Leiharbeit:Neue Zeiten, neue Grenzen

Lesezeit: 3 min

Einigung nach monatelangem Streit: Warum Union und SPD jetzt den Einsatz von Leiharbeitern einschränken wollen - und wie das den Beschäftigten helfen könnte.

Von Thomas Öchsner

Als Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles den Mindestlohn durchsetzte, sagte sie: "Darauf kann man stolz sein." An diesem Mittwoch sprach die SPD-Politikerin wieder von einem historischen Schritt. "Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt eine gesetzliche Regelung, die ganz eindeutig die Rechte der Leiharbeitnehmer stärkt. Wir haben zum ersten Mal überhaupt Regeln, damit Werkverträge nicht missbraucht werden." Welche Schlupflöcher Nahles schließen will - die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ändert sich für Leiharbeiter?

In Deutschland gibt es laut Bundesagentur für Arbeit knapp eine Million Leiharbeiter. Diese bei Zeitarbeitsfirmen angestellten Arbeitnehmer werden an andere Betriebe vorübergehend verliehen. Künftig haben sie nach einem Einsatz von neun Monaten in ein- und demselben Entleihbetrieb Anspruch auf den gleichen Lohn, wie ihn Mitarbeiter aus der Stammbelegschaft in einer vergleichbaren Position erhalten.

Gibt es Ausnahmen?

Ja, wenn in Tarifverträgen bereits Zuschläge für Leiharbeiter vereinbart sind wie etwa in der Metall- und Elektroindustrie oder in der Chemiebranche. Die Zuschläge müssen dann aber bereits nach sechs Wochen Einsatzzeit fällig sein. Länger als 15 Monate darf die Übergangszeit jedoch nicht dauern, dann ist ein Arbeitsentgelt zu zahlen, das "gleichwertig" mit dem der Stammarbeitskräfte sein soll.

Wann genau gibt es "gleichen Lohn für gleiche Arbeit"?

Leiharbeiter müssen ein wenig Geduld haben, bis sie von der neuen Vorschrift profitieren. Bislang sah der bereits überarbeitete Gesetzesentwurf vom Februar 2016 vor, dass bei der Neun-Monats-Regel Einsatzzeiten mitzurechnen sind, die vor Inkrafttreten des Gesetzes liegen. Jetzt zählen diese Zeiten erst vom ersten Tag der Gültigkeit des Gesetzes. "Die Arbeitgeber erhalten so eine Übergangsfrist", heißt es im Einigungspapier der Koalitionsspitzen.

Welche Rolle spielen Leiharbeiter künftig bei der Mitbestimmung?

Wahl und Größe eines Betriebsrats sowie andere Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern in einem Unternehmen hängen davon ab, wie viele Mitarbeiter dieser Betrieb hat. Diese Schwellenwerte liegen zum Beispiel bei 500 oder 2000 Beschäftigten. Künftig werden Leiharbeiter beim Ermitteln dieser Werte einbezogen - aber nicht sofort, wie zunächst vorgesehen, sondern erst nach sechs Monaten Einsatzzeit.

Worin besteht das Problem bei den neun Monaten?

50 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse dauern nicht länger als drei Monate. Die Grünen sprechen deshalb von einem "halbherzigen Schritt, der wenig bringt". Sie fordern den "gleichen Lohn ab dem ersten Tag". Nahles hätte auch mehr gewollt, sie sagt aber: "Man kann sich natürlich immer mehr wünschen, wir haben das verabredet in der Koalition, und deswegen bin ich dankbar, dass das geklappt hat."

Wie lange darf der Einsatz eines Leiharbeiters in Zukunft dauern?

Leiharbeiter dürfen in ein und demselben Betrieb nicht länger als 18 Monate arbeiten. Sollen sie dort weiter tätig sein, muss der Einsatzbetrieb sie einstellen, ansonsten müssen sie nach 18 Monaten gehen. Das soll dazu beitragen, dass Unternehmen Leiharbeiter nicht auf Dauer einsetzen, um Lohnkosten zu sparen.

Sind hier auch Ausnahmen vorgesehen?

Ja, die Tarifparteien können eine längere Verweilzeit vereinbaren, dann ist die 18-Monats-Grenze nach oben hin offen. Auch für Unternehmen, die sich nicht an Tarifverträge halten, gibt es Öffnungsklauseln. Solche Firmen können per Betriebsvereinbarung Tarifverträge sozusagen nachzeichnen. Ist darin keine Obergrenze für den Einsatz von Leiharbeitern festgelegt, steigt die Höchstüberlassungsdauer auf 24 Monate. Ist aber eine solche Grenze, zum Beispiel 48 Monate, festgeschrieben, können auch die nicht tarifgebundenen Entleiher dann Leiharbeiter über 24 Monate hinaus einsetzen.

Dürfen Arbeitgeber Leiharbeiter als Streikbrecher einsetzen?

Verdi hatte der Deutschen Post im zurückliegenden Arbeitskampf vorgeworfen, Leiharbeiter als Streikbrecher zu missbrauchen. Das wird nun verboten. Arbeitgeber dürfen Leiharbeiter nur während eines Streiks einsetzen, wenn sie "nicht (gegebenenfalls in der Kette) Aufgaben wahrnehmen, die bisher von Streikenden verrichtet wurden". So steht es im Einigungspapier.

Was passiert bei Werkverträgen?

Bei einem Werkvertrag wird eine bestimmte Arbeitsleistung (ein Werk) eingekauft, etwa der Kantinenbetrieb, IT-Dienste oder Reinigungsarbeiten, die das Unternehmen nicht selbst erledigen will oder kann. Gewerkschaften werfen den Arbeitgebern aber vor, Werkverträge verstärkt zu nutzen, um Kosten zu senken und dabei auch Scheinselbständige einzusetzen. Das Gesetz soll helfen, abhängig und selbständige Arbeit voneinander abzugrenzen und den Missbrauch zu erschweren. Deshalb erhalten Betriebsräte das Recht, über Art und Umfang der Aufgaben von Werkvertragsarbeitnehmern im eigenen Betrieb informiert zu werden.

Was sagen die Wirtschaftsverbände?

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer zeigte sich erfreut, dass die "Zeit der Unsicherheit endet". Die Unternehmen könnten mit den Regelungen leben. Er befürchtet aber, dass Leiharbeit teurer wird. Zufrieden äußerte sich auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall: Es gebe genug Freiräume für tarifvertragliche Regeln. Dies bewertet auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) positiv. Diese hatte bei der CSU auf weitere Änderungen des zweiten Entwurfs gedrungen, obwohl Nahles den Arbeitgebern bereits entgegengekommen war. Es sei gelungen, "Vorschriften, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erheblich eingeschränkt hätten, aus dem Gesetz zu streichen", sagte VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.

Sind die Gewerkschaften zufrieden?

Nicht ganz. Die Regeln bei den Werkverträgen reichten nicht aus, "um Missbrauch wirklich wirksam zu verhindern", sagt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.

Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Der Entwurf geht jetzt ins Kabinett und wird im Parlament beraten. Das Gesetz könnte am 1. Januar 2017 in Kraft treten.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: