Studium und Engagement:Drei Kreuze machen

Politik und Unis planen Korrekturen am Bachelor. Längst überfällig, sagen Studentenvertreter. Sie wollen eine neue Protestbewegung anstoßen. Warum aber lässt das Thema heute so viele Kommilitonen kalt?

Interview von Ulrike Nimz

Wenn im Hörsaal der Platz auf der Fensterbank bleibt, wenn die einzige Wahl die zwischen Auslandssemester oder Regelstudienzeit ist, wenn der Druck steigt, im Seminar und im unverzichtbaren Nebenjob - dann studierst du auf Bachelor. Übertrieben? Nicht, wenn es nach Sandro Philippi geht. Der 28-Jährige macht derzeit seinen Master in Politischer Theorie und sitzt im Vorstand des FZS, dem bundesweiten Dachverband von Studierendenvertretungen. Ein Gespräch über protestmüde Kommilitonen, Multiple-Choice-Tests und darüber, was sonst noch schiefläuft im "Elfenbeinturm" - Stichwort Bologna-Reform.

SZ: Herr Philippi, es ist noch nicht so lange her, dass Bundesbildungsministerin Johanna Wanka die deutschen Studierenden aufforderte, politisch aktiver zu werden. Wenn eine CDU-Ministerin so etwas sagt, läuft etwas schief, oder?

Sandro Philippi: Eine solche Forderung ist vor allem wohlfeil. Es waren die Bildungsminister, die die Bologna-Reform abgesegnet haben - ein verschultes System, das auf Noten- und Zeitdruck basiert und Studierenden quasi abspricht, ihren akademischen Alltag selbst zu strukturieren.

Sie sind offenbar kein Fan des Bachelor.

Was im Bachelor passiert, wird dem Begriff Bildung nicht in Ansätzen gerecht. Wer irgendwie kann, hängt einen Master dran. Die Plätze dafür sind oft begrenzt oder mit Numerus clausus versehen, sodass schon der angehende Bachelor zittern muss, ob es für ihn weitergeht. Natürlich fördern solche Strukturen angepasstes Verhalten. Alle schielen nur auf die Noten und sehen zu, dass sie in der Regelstudienzeit fertig werden. Für politisches Engagement ist da kein Platz.

Proteste in Berlin für bessere Lern- und Studienbedingungen

Deftige Ansage: Als 2009 die Studentenproteste ihren Höhepunkt erreichten, ging es um soziale Fragen wie Studiengebühren - aber auch um Verschulung von Bildung durch den Bachelor.

(Foto: Hartmut Müller-Stauffenberg/actionpress)

Man könnte es auch so ausdrücken: Seit Bologna wird weniger getrödelt, und die Studierenden bekommen regelmäßige Rückmeldungen über ihren Leistungsstand.

Notendruck und eine unrealistische Regelstudienzeit sind ja nur ein Teil des Problems. Hinzu kommt, dass viele Studiengänge nicht das halten, was im Zuge der Bologna-Reform versprochen wurde: nämlich die Vermittlung von Kompetenzen statt bloßer Fakten. Ich habe Psychologie studiert - mir sind sehr viele Multiple-Choice-Tests begegnet. Es kann keine Kompetenz sein, ein Kreuz zu setzen.

Wenn man sich die Beteiligung bei Hochschulwahlen so anschaut, mangelt es aber gerade an dieser Kompetenz. Eine Wahlbeteiligung von 20 Prozent gilt als Erfolg.

Es stimmt: Wir haben zu wenig politische Beteiligung. Aber aus einer niedrigen Wahlbeteiligung zu schließen, dass das politische Engagement unter Studierenden generell niedrig ist, halte ich für falsch. Viele Kommilitonen wollen sehr wohl zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen. Nur wollen sie das nicht in den gängigen politischen Organisationsformen ausdrücken.

Sie wollen lieber den Welthunger bekämpfen, als sich dröger Hochschulpolitik zu widmen?

Ich kenne sehr viele Kommilitonen, die sich für antirassistische Initiativen, gegen Geschlechterungleichheit und die Austeritätspolitik der EU engagieren. Und ja: Dort liegen vielleicht gerade die drängenderen Probleme, außerhalb des Elfenbeinturms.

Der Rückzug aus den Hochschulgremien war allerdings schon Mitte der 1990er-Jahre zu beobachten. Glaubt man der Statistik, hat die zeitliche Belastung mit der Einführung des Bachelors nicht zugenommen. Sie liegt stabil bei etwa 33 Stunden in der Woche.

Studium und Engagement: Empfindet die Hochschule als hierarchisches System: Sandro Philippi.

Empfindet die Hochschule als hierarchisches System: Sandro Philippi.

(Foto: oh)

Die Verschlechterung der Lage hat ja nicht nur mit der Reform zu tun, sondern auch mit den sozialen Bedingungen vieler Studierenden. Das Bafög ist lange nicht angehoben worden, und auch jetzt ist es noch immer nicht hoch genug. Wenn man ein Kind versorgen muss oder einfach nur nicht von den Eltern unterstützt werden kann, dann sind 670 Euro nicht gerade komfortabel. Dann muss man halt als Hiwi am Kopierer stehen oder in der Kneipe, um die Miete zu zahlen. Das ist auch Arbeitsbelastung.

Der Sozialwissenschaftler Peter Grottian kritisierte jüngst in der SZ die Studierenden als "mehrheitlich kreuzbrav" und ruft zu zivilem Ungehorsam auf, zum Beispiel zum kollektiven Schwarzfahren gegen die Abschaffung des Sozialtickets.

Solche Einzelaktionen gibt es. Zum Beispiel den Blog "Münkler-Watch", auf dem Studierende sich kritisch mit den Thesen des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler auseinandersetzen. Es gab in mehreren Städten Arbeitskämpfe. In Landau haben Studenten mit einem Streik den kompletten Uni-Betrieb lahmgelegt.

Von flächendeckender Bewegung kann aber keine Rede sein. Das letzte große Ereignis war der Bildungsstreik 2009. Damals waren 230 000 Schüler und Studierende in 70 Städten auf den Beinen. Was war damals anders?

Es ist schwieriger geworden, Interessen unter einen Hut zu kriegen. Bologna ging alle an. Da hat man Konservative, Liberale und Linke auf die Straße bekommen.

Heute sind Sie für "Lernfabriken meutern" aktiv. Eine Initiative, die sich unter anderem gegen mangelnde Mitbestimmungsmöglichkeiten von Studierenden richtet. Wollen Sie einen neuen Bildungsstreik anzetteln?

Ewiges Grundgrummeln

"Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!" Das war einer der Slogans 2009, bei den größten Studentenprotesten der jüngeren Geschichte. Da gab es bundesweit Demonstrationen, es wurden Hörsäle besetzt und gar Rektorate gestürmt. Im Zentrum der Kritik: Studiengebühren und die Bologna-Reform, also die Umstellung auf Bachelor und Master. Mit dem Bachelor verbunden: Leistungsdruck, viele einzelne Prüfungen, kaum Freiheiten; dafür verschulte, getaktete Stundenpläne, ein Fokus auf ökonomische Verwertbarkeit von Bildung.

Bei der Umstellung der Studiengänge hatten Fakultäten oft tatsächlich die Inhalte der Diplome und Magister in den neuen Sechs-Semester-Studiengang Bachelor gepackt. Auch hatte man bei der Umsetzung in Uni-Verwaltungen, wohl typisch deutsch, allzu viel Freude an Detailregelungen. Seit dem Protest-Knall gab es Verbesserungen; seitdem scheint sich aber auch die Mehrheit der Studenten mit der Reform abgefunden zu haben. Ewiges Grundgrummeln über die Studienbedingungen ist allerdings vernehmbar. Ungerechtigkeit wittern viele beim Zugang zum Master nach einem Bachelor. Immerhin: Studiengebühren sind Vergangenheit.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete vergangene Woche über ein Reformpapier der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusminister. Generell nehmen sich die Autoren des Papiers vor, Spielräume zu nutzen, "individuelle Lernbiografien" besser zu ermöglichen. Und in den ersten beiden Semestern soll es möglich sein, ohne Noten zu studieren, nur mit "bestanden" oder "nicht bestanden". So würden diese Teil-Leistungen nicht - wie jetzt zum Leidwesen vieler Studenten - in die Bachelor-Endnote einfließen. Johann Osel

Junge Menschen lernen die Hochschule oft als hierarchisches System kennen. Studierende sind abhängig von den Lehrenden. Die wiederum müssen die Lehre oft vernachlässigen, weil nur die Forschung Geld bringt. Mitarbeiter mit Zeitverträgen leben prekär. Wenn da zwanzig Leute auf den Tisch klettern und sagen: So geht's nicht weiter, dann bekommen eben zwanzig Leute eine schlechte Note oder die Verträge werden nicht verlängert. Es stimmt: Wir brauchen eine neue Bewegung.

Zur Auftaktkundgebung von "Lernfabriken meutern" in Hannover kamen im vergangenen Jahr etwa 250 Leute. Die anderen hatten alle Angst vor Sanktionen?

Es kostet Zeit, eine breite Öffentlichkeit zu mobilisieren. Man muss ja erst mal zu einer gemeinsamen Haltung kommen. Die Proteste von 2009 hatten mehrere Jahre Vorlauf, in denen die Missstände immer wieder benannt worden sind. Im Übrigen: 1961 erschien eine soziologische Studie über das politische Bewusstsein Frankfurter Studenten. Das Ergebnis: unpolitische Fachidioten. Dann kam die Studentenrevolte.

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