TTIP-Papiere:TTIP-Verhandlungen: Jetzt muss Europa rote Linien abstecken

Europa kann von mehr Transparenz bei den TTIP-Gesprächen profitieren. Denn nun ist der richtige Moment gekommen, zu sagen: Bis hierher und nicht weiter.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Die Befürworter des Handelsabkommens TTIP haben einen großen Fehler gemacht. Vielleicht erkennen sie das jetzt, da durch die Veröffentlichung der Verhandlungstexte erstmals klar wird, worüber sie reden. Es ist die Geheimhaltungs-Obsession der USA, die dem ganzen Vorhaben den Ruch einer Verschwörung gegen die Interessen der Bürger verliehen hat. Wenn nun auf einen Schlag zu lesen ist, welche mitunter heiklen Wünsche Washington äußert, verstärkt sich der Eindruck einer Konspiration.

Hätten die Amerikaner ihre Interessen frühzeitig offengelegt und sie der Öffentlichkeit zu erklären versucht - sie stünden zumindest glaubwürdiger da. Nun erwecken sie den Eindruck, sie arbeiteten zum Nachteil von 500 Millionen Europäern. Denn was die US-Regierung durchsetzen will, würde den EU-Bürgern teilweise schaden. Nur ein Beispiel: Europa verbietet Lebensmittel wie Hormonfleisch oder Genfood vorsorglich - dann nämlich, wenn der Verdacht auf gesundheitliche Gefährdungen besteht. Die USA wollen diese Form der Vorsorge durch ihr System ersetzen, in dem Produkte oft erst dann verboten werden, wenn sie Menschen schon geschadet haben. Europas Bürger möchten ihren Verbraucherschutz aber nicht für die wirtschaftlichen Vorteile eines Handelsraums opfern, und das ist ihr gutes Recht.

Gespräche mit den USA können von der Transparenz profitieren

Nach den Enthüllungen ist eine Differenzierung wichtig: Vorschläge der USA wandern nicht automatisch in einen konsolidierten Vertragstext. Es handelt sich ja um Verhandlungen. Deshalb schlägt nun die Stunde der Europäer. Sie müssen der US-Regierung genau klarmachen, welche Werte für sie unverhandelbar sind.

Dabei geht es vor allem um drei Punkte. Europas Verbraucher müssen weiter so geschützt bleiben wie bisher. Dabei dürfen ihre Rechte nicht durch Tricks ausgehebelt werden, etwa wenn auf die Kennzeichnung von Genfood verzichtet würde. Zweitens: Europa muss prinzipiell die Hoheit darüber behalten, welche Gesetze es zum Schutz von Mensch und Natur beschließt. Die EU verbietet in Kosmetika mehr als tausend Stoffe, die Krebs erregen könnten, die USA nur elf. Europa darf das amerikanische System, in dem Konzerne zu viel Einfluss auf die Gesetze haben, nicht übernehmen. Und drittens sollten die Europäer ein neues Modell beim Investitionsschutz durchsetzen, um Konzernklagen gegen europäische Standards zu minimieren.

Wenn die Europäer diese roten Linien einhalten, kann aus TTIP ein Abkommen werden, von dem die Bürger profitieren. Denn freier Handel ist ja der Kern der Marktwirtschaft, er hat Europas Wohlstand begründet. Bei TTIP geht es nun darum, einen noch freieren Handel mit den Vereinigten Staaten zu vereinbaren, ohne die eigenen Werte aufzugeben. Für jeden Kompromiss sind Zugeständnisse nötig - auch gegenüber den USA. Es darf sich nur nicht um Zugeständnisse handeln, die offensichtlich die Interessen der Bürger verraten. Falls die US-Regierung auf faule Konzessionen beharrt, sollte Europa hart bleiben - und TTIP absagen.

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