Glyphosat:Glyphosat hat die große Koalition vergiftet

Landwirtschaft in Niedersachsen

Fluch oder Segen für die Landwirtschaft? Selbst auf Feldern auf denen Glyphosat nicht eingesetzt wurde, kann es in der Ernte nachgewiesen werden.

(Foto: dpa)

Nach dem SPD-Veto gegen das Pestizid ist das Vertrauen innerhalb der Regierung dahin. Wenn es keine Neuzulassung gibt, wäre das trotzdem eine gute Nachricht.

Kommentar von Markus Balser

Tatsächlich wächst da, wo Glyphosat gespritzt wird, kein Kraut mehr. Der massenhafte Einsatz des meistverkauften Pflanzengifts weltweit wird zum Fluch. Wilde Pflanzen bilden Resistenzen. Das erfordert immer größere Mengen des Unkrautvernichters. Die Böden bekommen kaum noch Zeit, das Pestizid abzubauen. Das Gift landet in Flüssen und im Grundwasser. Inzwischen lässt sich der Stoff sogar in vielen Lebensmitteln nachweisen. Für viele Menschen sind das bedrohliche Nachrichten, zumal es auch den Verdacht gibt, dass Glyphosat Krebs erregt.

Welche toxische Wirkung die Substanz entfalten kann, bekommt nun auch die große Koalition zu spüren. Das Pestizid hat das Klima zwischen Union und Sozialdemokraten vergiftet. Die SPD-Ressorts von Umweltministerin Barbara Hendricks und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatten die gemeinsame Regierungslinie überraschend in letzter Minute aufgekündigt. Kurz vor der entscheidenden Abstimmung in Brüssel in dieser Woche verkündeten sie ihr Nein zum weiteren Einsatz des umstrittenen Stoffs. Ein bereits ausgehandelter Koalitionskompromiss - Zustimmung mit Auflagen - war damit obsolet. Der Glyphosat-freundliche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und der schweigende Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wurden von den eigenen Kollegen vorgeführt.

Kritische Studien gibt es seit Monaten

Die SPD-Minister überraschten damit nicht nur den Koalitionspartner. Denn zum plötzlichen Umdenken hatten nicht etwa neue wissenschaftliche Argumente geführt. Kritische Studien liegen schon seit Monaten auf dem Tisch und hätten ein viel früheres Veto ermöglicht. Zum Umdenken führte erst eine Fraktionssitzung der Sozialdemokraten in der vergangenen Woche. Dort wuchs der Druck der Abgeordneten auf die SPD-Spitze, die Glaubwürdigkeit der Partei bei den eigenen Wählern nicht weiter mit Koalitionskompromissen zu strapazieren.

Die Volte macht deutlich: Die SPD-Minister hatten die Brisanz der eigenen Entscheidung offenbar schlicht unterschätzt. Die Kurskorrektur im Hauruck-Verfahren auf Drängen der eigenen Basis zeigt, wie nervös die SPD-Führung angesichts schwacher Umfragen agiert.

Umweltschützern dürfte die Genese der Entscheidung egal sein. Für sie zählt, dass dem umstrittenen Stoff in ganz Europa nun das Aus droht. Wenn am Donnerstag in Brüssel im zuständigen Fachausschuss abgestimmt wird, muss sich die Bundesregierung wegen des Zwists zwischen den Ministerien enthalten. Eine Mehrheit für die Neuzulassung von Glyphosat für eine weitere Dekade wird so unwahrscheinlich. Zumal die deutsche Kehrtwende Kritikern auch in anderen Ländern Europas Auftrieb geben dürfte.

In der großen Koalition stimmt die Chemie nicht mehr

Für den europäischen Gesundheits- und Verbraucherschutz ist das eine gute Nachricht. Das Krebsrisiko ist zwar nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Mehrere Studien widersprechen sich. Doch es gibt ganz andere Gründe, Glyphosat endlich aus dem Verkehr zu ziehen. Der Einsatz des Pestizids hat gravierende Folgen. Er gefährdet die biologische Vielfalt, entzieht Insekten und Vögeln die Lebensgrundlage. All das ist unstrittig. Die Entscheidung über Glyphosat ist deshalb auch eine über zukünftige Produktionsmethoden in der Landwirtschaft. So wie vieles bisher läuft, sind die Grenzen des Verantwortbaren erreicht. Das ist auch hierzulande kaum noch zu übersehen.

Die Folgen des Streits reichen weit. In der großen Koalition stimmt die Chemie nicht mehr. Das Vertrauen ist dahin. Der Ärger in der Union sitzt tief. Mehr als ein Jahr vor dem Termin im Herbst 2017 scheint der Wahlkampf zu beginnen. Und er beginnt vergiftet von Glyphosat.

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