Staatsangehörigkeit:Einbürgerungen in Deutschland: Der ganz private Brexit

Staatsangehörigkeit: Emma Jones gibt Englischkurse an der Volkshochschule.

Emma Jones gibt Englischkurse an der Volkshochschule.

(Foto: Robert Haas)
  • Am 23. Juni stimmen die Briten darüber ab, ob sie in der EU bleiben wollen.
  • Der Ausgang der Abstimmung ist vollkommen ungewiss.
  • Vielen Briten in München passt ein etwaiger Brexit gar nicht - sie beantragen darum schon einmal die deutsche Staatsbürgerschaft.

Von Katharina Kutsche

Den Einbürgerungstest hat Robert Harrison bereits bestanden, im April war das. Nun trägt er all die anderen Unterlagen zusammen, die er braucht: Der Brite, geboren in London, will Deutscher werden. Er möchte damit dem Brexit-Referendum zuvorkommen. In fünf Wochen stimmen die Briten über den Austritt aus der Europäischen Union ab, den sogenannten Brexit; der Ausgang ist offen. "Alle Punkte sind noch theoretisch", sagt Harrison über die möglichen Konsequenzen. Und er meint damit nicht nur die politischen Folgen, sondern auch die ganz konkreten für sich selbst.

Harrison hat in Oxford Halbleiterphysik studiert, seit 26 Jahren lebt er in Deutschland. Er ist geschäftsführender Gesellschafter einer Patent- und Rechtsanwaltskanzlei in München. Sie berät auch österreichische und französische Kunden und hat eine Niederlassung in Frankreich, deren Geschäftsführer ebenfalls Harrison ist. "Mir geht es um meine freie Berufsausübung", sagt der 56-Jährige.

Träte Großbritannien aus der EU aus, könnten Briten, die in anderen EU-Ländern leben, ihre Privilegien verlieren, etwa die Reisefreiheit oder die Freizügigkeit für Arbeitnehmer. Im schlimmsten Fall bräuchte er dann für Geschäftstermine in Frankreich und Österreich eine Arbeitserlaubnis, befürchtet Harrison.

Knapp 6000 Briten lebten Ende 2015 allein in der Stadt München. Das Referendum beschäftigt sie, die Sorgen über den Ausgang sind ein großes Thema in Harrisons Freundeskreis. Und immer mehr Briten entscheiden sich offenbar dafür, die deutsche Staatsbürgerschaft haben zu wollen. In diesem Jahr wurden in München bereits 20 Einbürgerungen ausgesprochen, weitere 29 Anträge sind im Kreisverwaltungsreferat in Bearbeitung. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 gab es insgesamt 20 Einbürgerungen, 2014 nur sieben.

Auch Emma Jones, 44, stellt gerade alle Unterlagen für ihren Einbürgerungsantrag zusammen. Die Sprachlehrerin lebt seit 2004 in Bayern und unterrichtet Englisch an der Münchner Volkshochschule. "Den Einbürgerungstest habe ich schon gemacht, ich warte nur noch auf meinen Mann", sagt Jones. Der ist ebenfalls Brite, gemeinsam lebt das Paar im Kreis Pfaffenhofen und hat dort ein Haus gekauft.

Nach einem Austritt könnten viele Probleme auftreten

Sollte das Vereinigte Königreich nicht mehr zur EU gehören, würde vieles schwieriger, befürchtet Jones, etwa der Rentenbezug: "Ich habe Rentenansprüche aus Großbritannien und zahle außerdem hier in die Rentenversicherung ein." Das gilt auch für ihren Mann. Eine weitere Sorge: "Meine Eltern werden immer älter"; sie nach Deutschland zu holen, wenn sie betreut werden müssten, könnte kompliziert werden.

Was genau ein Brexit bedeutet und ob die Folgen weniger dramatisch wären, wenn Jones Deutsche wäre, ist völlig unklar. Aber sie treiben, wie offenbar viele Briten in München, zumindest diffuse Ängste um. Denn die Auswirkungen eines Brexits werden derzeit vor allem mit Blick auf Politik und Wirtschaft diskutiert, auf Investitionen, Binnenmarkt und Handel. Nicht aber mit Blick auf die privaten Probleme. Schon zweimal hat Robert Harrison deshalb einen Info-Abend für hier lebende Briten organisiert, zuletzt am Montag der vergangenen Woche im Hacker-Pschorr Bräuhaus. Von Paul Heardman, dem Generalkonsul in München, wollten sie da zumindest ein paar Antworten bekommen, auch wenn vieles noch völlig unabsehbar ist.

Am liebsten wäre vielen die doppelte Staatsbürgerschaft

Harrison jedenfalls hofft, dass das Vereinigte Königreich EU-Mitglied bleibt. Sollte sich das ändern, muss er sich zumindest um seinen Aufenthaltstitel und die Arbeitsgenehmigung hier in Deutschland keine Sorgen machen: Er ist mit einer Deutschen verheiratet, die zwei gemeinsamen Kinder haben die deutsche und die britische Staatsangehörigkeit. Selbst abstimmen darf Harrison am 23. Juni nicht; wer länger als 15 Jahre außerhalb Großbritanniens lebt, verliert sein Wahlrecht.

Emma Jones hingegen wird beim Referendum ihre Stimme abgeben - gegen den EU-Austritt. Sie hat nach eigenem Bekunden "Angst, dass viele Leute nicht wählen gehen" und damit eine Minderheit darüber entscheidet, wie es mit Großbritanniens weitergeht. Jones hofft, dass sie bis Ende Juni alle Unterlagen für die Einbürgerung zusammen hat und ihren Antrag im Landratsamt Pfaffenhofen einreichen kann.

Eine Art privater Brexit quasi, den sie aber nicht ganz vollziehen will. "Für mich ist wichtig, dass ich meinen britischen Pass behalten kann", sagt Jones, das hänge "irgendwie mit Identität" zusammen. Genau wie Harrison wünscht sie sich eine doppelte Staatsbürgerschaft.

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