Karlsfeld im Stau, Folge 1:Der Dauerstau wird portioniert

Karlsfeld im Stau, Folge 1: Solche Bilder aus Karlsfeld sollen der Vergangenheit angehören. Denn die Autos könnten bald schon an den Ortseingängen gestoppt werden.

Solche Bilder aus Karlsfeld sollen der Vergangenheit angehören. Denn die Autos könnten bald schon an den Ortseingängen gestoppt werden.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Mit intelligenter Ampelsteuerung sollen immer nur so viele Fahrzeuge nach Karlsfeld eingelassen werden, wie es die Straßen bewältigen können. Im Ort würde der Verkehr dann besser fließen und weniger Lärm und Abgase verursachen. Die Autofahrer werden am Ortseingang gestoppt

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Die kleine Freisinger Gemeinde Hohenkammer darf sich freuen. Endlich bekommt sie ihre Ortsumfahrung: Im Bundesverkehrswegeplan wurde die Entlastungsstraße mit höchster Priorität aufgenommen. In Karlsfeld löste die Nachricht sardonisches Gelächter aus: Durch Hohenkammer fahren etwa 10 000 Fahrzeuge am Tag, über die Münchner Straße in Karlsfeld sind es abschnittsweise mehr als 40 000, Tendenz steigend. Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid werden regelmäßig überschritten. Der Antrag auf den Bau eines Karlsfelder Entlastungstunnels wurde in Berlin aber einfach verworfen. Zu unwirtschaftlich, heißt es.

Ganz gestorben ist das Vorhaben noch nicht. Das Bundesverkehrsministerium hat alte Zahlen extrapoliert und gelangt dadurch zu Ergebnissen, die nicht stimmen. In dem umfangreiches Verkehrsgutachten, das die Gemeinde in Auftrag gegeben hat, wurde die tatsächliche Entwicklung nach wissenschaftlichen Methoden dokumentiert. Jetzt wird noch einmal nachgerechnet, aber die Hoffnungen auf den Karlsfelder Tunnel halten sich in Grenzen. Mit Baukosten von 140 Millionen Euro müsste das Projekt schon wahre Wunder vollbringen, damit es sich rechnet.

Alternativ wird noch eine kürzere Variante des Tunnels geprüft. Hinter der Gartenstraße würde eine Rampe in den Untergrund beginnen und ab der Allacher Straße in einer Röhre verschwinden, die bis zur Bajuwarenstraße geht. Auf Höhe des Eichendorffrings käme der Verkehr wieder an die Oberfläche. Die Lösung wäre nicht ganz so teuer, würde aber auch längst nicht so viel bringen wie ein langer Tunnel. "Ich bin nicht euphorisch", sagt Bernd Wanka, der die erneute Prüfung als Verkehrsreferent noch einmal bei Dobrindts Leuten durchgeboxt hat.

Das Verkehrsgutachten, das die Gemeinde in Auftrag gegeben hat, weist aber noch eine Vielzahl anderer Maßnahmen auf, die in Summe durchaus einen Entlastungseffekt für Karlsfeld haben könnten. Der entscheidende Kniff: Der Durchgangsverkehr soll auf ein Maß heruntertransformiert werden, den die vierspurige Münchner Straße auch zu Stoßzeiten bewältigen kann. Für die Pendler heißt das nicht, dass sie auf dem Weg von Dachau nach München nicht mehr im Stau stehen werden. Aber eben nicht in Karlsfeld, sondern schon an der roten Ampel vor dem Ortsschild. Stauraumverlagerung nennt sich das in der Sprache der Verkehrsplaner.

Je nach Verkehrsaufkommen, soll die Geschwindigkeit der Fahrzeuge schon vor dem Ortseingang gedrosselt werden. Auch dafür gibt es einen besonderen Terminus technicus: dynamischer Geschwindigkeitstrichter. Im Prinzip ist es nichts anderes als eine Staumauer mit geregeltem Überlauf. Das Wasser wird dadurch zwar nicht weniger. Aber man kann die Überflutungsspitzen kappen. Umgesetzt werden soll es auf den Hauptverkehrskanälen durch Karlsfeld, auf der Bundesstraße 304 und der Staatsstraße 2063. Im Ort soll sich das positiv bemerkbar machen: statt des Stopp-and-Go-Verkehrs freie Fahrt dank Grüner Welle. Die existiert jetzt zwar auch schon, aber sie funktioniert oft nicht. Denn je mehr Autos auf der Straße sind, desto träger wird das System. Sind zu viele Fahrzeuge unterwegs, kommen nicht mehr alle in einer Ampelphase über Grün, die Verzögerungen summieren sich, das System kollabiert. Und man steht wieder im Stau.

Eine echte Grüne Welle schont nicht nur die Nerven der Pendler. Tests des Automobilclubs ADAC zeigen, dass die Stickoxid-Emissionen dadurch um rund 50 Prozent sinken, der Partikelausstoß um etwa ein Viertel. Reduziert werden Lärm und Abgase auch durch eine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit von 60 auf 50 Stundenkilometer. Gegen diese Maßnahme gab es im Staatlichen Bauamt lange Zeit heftigen Widerstand. Zu groß war die Sorge, der Verkehr könnte dann komplett zum Erliegen kommen. Neue Untersuchungen zeigen, dass die Kapazität der Straße dadurch nur marginal leiden würde; mittlere Verlustzeiten blieben annähernd gleich. Zu den Stoßzeiten kommen die Autofahrer sowieso nur im Schneckentempo voran, trotz des erlaubten Tempos 60.

Flankiert werden soll die Portionierung des innerörtlichen Verkehrs durch weitere Bausteine: Dazu gehört die Optimierungen entlang der B471 und die Ertüchtigung der Autobahnanschlussstelle Oberschleißheim. Diese überörtlichen Verkehrsachsen sollen Pendlern attraktive Alternativen zur Ortsdurchfahrt in Karlsfeld eröffnen. Im gleichen Zug empfiehlt das Gutachten der Gemeinde, Schlupf- und Schleichwege im Ort für den Durchgangsverkehr unattraktiver zu machen, zum Beispiel durch Fahrbahnverschwenkungen, Einengungen und Aufpflasterungen. Sinnvoll wäre das zum Beispiel an der Bayernwerkstraße westlich der Bahn, der alten Münchner Straße durch die Rothschwaige und die Hochstraße an der Handwerkersiedlung.

Die wichtigste Maßnahme müssten aber die Bürger im Ort selbst umsetzen. Nicht nur auswärtige Pendler, sondern auch die Karlsfelder selbst verursachen einen Großteil des Autoverkehrs. Mit geeigneten Alternativangeboten in Bus und Radverkehr, die schon in der Schule beworben werden, sollen sie sich ein Verkehrsverhalten angewöhnen, in dem das Auto nicht mehr das Verkehrsmittel erster Wahl ist.

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