Damals und heute:Eine Bahre für die Kunst

40 Jahre nach der Ersteinrichtung von "zeige deine Wunde" von Beuys reagieren Künstler am gleichen Ort darauf

Von Evelyn Vogel

Eine Leichenbahre musste her. Und zwar eine aus Zink, der man den Gebrauch ansah. Da Joseph Beuys das so wollte, blieb seinen Galeristen Bernd Klüser und Jörg Schellmann nichts anderes übrig, als so ein Ding zu beschaffen. Also überredete man einen Pathologen seines Vertrauens mitzumachen, bestach den Hausmeister und verschaffte sich in einer Nacht- und Nebelaktion die geforderte Bahre. "Beinahe wären wir noch aufgeflogen", erzählt Bernd Klüser. "Denn als das Auto nicht gleich anspringen wollte, kam ausgerechnet die Polizei vorbei - und half beim Anschieben. Hätten die richtig ins Auto geschaut, wir wären mächtig in Erklärungsnot geraten."

Man muss wirklich schallend lachen, wenn Klüser mit seinem trockenen Humor die Geschichte erzählt. Aber damals waren die Zeiten halt noch anders. Da wartete man nicht, bis die Spedition die Kunstwerke ablieferte. Da packte man selbst mit an. Zudem war es ja auch Klüsers Idee gewesen, mit Beuys eine Installation mit Doppelobjekten zu machen. Und zwar nicht in den damaligen Räumen im 5. Stock der schicken Maximilianstraße, sondern in einem im wahrsten Sinn unterirdischen und total vernachlässigten Raum der Stadt: der Unterführung Altstadtring-Maximilianstraße, die man für diesen Zweck notdürftig herrichtete.

Aber Beuys mochte die Rohheit des Raumes, der damals noch ein wenig anders aussah als heute. Das Schmuddel-Image hat das Maximiliansforum zwar längst abgelegt und wird auch regelmäßig vom Kulturreferat bespielt, aber das Subversive der Lage unter Münchens Nobelmeile, das Beuys damals schon reizte, kennzeichnet auch heute noch seine Stellung.

Im Februar 1976 war es dann so weit. Etliche Doppelobjekte hatte Beuys mit Hilfe seiner Galeristen zusammengetragen und arrangierte in etwa zwei Tagen das Environment "zeige deine Wunde" unter der Maximilianstraße. Die Fotografin Ute Klophaus war mehr zufällig zugegen und schoss ein paar Bilder. Sonst gäbe es von der Originaleinrichtung des Beuys-Environments, das später für so viel Wirbel sorgen sollte, nicht einmal eine Dokumentation.

"Zur Vernissage kam an zeitgenössischer Kunst interessiertes Publikum", erinnert sich Klüser, "die meisten Besucher zeigten sich betroffen, aber eine Diskussion löste die Ausstellung nicht aus." Und so wurde sie nach einigen Wochen abgebaut und eingelagert. Einer war von der Arbeit jedoch so beeindruckt, dass ihn "zeige deine Wunde" nicht mehr losließ: Armin Zweite, damals Direktor des Lenbachhauses. Der Rest, könnte man sagen, ist Geschichte. Der Ankauf der Arbeit "zeige deine Wunde" fürs Lenbachhaus wurde zum Prüfstein für München. Aufruhr, Beschimpfungen, Demonstrationen, Entlassungs- und Rücktrittsforderungen gegen Zweite und den damaligen Kulturreferenten Jürgen Kolbe bewegten die Stadt. Am Ende hatte die Auseinandersetzung die Stadt aus der konservativen Starre gelöst und dem Lenbachhaus eine veränderte Sammlungsstrategie beschert.

40 Jahre nach der Ersteinrichtung hat das Kulturreferat zeitgenössische Künstler eingeladen, sich mit "zeige deine Wunde" am Originalschauplatz auseinander zu setzten. Die Ergebnisse sind in einer vierteiligen Reihe bis Ende des Jahres zu sehen.

Zeige deine Wunde 2016, Teil 1: Die Markierung des Raumes, Maximiliansforum und Außenraum der Maximilianstraße, www.maximiliansforum.de

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: