Konkurrenz durch AfD:Wie die Linke Wähler zurückholen will

Freital

Viele Flüchtlingshelfer kommen von den Linken, immer wieder werden deshalb ihre Wahlkreisbüros von Rechten angegriffen - hier das Büro der Linkspartei in Freital in Sachsen im Herbst 2015.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Lange haben die Linken bestritten, dass es beim Wähler Sympathien für rechtspopulistische Parolen gibt. Nun will die Partei provokanter werden. Doch wie viel Annäherung an den Stammtisch ist möglich, ohne linke Ideale zu verraten?

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es soll jetzt ein Ruck durch die Reihen gehen. Die Linke will wieder näher ran an den Wähler, der sich Rechtspopulisten anzunähern droht. "Revolution" rufen die einen. "Kümmern" die anderen. So wie es ist, kann es jedenfalls nicht bleiben, wenn die Linke 2017 wieder in den Bundestag will, in nennenswerter Stärke. Von Regieren redet sowieso keiner mehr.

Ein eisiger Frühlingstag in Berlin, auf der Straße Unter den Linden frieren die Touristen in den Droschken, in Bundestagsbüro Nummer 3123 aber heizt Jan Korte nach Kräften ein, auch sich selbst. "Es ist zu ruhig geworden in der Partei", sagt der 39-Jährige. "Ich finde, dass wir wieder provokanter werden müssen. Es muss auch mal wehtun."

Korte, der seit Herbst Vize-Fraktionschef der Linken im Bundestag ist, stammt aus Niedersachsen, war mal ein Grüner, jetzt gehört er zu den pragmatischen Realos der Linken und kandidiert im Wahlkreis Anhalt, worum ihn in diesen Tagen nicht jeder beneidet.

Im anhaltischen Bitterfeld holte der Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl im März 33,4 Prozent der Stimmen. Insgesamt verlor Die Linke in Sachsen-Anhalt zwölf Prozent ihrer Wähler an die AfD, mehr als neun Prozent sind seit der vorherigen Landtagswahl gestorben. In Rheinland-Pfalz liefen sogar 21 Prozent Linkenwähler zur AfD über, unter ihnen neben Erwerbslosen auch viele Gewerkschafter.

Die Parteioberen in Berlin, die lange bestritten haben, dass es beim Wähler Sympathien für rechtspopulistische Parolen gibt, denken nun laut gegen die Krise an. Denn seit die AfD Deutschlands bestgehasste Protestpartei ist, laufen der Linken nicht nur Wähler weg. Auch das Opponieren im Bund verliert Fahrt, seit die Kanzlerin als Schutzmacht Geflüchteter gilt.

Auf Alarmsignale reagieren

Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nährt in der Asylpolitik die Verlustängste der Benachteiligten. Andere wie Katja Kipping fordern Solidarität. Der Streit dürfte auch den Parteitag im Mai beschäftigen. Eigentlich sollen da die Segel für 2017 gesetzt werden, aber der Linken sind alle potenziellen Regierungspartner abhandengekommen. Die Grünen nehmen Kurs auf Schwarz-Grün, die SPD sucht sich selbst.

Wo Bündnispartner fehlen, will Die Linke sich also auf eigene Kräfte besinnen - und auf den missgestimmten Wähler. Denn an Alarmsignalen fehlt es nicht.

"Es darf kein Weiter-so geben", schreiben die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger in einem Strategiepapier, das die Partei in die Offensive führen und die "soziale Revolution" ausrufen will. Ein Aufstand gegen die Verunsicherung soll da angezettelt werden, mit Forderungen nach Rentenanpassung und Kritik am "Ausbluten-lassen der ostdeutschen Regionen". Gleichzeitig, und das ist das Kunststück, soll beim "Kampf um die Köpfe" auch für die "sozial gerechte Einwanderungsgesellschaft" geworben werden.

Linke will um "Köpfe" kämpfen - doch wie?

Wie das gehen soll, weiß keiner genau. "Wir müssen radikaler in der Analyse werden, aber keinesfalls in der Phrase", sagt Fraktionsvize Jan Korte, der sich sein Büro mit einer Büste von Karl Marx teilt und wirkt, als wolle er seinen Leuten Muntermacher verordnen.

In Umfragen halte die Linke sich stabil, auch der Führungswechsel im Bundestag habe sich friedlich vollzogen. "Wir haben in der Fraktion eine wirklich neue Debattenkultur", sagt Korte. "Es gibt harte Diskussionen, aber wir führen sie nicht mehr halb-öffentlich."

Wer den Fraktionsvize fragt, wie er eigentlich Sahra Wagenknechts Wortmeldungen zur Asylpolitik findet, sieht einen vorsichtigen Blick. Auf der Höhe der Flüchtlingskrise hatte Wagenknecht - anders als Korte - die Grenzen der Belastbarkeit betont und davor gewarnt, dass Arme aus Deutschland draufzahlen müssen wegen der vielen Flüchtlinge, wenn der Staat nicht mehr investiere. Klingt ähnlich wie bei der AfD, kritisierten Parteifreunde.

Da sein, wo das Leben spielt

Ärger gab es auch, als Ex-Parteichef Oskar Lafontaine Flüchtlingsobergrenzen forderte. "Wir haben da eine unterschiedliche Tonlage", sagt Korte. Aber Streit? "In der Flüchtlingsfrage gibt es kein Wackeln." Viele Flüchtlingshelfer kämen aus der Linken, ihre Wahlkreisbüros würden immer wieder von Rechten angegriffen. Als einzige Partei im Bundestag habe Die Linke auch gegen alle Asylrechtsverschärfungen gestimmt, also "Haken dran".

Ganz so einfach aber ist es nicht. An der Basis soll jetzt mit Blick auf die Bundestagswahl die Operation Rückholung beginnen. "Natürlich will ich einen Teil der Wähler zurück", sagt Korte und meint die Wählerwanderung nach rechts. 33,4 Prozent für die AfD in Bitterfeld "da muss man sich fragen, was auch wir falsch gemacht haben".

Die Linke müsse sich wieder mehr kümmern um die kleinen Träume, wie Korte das nennt, auch um das Offenhalten der letzten Schule im Dorf, den ausgedünnten Busverkehr auf dem Land, ums Kommunale eben. "Als linke Volkspartei müssen wir wieder an alte Stärken anknüpfen: Zuhören, und unsere Überzeugungen dahin tragen, wo das Leben spielt, ob im Verein, auf dem Markt oder am Stammtisch."

Wie viel Annäherung an den Stammtisch möglich ist, ohne linke Ideale zu verraten, muss der Feldversuch zeigen und dürfte noch Debatten auslösen. Denn während die linke Basis in Großstädten jünger wird und offen ist für solidarische Flüchtlingspolitik, hadern viele ältere ostdeutsche Stammwähler damit, dass das linke Parteiprogramm "offene Grenzen für alle" fordert. "Da hört man nicht nur nette Sachen", sagt Fraktionschef Dietmar Bartsch über die Reise an die Basis. Und dass sie nicht länger aufgeschoben werden kann.

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