Tragikomödie:Depressiv im Baumarkt

In der Tragikomödie "Mängelexemplar", nach dem Bestseller von Sarah Kuttner, spielt Claudia Eisinger eine verzweifelte junge Frau, die sich selbst auf die Nerven geht. Also müssen die Großstadtneurosen weg!

Von Karoline Meta Beisel

Karo hält nie die Klappe, auch dann nicht, wenn sie gerade nichts sagt. Unablässig plappert ihre eigene Stimme in ihrem Kopf. Karo ist hervorragend darin, sich selbst fertigzumachen: "Meine Spezialkraft: Arschsein", sagt die innere Stimme. Ganz unrecht hat sie mit der Analyse nicht. Die beste Freundin Anna will von Karo nichts mehr wissen, weil die so sehr um sich selbst kreist, dass sie sogar die Beerdigung von Annas Vater vergisst. Und im Baumarkt beschimpft sie ein Mädchen, das laut heulend nach seiner Mami ruft: "Wenn das Brüll im Baumarkt nicht überleben kann, dann soll es nicht sein."

Karo, 28, frisch gefeuerte Irgendwas-mit-Medien-Arbeiterin, ist eine anstrengende Nervensäge. Der Zuschauer hat nie Pause von ihr, sie ist in jeder einzelnen Szene - aber das ist ein schlauer Kniff, denn Karo selbst bekommt ja auch keine Pause von den Schimpftiraden in ihrem Kopf.

Die TV-Moderatorin Sarah Kuttner beschrieb in ihrem Bestseller "Mängelexemplar" 2009 Depressionen und Panikattacken. Autobiografisch sei das Buch nicht; sie habe sich durch Erfahrungen von Freunden inspirieren lassen, sagte Kuttner damals. Stets wurde sie mit ihrer Viva-Kollegin Charlotte Roche verglichen, die kurz zuvor auch über ganz schön anstrengende Frauenfiguren geschrieben hatte. Nun ist nach deren "Feuchtgebiete" und "Schoßgebete" auch Kuttners Buch verfilmt worden. Anders als Roche hat sich Kuttner bei der Kino-Adaption ihres Bestsellers allerdings völlig rausgehalten.

Ob die Hauptfigur eine echte Depression hat oder bloß eine schlechte Phase - richtig klar wird das im Film nicht. Karo (Claudia Eisinger) jedenfalls sucht sich eine Therapeutin, um besser mit sich klarzukommen, und zwar so, wie man gegen Hunger ein Brot kauft: Hab ich, jetzt müsste es doch besser gehen. Das ist natürlich naiv. Überhaupt nähert sich der Film seinem Thema mit sehr naheliegenden Fragen: "Soll ich Ihnen was von meiner Kindheit erzählen?". Oder mit einfachen Lehrsätzen: "Depression ist eine Krankheit", erfährt Karo von ihrer Mutter. Trotzdem ist die Adaption der Regisseurin Laura Lackmann charmant. Zum einen, weil sie trotz des ernsten Themas genug Raum lässt für komödiantische Momente. Etwa, wenn Karo Nähe bei ihrem Freund sucht: "Kannst du mich bitte mal in den Arm nehmen?", fragt sie. "Ich hab dich doch schon umarmt", sagt der.

Vor allem aber lebt "Mängelexemplar" von Karos Begegnungen mit den hervorragend besetzten Nebenfiguren. Katja Riemann spielt Karos Mutter, die selbst mal depressiv war. Wegen der Krankheit konnte sie sich um die Tochter nicht kümmern. Was aber auch kein Grund ist, es Karo heute übermäßig leicht zu machen, sondern erst recht Anlass, dafür zu sorgen, dass die auch alleine klarkommt. Detlev Buck spielt den kauzigen Vater - aber vielleicht auch sich selbst: "Dieses ganze ,Tzychozeug' ist nur was für Privilegierte".

Am besten aber ist Laura Tonke als Karos Freundin Anna. Die macht sich lustig über Urban Gardener, Neu-Berliner und Szene-Touristen - hat aber selbst eine gewollt altmodische Eckkneipe in Kreuzberg, knutscht auf Glitzerpartys mit bärtigen Klischee-Hipstern und trägt an Feiertagen ein phänomenales rosafarbenes Tigersakko.

Mängelexemplar, D 2016 - Regie, Buch: Laura Lackmann, nach der Vorlage von Sarah Kuttner. Kamera: Sten Mende. Mit: Claudia Eisinger, Katja Riemann, Barbara Schöne, Laura Tonke, Maren Kroymann, Christoph Letkowski, Maximilian Meyer-Bretschneider. X-Verleih, 112 Minuten.

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