Sozialdemokratie:Die SPD muss wieder für Gerechtigkeit stehen

Sigmar Gabriel

Parteichef Sigmar Gabriel muss die SPD auf einen Kurs bringen, der das Soziale mit dem Ökonomischen verbindet.

(Foto: dpa)

Die Lage der Sozialdemokraten war schon Jahrzehnte nicht mehr so ernst. Vielleicht können sie nur in der Opposition wieder stark werden.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Lage der SPD kann man mit zwei Versen beschreiben. Der eine Vers steht bei Wilhelm Busch, der andere in der Internationale. Im ersten Streich von Max und Moritz heißt es über die Hühner, die am dürren Ast des Baumes hängen: "Und ihr Hals wird lang und länger. Ihr Gesang wird bang und bänger." So ergeht es derzeit den Sozialdemokraten; der dürre Ast, das sind bei ihnen Umfragewerte und Wahlergebnisse.

Der zweite Vers steht in der Internationale; die ist ein altes Arbeiterkampflied, das einst in Verruf geraten war, als die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten es in den Rang einer Nationalhymne erhoben. Geschichte. Aber es stehen vier Zeilen in diesem Lied, die die SPD noch heute an ihre Mitglieder verschicken kann: "Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser und Tribun, Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!" Das bezog sich einst auf die Lage der Arbeiter. Heute gilt das für die Partei, die die Partei der Arbeiter war.

Zwar treten immer noch tausend Mitglieder monatlich in die SPD ein, wie Katarina Barley, die erfrischende neue Generalsekretärin, vermeldet. Aber die Zahl der "Abgänge" ist größer: Es handelt sich weniger um Austritte; es ist so, dass der Partei die Mitglieder wegsterben. Die Entwicklung könnte noch schlechter sein, aber sie ist schlecht genug. Die Partei befindet sich in elender Lage; zuletzt kam sie in einer Umfrage auf 20 Prozent. Vom alten Stolz ist wenig übrig geblieben. Von ihrer Beschädigung durch Hartz IV hat sich die SPD noch nicht erholt. Hartz IV war ein Systemwechsel weg vom Solidaritätsgedanken, der der Kern der SPD ist. Nun haben die Umfragen einen gewaltigen Sog nach unten entwickelt; eine schlechte Umfrage hat die noch schlechtere nächste zur Folge. Der Kopf vieler Genossen hängt heute so tief, dass sie Perspektiven nicht mehr sähen, selbst wenn es sie gäbe.

Weil das so ist, fällt vielen nur das Naheliegende ein: Könnte die SPD den Trendwechsel nicht mit einem neuen Vorsitzenden schaffen? Sigmar Gabriel liegt krank darnieder. Er schwankt schon länger zwischen trotzigem Mut und Resignation. Er sei, so seine Kritiker, ein erfolgloser Parteichef, der Haltung mit Pose verwechsle. Die Kritik an ihm, die sich mit dem Verdikt, dass er ein sehr unsteter Kandidat sei, zusammenfassen lässt, übersieht, dass er immerhin ein Element der Stetigkeit in die SPD gebracht hat: Er hat den ständigen Wechsel an der Spitze beendet; seit Hans Jochen Vogel sich dort 1991 verabschiedete, gab es im Schnitt alle zweidreiviertel Jahre einen neuen SPD-Chef. Gabriel führt die SPD nun seit sechseinhalb Jahren, er ist der am längsten amtierende Chef seit Willy Brandt. "Weiterarbeiten und nicht verzweifeln" war das Motto, das Hans Jochen Vogel mit sich im Geldbeutel herumtrug; Herbert Wehner hatte ihm den Zettel in schwieriger Lage im Jahr 1981 zugesteckt.

Mit Einfach-so-Weitermachen wird es aber nicht getan sein; die Lage der SPD war schon Jahrzehnte nicht mehr so ernst. Sie wird sich mit dem Mut der Verzweiflung gegen ihre Verzwergung stemmen müssen. Das wird nicht mit Zickzack und Zackzick gelingen, sondern nur mit einem Kurs, der das Soziale mit dem Ökonomischen verbindet und der beim Wort Gerechtigkeit wieder an die SPD denken lässt. Wie sehr die Partei um die Wähler ringt, zeigt soeben das Strategiepapier zum Umgang mit der AfD, das Parteivize Olaf Scholz verfasst hat. Parteichef Gabriel hat angekündigt, dass die Partei erst spät über ihren Kanzlerkandidaten entscheiden wolle; sonst gehe man dem Wähler nur auf die Nerven. Es wird aber nicht reichen, dem Wähler nicht auf die Nerven zu gehen. Die Sozialdemokratie wird zusehen müssen, wie sie die Wähler wieder packen, wie sie wieder begeistern kann.

Vielleicht erreicht die SPD ihre Kraft und ihre Macht erst wieder in der Opposition. Eine kräftige Sozialdemokratie kräftigt auch die Demokratie.

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