Hartz IV:Gefühlter Sozialbetrug in Landshut

Langericht Landshut

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen des vermuteten Sozialbetrugs.

(Foto: dpa)

Angeblich beschäftigen zwei Firmen rumänische Bewohner der berüchtigten Drachenburg kurzzeitig für geringen Lohn - um ihnen Anspruch auf Hartz IV zu verschaffen. Das klingt anrüchig, wäre aber legal.

Von Andreas Glas, Landshut

Es gibt ein Wort, das in diesen Tagen häufig fällt in Landshut, und dieses Wort macht die Sache nicht einfacher: gesetzeskonform. "Es ist alles gesetzeskonform", sagt Doris Schramm, die Sprecherin der Landshuter Arbeitsagentur, die nicht an den Skandal glauben möchte. "Mag sein, dass es gesetzeskonform ist", sagt auch Thomas Haslinger, der im Stadtrat sitzt und vom Skandal überzeugt ist. Zwei Lager, eine Meinung. Die Sache könnte damit erledigt sein - wenn sie eben nicht so kompliziert wäre.

Zwei Wochen ist es her, da berichtete das Landshuter Wochenblatt über einen schäbigen Wohnblock, den die Landshuter nur "Drachenburg" nennen. In dem Bericht stand, dass die Menschen, deren Namen auf den Briefkästen des Wohnblocks stehen, gar nicht dort wohnen, sondern in ihrem Heimatland, in Rumänien. Dass diese Menschen sich eine Scheinadresse in der Drachenburg zugelegt haben, um Hartz-IV-Leistungen zu erschleichen.

Eine Woche später teilten Stadt und Arbeitsagentur mit, dass da nichts dran sei, dass es keine Hinweise auf Sozialbetrug gebe. Die Süddeutsche Zeitung hatte darüber berichtet. Doch jetzt, wieder eine Woche später, steht ein neuer Verdacht im Raum.

Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks (BR) und des Wochenblatts sollen zwei Landshuter Firmen, darunter mindestens eine Reinigungsfirma, regelmäßig Bewohner der Drachenburg für wenige Stunden pro Woche und für einen Minilohn von weniger als 200 Euro im Monat beschäftigt haben. Noch während ihrer Probezeit sollen die Firmen ihren rumänischen Angestellten dann ebenso regelmäßig wieder gekündigt und ihnen auf diese Weise Anspruch auf Hartz IV verschafft haben.

Für die Recherchen ist ein Kamerateam des BR auch nach Rumänien gefahren, in einen bettelarmen Ort namens Pécska. Dort filmte das Team eine Person, die sagt, sie wolle wieder nach Deutschland, um sich arbeitslos zu melden. Hinweise auf massenhaften "Sozialtourismus nach Landshut" hat das Kamerateam offenbar auch in Pécska nicht gefunden - doch zitiert der BR einen anonymen Informanten. Die Rumänen hätten "das Minimum verdient, um Sozialleistungen zu kassieren", sagt der Informant, und er sagt auch: "alles legal".

Gesetzeskonform, aber gefühlt falsch

Und genau das ist der Kern der Sache: Der gefühlte Sozialbetrug - wenn es ihn denn gibt - könnte völlig legal sein. Wer nach weniger als einem Jahr unfreiwillig arbeitslos wird, kriegt danach sechs Monate lang Hartz IV, das ist sein Recht. Wer länger als ein Jahr gearbeitet hat, dem stehen die Sozialleistungen sogar unbefristet zu. Daran dürfte auch der Gesetzesentwurf nichts ändern, den Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) kürzlich vorgelegt hat, um Sozialleistungen für EU-Ausländer einzuschränken. Oder wie es eben die Sprecherin der Arbeitsagentur formuliert: Wenn die BR-Recherche "den Tatsachen entspricht, dann ist das gesetzeskonform".

Dass zwei Firmen den Bewohnern der Drachenburg systematisch Hartz-IV-Leistungen verschaffen, daran glaubt die Stadt Landshut aber weiterhin nicht. Dafür gebe es "nicht den Hauch eines Anhaltspunkts", sagt Sprecher Thomas Link - und zählt noch einmal auf, was die Stadt kürzlich ermittelt hat: In den 67 bewohnten Einheiten in der Drachenburg seien 23 Alleinstehende oder Familien gemeldet, die Hartz-IV bekommen.

Die Grenzen der Legalität ausgereizt?

Bei 20 dieser Fälle handle es sich um Aufstocker, die legal arbeiten gehen, aber zu wenig für ihren Lebensunterhalt verdienen und deswegen Sozialleistungen bekommen. Auch für die übrigen drei Fälle gebe es keine Hinweise auf Sozialbetrug. Zumal bei den Arbeitgebern der rumänischen Aufstocker "keine Firma dabei ist, die auffällig viele beschäftigt", die in der Drachenburg wohnen, sagt die Sprecherin der Arbeitsagentur.

Doch solange nichts bewiesen ist, bleiben Fragen offen: Ist im Fall Drachenburg eine Straftat im großen Stil begangen worden oder wurden die Grenzen der Legalität ausgereizt? Oder ist am Ende wirklich nichts dran, wie Arbeitsagentur und Stadt Landshut beteuern? Trotz Skepsis werde man sich "die Wohnverhältnisse noch mal anschauen", die in der Drachenburg herrschen, heißt es aus der Arbeitsagentur.

Außerdem werde man die in der Vergangenheit in der Drachenburg gemeldeten Personen darauf prüfen, "ob es fingierte Arbeitsverhältnisse gab". Sollten sich doch Hinweise finden, "dann müsste man fragen, welches Interesse eine Firma daran haben könnte", einen Menschen nur zum Schein anzustellen, damit dieser Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen bekomme, sagt Sprecherin Schramm.

Denkbar sei zum Beispiel, dass der Angestellte als Gegenleistung für die Firma arbeite "und nichts dafür kriegt", sagt Schramm. Die Profiteure wären dann wohl weniger die Arbeitnehmer als vor allem die Firmen, die sich die Geldnot vieler rumänischer Zuwanderer zunutze machen, um Lohnkosten zu sparen. Und obendrein profitieren die Vermieter, die den Rumänen regelrechte Bruchbuden wie die Drachenburg für teures Geld vermieten, weil es für Zuwanderer schwierig ist, auf dem angespannten Wohnungsmarkt etwas Besseres zu bekommen. Dass Rumänen in Deutschland "oft benutzt werden, das ist mir auch klar", sagt selbst Stadtrat Haslinger (Junge Liste), der vom Sozialbetrug überzeugt ist. "Es steckt wohl eine Maschinerie dahinter", sagt Haslinger.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt

Eine Maschinerie, der die Behörden offenbar machtlos gegenüber stehen - weil es in Bayern kein Wohnungsaufsichtsgesetz mehr gibt, das den Städten erlaubt, Häuser wie die Drachenburg zu schließen, wenn sie überbelegt sind und Mindeststandards nicht erfüllen. Mithilfe eines solchen Gesetzes könnten sowohl die Zuwanderer als auch das Sozialsystem besser vor Ausbeutung geschützt werden.

Um den Fall Drachenburg zu klären, ermittelt nun auch die Landshuter Staatsanwaltschaft. Sollte der Verdacht stimmen, die Rumänen aber tatsächlich gearbeitet haben, um Anspruch auf Hartz IV zu erwerben, sei dies "straflos", sagt Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl. Eine Straftat wäre es dagegen, wenn Firma und Beschäftigter ihr Arbeitsverhältnis nur vorgetäuscht haben, um Sozialleistungsansprüche zu erschleichen - wenn es die Beschäftigung also nur auf dem Papier gab. "Wenn sich das nicht nachvollziehen lässt, bleibt es straffrei", sagt Bäumler-Hösl, die offenbar wenig Hoffnung hat, den Fall zu klären. Eine Scheinbeschäftigung, sagt sie, sei im Nachhinein "sehr diffizil" zu beweisen.

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