Mini-Wohnung:Leben im Taschenformat

Viele Londoner können sich in der Stadt keine Bleibe mehr leisten. Der Immobilienentwickler Lucian Smithers bietet ihnen deshalb Mini-Apartments an.

Von Björn Finke

Lucian Smithers sitzt im Besprechungszimmer und blättert in der großformatigen Broschüre. Der Marketing-Vorstand des Londoner Immobilienentwicklers Pocket zeigt Fotos von einem Neubau und den Wohnungen darin, erklärt die Grundrisse. 17 Apartments beherbergt das zweistöckige Haus im Londoner Stadtteil Cricklewood, und für alle gibt es schon Käufer. Dabei sind die Zwei-Zimmer-Wohnungen gerade mal 38 Quadratmeter groß und haben weder Balkon noch Zugang zu einem Garten. Und sie kosten trotzdem 264 000 Pfund, 330 000 Euro.

In der teuren Hauptstadt geht das jedoch als Schnäppchen durch. Der Durchschnittspreis einer Immobilie an der Themse beträgt nach Angaben des Statistikamtes mit 524 000 Pfund fast das Doppelte. Londoner verdienen im Schnitt aber nur 35 000 Pfund im Jahr. "Für viele unserer Käufer sind die 38-Quadratmeter-Wohnungen ihr bisher geräumigstes Eigenheim", sagt Smithers. "Während des Studiums waren sie im Wohnheim, und als sie in London angefangen haben zu arbeiten, zogen sie in eine Berufstätigen-WG."

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Wie viel Wohnfläche ein Mensch braucht, um sich darin wohlzufühlen, hängt auch von der richtigen Aufteilung ab.

(Foto: Sarah J Duncan/Pocket)

38 Quadratmeter zu erwerben und darin alleine zu wohnen, ist dann tatsächlich eine Verbesserung. Und ewig zur Miete zu leben, ist für Briten ohnehin keine reizvolle Alternative zum Kauf. Zum einen schützt das Gesetz Mieter weniger als in Deutschland, und zum anderen gilt weiterhin das Motto: My home is my castle. Wer etwas auf sich hält im Königreich, der kauft.

Smithers Firma hat sich darum auf vergleichsweise billige Mini-Apartments für junge Berufstätige spezialisiert, die sich im boomenden London sonst gar keine Wohnung leisten könnten. Das Durchschnitts-Einkommen der Käufer dieser Apartments liegt bei 37 000 Pfund jährlich, also 46 000 Euro, ihr Durchschnitts-Alter ist 32. "In unseren Wohnungen gründet niemand eine Familie. Sie sind nur für einen bestimmten Lebensabschnitt gedacht", sagt der Manager. Die Einheitsgröße von 38 Quadratmetern ist kein Zufall: Das überschreitet so gerade den Mindestwert, den die Regierung für Wohnungen vorschreibt.

Das Unternehmen, dessen Name auf deutsch Tasche bedeutet, verkaufte vor zehn Jahren die ersten Wohnungen. Seitdem baute es insgesamt gut 200 der kleinen Apartments. Jetzt sollen alleine 2016 etwa 200 Wohnungen fertig gestellt werden, und bis 2019 soll die Zahl auf 500 jährlich steigen. Das rasante Wachstum der Mini-Häuslebauer zeigt, wie dramatisch die Wohnungsnot in London ist. Das Thema beherrscht auch den Wahlkampf in der Stadt: Am 5. Mai bestimmen die Bürger einen Nachfolger für den exzentrischen Bürgermeister Boris Johnson.

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Badewanne, Balkone, Tiefgaragen? Fehlanzeige. Die braucht ein moderner Großstädter nicht, heißt es beim Londoner Immobilienentwickler Pocket Living.

(Foto: Sarah J Duncan/Pocket)

Die Preise für Immobilien haben sich vom Einbruch in der Finanzkrise schon längst wieder erholt und verzeichnen neue Rekorde. Viele Briten können sich nun ihre eigene Hauptstadt nicht mehr leisten. Ursache ist das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage: Die Stadt zieht Studenten und gut qualifizierte Berufstätige aus aller Welt an; die Zahl der Einwohner soll in den kommenden 25 Jahren von heute 8,6 auf 11 Millionen steigen. Doch werden seit Jahren nicht genug Häuser gebaut. Und zu vieles von dem, was gebaut wird, richtet sich an Reiche oder an Investoren aus dem Ausland, die ihr Vermögen in Betongold an der Themse anlegen wollen. "In London wurde viel zu viel teurer Wohnraum und viel zu wenig billiger geschaffen", sagt Smithers.

Pocket holt aus den 38 Quadratmetern das Möglichste heraus. Um Platz zu sparen, nutzt das Unternehmen statt Heizkörpern Fußboden-Heizungen. Der Flur wird klein gehalten, Badewannen gibt es nicht. Fenster gehen vom Boden bis zur Decke, damit die engen Räume heller wirken. Um Kosten zu senken - und die Wohnungen so billiger verkaufen zu können -, verzichtet Pocket auf Balkone und ersetzt Tiefgaragen durch Fahrradständer.

Dank dieses Konzepts kann das Unternehmen mit 28 Mitarbeitern auch auf kleinen Flächen bauen. Flächen, die uninteressant sind für Immobiliengesellschaften, die gewöhnlich große Wohnungen errichten. Pocket verkauft die Apartments dann mit mindestens einem Fünftel Abschlag zum Marktpreis für diese Gegend, um sie erschwinglich für Normalverdiener zu machen. Dafür dürfen die Käufer jedoch nicht mehr als 90 000 Pfund Einkommen im Jahr beziehen, dürfen noch keine Immobilie besitzen, und sie müssen bereits in dem Stadtteil von London leben oder arbeiten. Die Wohnung weiterzuvermieten, ist verboten. Und will der Besitzer sie später losschlagen - weil er vielleicht eine Familie gründen möchte -, muss der neue Käufer den gleichen Kriterien entsprechen.

Lucian Smithers

Lucian Smithers ist bei Pocket Living für das Marketing zuständig. Das Unternehmen hat sich auf Mini-Apartments für junge Berufstätige spezialisiert. Zuvor war Smithers Marketing-Direktor beim britischen Bezahlsender Sky.

(Foto: oh)

Dieses strenge Regelwerk verhindert Spekulation. Zusammen mit dem Preisabschlag erschwert es aber Pockets Geschäfte. Das Management muss sich allerdings daran halten, damit die Verwaltung die Bauanträge für die Mini-Wohnungen überhaupt genehmigt. Für die Firma bleibt trotzdem genug übrig: In diesem Jahr soll Pocket erstmals Gewinne ausweisen. Der amerikanische Immobilien-Milliardär Stephen Ross ist jedenfalls angetan. Im Februar übernahm er von den Gründern die Hälfte der Anteile an Pocket; der Kauf bewertet die Gesellschaft mit 32 Millionen Euro.

Bislang konzentriert sich Pocket auf London. "Und bevor wir in andere britische Städte gehen, gehen wir eher ins Ausland", sagt Smithers. Denn solche Mini-Wohnungen seien nur etwas für sehr große und teure Städte. Noch gebe es aber keine konkreten Pläne für den Schritt in die Fremde. Dafür will das Unternehmen 2019 in London erstmals kleine Apartments zur Miete statt zum Kauf anbieten. Die Miete soll besonders niedrig sein, und die Verträge sollen mit drei Jahren für britische Verhältnisse sehr lange laufen. Genug Interessenten werden sich sicher finden - dafür garantiert der Wahnsinn auf Londons Immobilienmarkt.

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