Tourismus und Kulturschock:Wenn Touristen sich danebenbenehmen

Tourismus und Kulturschock: Illustration: Alper Özer

Illustration: Alper Özer

Nackt-Selfies an heiligen Orten, Shorts, die für Einheimische aussehen wie Unterhosen: Reisende stoßen ihre Gastgeber in der Ferne oft vor den Kopf - auch ungewollt.

Von Irene Helmes

Als im vergangenen Sommer der Kinabalu auf Borneo bebte und 18 Menschen starben, war für viele aus dem Volk der Dusun klar: Die Wächter des Berges zeigten ihren Zorn. Tage zuvor hatten es Backpacker witzig gefunden, sich auf dem Gipfel für ein paar Fotos nackt auszuziehen. Warum auch nicht, "it's just a fucking mountain", wie einer danach via Facebook trotzig in die Welt rief. Nur: Das ist Ansichtssache. Nach altem Glauben der Gegend ruhen oben die Seelen der Toten, machen Rast auf der Wanderung ins Jenseits.

Die einheimischen Führer seien ausgelacht und beschimpft worden, hieß es, als sie um Respekt für den Ort baten. Der Strip der Touristen wurde in Malaysia zur halben Staatsaffäre; für eine Britin, zwei Kanadierinnen und einen Niederländer endete die Sache wegen obszönen Verhaltens in der Öffentlichkeit vor Gericht. Die Strafen fielen symbolisch aus, doch die Geschichte ging um die Welt.

Eine absurde Episode, in der Chaoten mit einer Schnapsidee auf eine konservative Gesellschaft prallen? Ein echtes Sakrileg? Entscheidend ist etwas anderes: Gefühle sind schnell verletzt, und wer sich im Alltag für einen halbwegs umgänglichen Menschen hält, wird das auch im Urlaub sein wollen. Oder doch nicht?

Am Adria-Strand im Muskelshirt "ja, bontschorno!" bellend, bevor er den nächsten Italienerwitz reißt, so hat Gerhard Polt in "Man spricht deutsh" Touristen in den Achtzigern ein hämisches Film-Denkmal gesetzt. Der Urlaub als Fortsetzung des Alltags mit anderen Mitteln, den lästigen Einheimischen zum Trotz, gilt bis heute als Spezialität von Pauschal- und Gruppenreisenden. Dass vermeintlich weltgewandte Individualisten genauso gut in der Kategorie Egotrip sind, zeigen Nackt-Selfies in den Tempeln von Angkor Wat ebenso wie die Verwandlung einst ruhiger Nachbarschaften von Barcelona oder Lissabon in Kulissen für exzessive Partywochenenden.

Wie wir Urlaub machen wollen

Jedes Jahr sind etwa eine Milliarde Touristen unterwegs. Das bietet riesige Chancen für die besuchten Länder. Und einige Probleme.

Angesprochen fühlen will sich natürlich niemand. Schließlich verhält man sich selbst nicht so auf Reisen, sondern ganz normal. Dieses "Normal" ist aber die größte Falle.

Ein freundlich hochgestreckter Daumen: in muslimischen Ländern eine geschmacklose, sexuell aufgeladene Geste. Der direkte Blickkontakt, um Nähe herzustellen: in manchen Regionen Asiens ein Zeichen der Respektlosigkeit. Der japanische Concierge lacht, wenn sich der Gast beschwert: So äußert der Hotelangestellte keinen Spott, sondern Verlegenheit. Wenigstens im Urlaub ist es warm genug, um Shorts zu tragen? Für traditionsbewusste Araber sieht das aus, als liefe der Urlauber in Unterhosen herum.

In den Worten des Philosophen Bernhard Waldenfels "schillert alles Fremde und Fremdartige zwischen Befremdendem, Verlockendem, Bedrohlichem" - und verlangt nach Bewältigung. Besonders zu sein ist wichtig für den Erfolg von Destinationen, aber welcher Reiseveranstalter will schon einen Kulturschock seiner Kunden riskieren? Massentourismus bedeutet deshalb auch, dass Unterschiede einkalkuliert und dosiert werden. Das Ergebnis ist ein Balanceakt zwischen dem Servieren exotischer Ziele in leicht verträglichen Portionen und der Aufrechterhaltung von Standards, auf die Gäste nicht verzichten wollen.

Ist doch alles zwecklos?

Kulturell angepasste Angebote sind ein Erfolg, gerade weil sie oft ganz beiläufig für Vertrautes am Urlaubsort sorgen. Ob durch die Schnitzel, die in mediterranen Badeburgen auf Deutsche warten, die Cafézelte, die Münchner Luxushotels für arabische Gäste aufstellen, oder Schulungen, die europäisches Servicepersonal für die Erwartungen chinesischer Reisegruppen sensibilisieren - je professioneller die Gastgeber, desto weniger möchten sie dem Zufall überlassen.

Dean MacCannell hat Tourismus mit Theater verglichen. Reisende ähneln demnach dem Publikum vor einer Bühne. Der Wunsch vieler ist aber, hinter die Kulissen zu blicken. "Lifeseeing" heißt das im Kontrast zu "sightseeing". Touristen, sofern sie nicht einfach für ein paar Tage unter einer anderen Sonne die Welt vergessen möchten, suchen das Andere. Interessant wird es, wenn sie es finden - können sie es aushalten? Und können es die Einheimischen?

Auf der ganzen Welt handeln Gäste und Gastgeber permanent den Umgang miteinander aus. Vieles ist längst vergessen, etwa dass die Frage anständiger Strandkleidung nicht nur muslimische Gesellschaften beschäftigt, sondern auch christlich geprägte Orte am Mittelmeer oder in der Karibik umgetrieben hat.

Oft siegt das Geld über die Vorbehalte - ob die sonst konservativen Malediven Inseln des Laissez-faire für westliche Luxusurlauber bereitstellen oder ausgerechnet bayerische Unternehmerverbände Burka und Niqab gegen ihre eigene Wirtschaftsministerin verteidigen. "Es widerspricht unserer Vorstellung von einer Gleichstellung der Frau", so argumentierte Ilse Aigner für ein Verbot, das auch für Touristinnen gelten sollte - die Branche konterte mit dem Verweis auf drohende Einnahmeverluste. Auch als der Tourismusverband von Zell am See 2014 auf die Idee kam, Hotelgästen aus den Golfstaaten beim Check-in eine Benimmfibel überreichen zu lassen, wurde diese nach großer Aufregung zurückgezogen. Die Wirte hatten angesichts der Wertschöpfung kein großes Interesse an Grundsatzdiskussionen.

Inwieweit Urlauber auf kulturelle Normen Rücksicht nehmen müssen, bleibt eine Glaubensfrage. Anders als bei CO₂-Bilanzen oder der Frage, wie viel von einem Touristen-Dollar im Land bleibt, ist das Gegenrechnen von Wahrnehmungen und Gefühlen unmöglich. Sobald es nicht um grundlegende Menschenrechte, sondern um Spielarten des Miteinanders geht, helfen "richtig" oder "falsch" kaum weiter. Und selbst die Debatte, wo Menschenrechte aufhören und der ambivalentere Rest anfängt, wird erbittert geführt, siehe das Thema Verschleierung.

Dass die reine Begegnung schon positiv wirkt, gilt unter Ethnologen jedenfalls als Wunschdenken. Mangelnde Sprachkenntnisse, Oberflächlichkeit der Kontakte, Statusunterschiede, stressige Umstände - all das kann Stereotype und Vorurteile sogar verstärken, und zwar auf beiden Seiten. Kulturwissenschaftler warnen deshalb vor zu hohen Erwartungen an kurze Reisen.

Dann also doch einfach drauflos fahren, ist sowieso alles zwecklos? Nein, immerhin in diesem Punkt sind sich alle Experten einig. Interkulturelle Reiseliteratur hält Listen von Dos und Donts des jeweiligen Ziels bereit, die Fettnäpfchen vermeiden helfen. Darum, diese auswendig zu lernen, geht es aber nicht. Sondern um die alles andere als banale Einsicht, dass nicht alle die eigenen Selbstverständlichkeiten teilen.

Idealerweise entsteht dann die nötige Offenheit, Menschen vor dem Hintergrund ihrer Kultur als Individuen wahrzunehmen. Die Kulturwissenschaftlerin Gerlinde Irmscher hat davor gewarnt, dass ausgerechnet kultursensible Urlauber Gefahr laufen, Einheimische in die Rolle der Fremden zu stecken. Nicht nur Ignoranz verhindere echtes Kennenlernen, sondern auch übertriebene Vorbereitung, wenn man "mit einer genauen Vorstellung davon anreist, wie die Leute zu sein haben".

Alle bisherigen Folgen der Serie gibt es unter sz.de/gutereise

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