Ausstellung:Obdachlose im Porträt: Mittendrin und doch am Rand

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Die Ausstellung "Die Unsichtbaren" macht mit beeindruckenden Porträts von Berliner Wohnungslosen auch auf die Lebenssituation vieler Menschen auf Münchens Straßen aufmerksam.

Von Helena Ott

Der Unterkiefer ist leicht nach vorne geschoben, tiefe Falten, Bartstoppeln und Tränensäcke prägen das Gesicht, die weißen Haare stehen in alle Richtungen. Das beeindruckende Bild zeigt Bruno, 53 Jahre, obdachlos. Er lebt in Berlin, ist oft am Bahnhof Zoo. Dieses Porträt, eine plakatgroße Schwarz-Weiß-Fotografie, ist im S-Bahn-Bereich unterhalb des Münchner Hauptbahnhofes zu sehen. Es hängt an einer schwarzen Stellwand neben den ebenfalls einnehmenden Aufnahmen von 24 weiteren Frauen und Männern - nicht zu übersehen mitten im Gang, wenn man vor dem Kaufhaus Karstadt auf dem Bahnhofsplatz die Rolltreppe hinunter zur S-Bahn nimmt.

Das Foto gehört zur Ausstellung "Die Unsichtbaren", erarbeitet und zusammengestellt von dem Fotografen Reto Klar und der Reporterin Uta Keseling. Als an einem Wintermorgen ein Mann vor der Tür der Tageszeitung Berliner Morgenpost am Kurfürstendamm lag, wurde die Redaktion unmittelbar aufmerksam auf die vielen Menschen in der Stadt, die auf der Straße leben. "Statt der üblichen Klischeefotos mit Einkaufswagen oder heimlich von hinten im Schlafsack fotografiert, wollten wir es diesmal ganz anders machen", beschreibt Reto Klar seinen Ansatz. Also sitzen die ungewöhnlichen Fotomodelle frontal zur Kamera.

Finanziert wird die Wanderausstellung, die schon in 14 deutschen Bahnhöfen zu sehen war, von der Stiftung der Deutschen Bahn (DB). Die obdachlosen Männer und Frauen haben nun für die nächsten neun Tage einen prominenten Platz im Münchner Hauptbahnhof - und ein riesiges Publikum, denn: Gut 800 000 Menschen passierten jeden Tag das Zwischengeschoss zu den S-Bahnen, sagt Klaus-Dieter Josel, der DB-Konzernvertreter für Bayern.

Drei Wochen fotografierte und interviewte das Reporterteam Wohnungslose in der Berliner Bahnhofsmission. Klar und Keseling nennen ihre Namen und zeigen die Gesichter derer, an denen man täglich vorbei geht - fast immer, ohne sie direkt anzusehen. "Ich habe bei dem Projekt viel über die Gründe gelernt, aus denen man in Deutschland trotz der umfangreichen sozialen Hilfen obdachlos werden kann", sagt Uta Keseling. Auch Simone Slezak, eine der beiden Leiterinnen der Münchner Bahnhofmission, kennt die Ursachen dafür, dass Menschen in die Obdachlosigkeit rutschen - schwere psychische Erkrankungen, Altersarmut oder das Ende der Betreuung im Heim mit Vollendung des 18. Lebensjahres.

"München ist hart, die Menschen haben keine Euros übrig"

"Ich bin seit zehn Jahren auf der Straße, habe bei der Wohnungslosenhilfe eine Wohnung beantragt, aber bisher ist nichts passiert", berichtet Michael Andreas Goschke. Der 46-Jährige Münchner sitzt neben den Treppenstufen am nördlichen Ausgang des Bahnhofes, er schläft mal hier, mal dort: "München ist hart, es ist teuer, die Menschen haben keine Euros übrig." Und auch er hat schon mal die Dienste und die Geborgenheit auf Zeit der Bahnhofsmission an Gleis 11 in Anspruch genommen; die Mission ist rund um die Uhr geöffnet. Dort kümmern sich 150 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter um Menschen in Bedrängnis, allein im vergangenen Jahr kamen 100 000 Betroffene durch die Tür der Bahnhofsmission.

Dahinter öffnen sich ein Empfangsraum und ein langer Gang mit drei Beratungsbüros, es stehen Butterbrote und Tee bereit, die Türen zu den Beratern sind offen. Frauen in Not, die keinen Schlafplatz haben, dürfen im Aufenthaltsraum auch übernachten: "Es kommen immer mehr Frauen, denn die Münchner Frauenhäuser sind chronisch überfüllt", hat Simone Slezak beobachtet.

Noch sind die Räumlichkeiten an Gleis 11 beengt; Aussicht auf mehr Platz gibt es dann, wenn der Hauptbahnhof umgebaut wird. "Wir wollen die Fläche der Bahnhofsmission fast verdoppeln", sagt der Münchner Bahnhofsmanager Heiko Hamann. Auch Simone Slezak und ihre Co-Leiterin Bettina Spahn freuen sich darauf, größere Räume anbieten zu können, sie haben ein Hygienecenter nach Berliner Vorbild angeregt: "Duschmöglichkeiten sind für das Selbstwertgefühl der Menschen unheimlich wichtig."

Noch ist unklar, ob der Vorschlag in den Bauplänen für das neue Bahnhofsgebäude berücksichtigt wird. "Wir sind grundsätzlich nicht abgeneigt, ich habe mir von den Berliner Kollegen schon Informationen über ihren Hygienebereich schicken lassen", sagt der Münchner Bahnhofsmanager. Er will das prüfen und, falls realisierbar, in die Planung einbringen.

Die Ausstellung "Unsichtbar" ist noch bis Montag, 23. Mai, im ersten Untergeschoss des S-Bahn- Bereichs im Hauptbahnhof zu sehen.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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