Geld und Gastgeschenke:Der Tourist, die wandelnde Brieftasche

Gute Reise Illustration Bettler

Bevor man in die Brieftasche greift, sollte man sich gut informiert und eingelesen haben: Was ist der Durchschnittslohn im Land? Wer gilt selbst unter den Einheimischen als arm und wer ist es nur im Verhältnis zu uns? Illustration: Alper Özer

(Foto: Alper Özer)

In armen Ländern sehen Einheimische Reisende oft als Geldgeber, die es anzuzapfen gilt. Aber das ist nicht das eigentliche Problem.

Von Hans Gasser

"Auf Reisen nimmt man alles hin, die Empörung bleibt zu Haus. Man schaut, man hört, man ist über das Furchtbarste begeistert, weil es neu ist. Gute Reisende sind herzlos." (Elias Canetti)

Sind sie nicht. Oder zumindest wollen sie es nicht sein. Und selbst der Schriftsteller Elias Canetti, der diese Zeilen in seinen Reiseerinnerungen "Die Stimmen von Marrakesch" (1967) geschrieben hat, war es nicht. Aber dazu später.

Wer in Länder wie Nepal, Bolivien oder Marokko reist, ist von armen Menschen umgeben. Denn arm ist dort selbst im Vergleich zu einem eher schlecht bezahlten europäischen Angestellten die Mehrheit der Bevölkerung. Bei nicht wenigen Reisenden, vor allem den Kultur- und Studienreisenden, führt dies oft zu einem latent schlechten Gewissen: "Ich kann hierher fliegen", sagen sie sich, "wohne in Hotels, in denen eine Nacht mehr kostet, als die meisten hier im Monat verdienen." Bei manchen führt das dann zum Reflex, helfen zu wollen, etwas von seinem eigenen Wohlstand im Land zu lassen. Nun kann man das tun, indem man bei guten Reiseveranstaltern bucht, die Hoteliers und Busfahrer anständig bezahlen und versichern. Man kann in kleinen Gästehäusern wohnen und in Restaurants essen, die von Einheimischen geführt werden.

"Lernen, sich an die Armut zu gewöhnen"

Aber wie soll man umgehen mit den Ärmsten der Armen, mit bettelnden Kindern, Kranken oder Slumbewohnern? Bevor man in die Brieftasche greift, sollte man sich gut informiert und eingelesen haben: Was ist der Durchschnittslohn im Land? Wer gilt selbst unter den Einheimischen als arm und wer ist es nur im Verhältnis zu uns? "Und dann muss man als Reisender lernen, sich an die Armut zu gewöhnen", sagt der Tourismus-Ethiker Harald Friedl. "Sonst kann man kein sinnvolles Urteil fällen."

Wie wir Urlaub machen wollen

Jedes Jahr sind etwa eine Milliarde Touristen unterwegs. Das bietet riesige Chancen für die besuchten Länder. Und einige Probleme. Alle Folgen der Serie unter sz.de/gutereise.

Wer von Mitleid getrieben sei, begegne den Menschen nicht auf Augenhöhe. Ähnliches meinte Canetti wohl mit seinem "herzlos": unvoreingenommen sein, die Zusammenhänge verstehen, nicht sofort das westliche Wertesystem anwenden. "Wir neigen dazu, Menschen außerhalb unserer Welt für etwas beschränkt und erbarmungswürdig zu halten", so Friedl. "Dabei sind sie zwar im Vergleich zu uns arm, aber sie sind nicht dumm." Ein westlicher Tourist werde in vielen Ländern als "wandelnde Brieftasche" angesehen, die es anzuzapfen gelte. Das nicht zu tun, würde in vielen Familien als verantwortungslos gelten, eine vergebene Chance darstellen.

Vor nicht allzu langer Zeit war das auch noch im Alpenraum so: An den reichen Städtern musste man sich etwas dazuverdienen. Man vermietete ihnen das ehemalige Kinderzimmer, verkaufte ihnen Speck, und der Kriegsversehrte hielt die Hand auf für ein Almosen. Das war und ist legitim und sollte nicht dazu führen, dass man als Reisender nur noch Angst hat, abgezockt zu werden, und den Kontakt zu Einheimischen meidet. Andererseits sollte man auch nicht zu viel Geld geben. Eine gute Richtschnur ist das Verhalten der Einheimischen. Wem sie Geld geben, der hat es wirklich nötig. Auch bei den Summen sollte man sich an dem orientieren, was diese geben. Meist sind das kleine Beträge und Münzen statt Scheine.

Selbst bei Schreibheften sollte man aufpassen

"Gibt man zu viel, kann es das Gefüge kaputt machen", so Friedl, der 25 Jahre lang auch als Reiseleiter gearbeitet hat. Er habe einmal einen blinden Mann in Nordafrika unterstützt, indem er ihm Postkarten zum Verkauf an Touristen verschafft habe. Durch diese privilegierte Stellung habe der Mann aber die bisherige Unterstützung seiner Freunde im Dorf verloren: "Dir helfen ja jetzt die Ausländer", hieß es.

Bettelnden Kindern sollte man nie Geld geben, sagt Dietlind von Laßberg. "Sonst werden sie von den Eltern zum Betteln geschickt statt in die Schule." Und selbst mit Kugelschreibern oder Schreibheften sollte man sparsam umgehen. Laßberg ist Vorstand beim Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e. V., der die Reihe Sympathiemagazine herausgibt - eine gute Handreichung, um sich in die Gepflogenheiten in verschiedenen Ländern einzulesen. Auch die "Kulturschock"-Bände aus dem Reise-Know-How-Verlag eignen sich gut dafür.

Wer helfen will, rät Laßberg, sollte an karitative Organisationen spenden, die im Land arbeiten und am besten wissen, wer Hilfe am nötigsten braucht. Auch eine Patenschaft für ein Kind mit monatlichen Zahlungen für dessen Ausbildung sei sinnvoll. Zudem unterhalten manche Reiseveranstalter Stiftungen oder Projekte, die in armen Ländern helfen.

Ehrliches Interesse als Gegenleistung

Wer länger und individuell unterwegs ist, der wird manchmal von Einheimischen eingeladen. Das gehört für viele zu den schönsten Reiseerlebnissen, bringt einen aber auch manchmal in eine Zwickmühle: Selbst in den ärmsten Familien wird dabei das Beste und Teuerste aufgetischt. "Erwarten die nicht eine Gegenleistung dafür?", fragt man sich als steifer Europäer. Hier sollte man sich entspannen, rät Harald Friedl. In vielen armen Ländern sei die Gastfreundschaft viel stärker ausgeprägt und herzlicher als bei uns.

Natürlich sollte man sich informieren, was als Gastgeschenk üblich ist, was die Leute brauchen können. Das können in ganz armen Ländern Lebensmittel sein, ein Sack Reis, Zucker oder auch Zigaretten, sagt Friedl. Manchmal wollten die Menschen aber auch nur Unterhaltung als Gegenleistung oder ehrliches Interesse. Fotos kämen immer gut an, vor allem von den eigenen Kindern, von verschneiten Landschaften und anderen ungewöhnlichen Dingen aus dem anderen Erdteil.

Elias Canetti gab übrigens Bettlern immer relativ große Münzen. Und nachdem er im Judenviertel von Marrakesch bei einer Familie eingeladen worden war, verlangte ein Sohn folgende Gegenleistung von ihm: Er solle doch bitte an den Kommandanten des amerikanischen Militärlagers einen Brief schreiben und um Arbeit für ihn ersuchen. Canettis Argumente, dass er weder Amerikaner sei noch den Kommandanten kenne, ließ der Sohn nicht gelten. Allein das Briefpapier des Hotels mit der Unterschrift eines Europäers könne Wunder wirken. Immer wieder kam der Mann ins Hotel, Canetti war genervt. "Ich verwünschte den Augenblick, in dem ich das Haus seiner Familie betreten hatte." Am Ende aber schreibt er ihm den Brief, wie gefordert, in dreifacher Ausfertigung.

Alle bisherigen Folgen der Serie gibt es unter sz.de/gutereise

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