszeit ererbten Verdrängungswunsch gegenüber Flüchtlingsschicksalen. Es bleibt also genug Stoff für die Spracherkundungen künftiger Akademietagungen.

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