Krisenkommunikation:"Ich muss Ihnen eine traurige Nachricht überbringen"

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Die meisten psychologischen Helfer, die nach einer Katastrophe zum Einsatz kommen, haben sich in Eigeninitiative darauf vorbereitet.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Polizisten, Rettungskräfte, Notfallmediziner: In manchen Berufsgruppen gehört es dazu, Angehörige über den Tod eines Menschen zu informieren.
  • Wer sich jedoch gezielt in "psychischer Erster Hilfe" weiterbilden will, muss das meist auf eigene Faust tun.

Von Anne-Ev Ustorf

Es klingelt an der Tür, draußen stehen zwei Polizisten. "Dürfen wir hereinkommen?", fragt einer, "wir müssen Ihnen eine traurige Nachricht überbringen." Im Kopf beginnt es sofort zu rattern: Wo sind die Kinder, wo der Partner? Allein die Vorstellung ist kaum zu ertragen, und doch passiert es immer wieder. Ein Verkehrsunfall, ein Terroranschlag, eine plötzliche Herzattacke kann Menschen unerwartet aus dem Leben reißen. Nicht nur für die Angehörigen ist das ein Moment, der das Leben nachhaltig verändert. Auch für die Überbringer der Botschaft ist die Situation schwer auszuhalten.

Doch Angehörige bestimmter Berufsgruppen müssen damit rechnen, dass sie immer wieder schwierige Botschaften überbringen werden. Polizisten etwa, die nach Rettungseinsätzen die Familien von Verletzten oder Verstorbenen benachrichtigen. Stirbt ein Mensch außerhalb seiner Wohnung, wird in Deutschland automatisch die Polizei benachrichtigt. Oder Notfallmediziner und Rettungssanitäter, die bei Einsätzen am Unfallort häufig die Familienmitglieder informieren müssen. Auch Personalchefs können betroffen sein, etwa im riskanten Baugewerbe, wo Arbeitsunfälle keine Seltenheit sind. Oder wenn sie Kündigungen aussprechen müssen.

All diese Berufsgruppen stehen vor der Herausforderung, den Angehörigen behutsam, sensibel und dennoch klar die Nachricht zu überbringen. Dabei haben sie streng genommen gar keine Ausbildung dafür: Die sogenannte psychische Erste Hilfe ist in keinem Aus- oder Weiterbildungscurriculum festgeschrieben und einheitlich geregelt. Wer sich darin fortbilden möchte, muss dies meistens auf eigene Initiative tun, bei karitativen Einrichtungen, Notrettungs- und Hilfsdiensten.

"Psychologie, mit einer Prise Medizin"

Franziska Lipka arbeitet seit 15 Jahren am Zentrum für Anästhesie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg. Als Notärztin ist sie mehrmals die Woche im Notarztwagen unterwegs oder versorgt Patienten auf der Intensivstation. Verkehrsunfälle, Herzinfarkte, Schlägereien gehören zu ihrem Berufsalltag. Die emotionale Unterstützung der Patienten und Angehörigen in kritischen Situationen sei mindestens genauso wichtig wie die rein medizinische Behandlung, erklärt die Ärztin. Ihre Arbeit sei "Psychologie, mit einer Prise Medizin".

Doch auch Lipka hat die Kommunikation mit schwer kranken Patienten und ihren Angehörigen nicht in der Ausbildung, sondern erst durch die jahrelange Erfahrung in Klinik und Krankenwagen gelernt. Heute mache ihr der Umgang mit Todesfällen deshalb keine Angst mehr. "Ich finde es wichtig, immer ehrlich mit den Angehörigen zu sprechen und dabei kein medizinisches Fachvokabular zu benutzen", sagt die 42-Jährige. "Was ich sage, muss klar verständlich sein." Wenn jemand bei einem Einsatz stirbt, nehme sie die Angehörigen auch manchmal in den Arm. "Ich bleibe in jedem Fall immer, bis sie einen weiteren Verwandten oder Freund erreichen konnten oder die Polizei kommt."

Oft gehe es auch darum, Schuldgefühle der Angehörigen zu entkräften. Viele denken, sie hätten die Erkrankung ihres Partners bemerken oder besser helfen müssen. "Dann lasse ich mit den Angehörigen noch mal die letzten Tage Revue passieren", sagt Lipka. "Dabei stellen wir oft fest, dass viele der Patienten unbewusst spürten, dass es zu Ende geht. Sie bereiteten sich drauf vor, brachten ihrer Frau noch mal Blumen mit, luden ihre Freunde zum Essen ein, verabschiedeten sich irgendwie. Hört sich verrückt an, ist aber so. Das zu erkennen hilft auch, Schuldgefühle zu nehmen."

Eine Art Handlungsanleitung für schwierige Momente

Doch nicht alle Rettungskräfte sind - wie Franziska Lipka - intuitiv in der Lage, in der belastenden Situation das Richtige zu tun. Der Psychologieprofessor Frank Lasogga von der Technischen Universität Dortmund begründete Ende der 1980er-Jahre mit seinem Kollegen Bernd Gasch das Fachgebiet der Notfallpsychologie in Deutschland, mit dem Ziel, Rettungskräften und Laienhelfern Tipps für den Ernstfall an die Hand zu geben. "Wir waren beide kurz zuvor in Situationen geraten, wo wir Ersthelfer bei Unfällen waren", erzählt Lasogga. "Und obwohl wir Psychotherapeuten waren, hätten wir uns gewünscht, eine Art Handlungsanleitung für diese schwierigen Momente zu haben. Wir gingen zur Polizei, aber auch die sagten: Dazu haben wir nichts gelernt."

Also entwickelten die beiden Psychologen in Absprache mit professionellen Helfern und Betroffenen einen notfallpsychologischen Leitfaden, eine Anleitung für die Kommunikation mit Schwerverletzten, Gewaltopfern und den Angehörigen unvermittelt Verstorbener. Gerade in letzterem Falle sollten die Überbringer der Todesnachricht mit vielfältigen Reaktionen wie Weinen, Schock oder auch Apathie rechnen, sagt der Psychologieprofessor.

"Umso wichtiger ist, dass Überbringer von Todesnachrichten bestimmte Regeln beherzigen: Sie sollten sich unbedingt mit Namen vorstellen und die Institution benennen, von der sie kommen. Und sich vergewissern, dass sie es mit der richtigen Person zu tun haben", sagt Lasogga. "Wenn sie eintreten dürfen, sollten sie in kurzen, einfachen Sätzen eindeutig von 'Tod' oder 'verstorben' sprechen." Anschließend sollten die Helfer vor Ort bleiben und den Empfängern Zeit geben, das Gehörte zu verarbeiten, aktiv zuhören, gegebenenfalls Fragen beantworten oder anderweitige Hilfe anbieten. "Bei der Notfallpsychologie geht es ja nicht nur um die psychische Erste Hilfe, sondern auch um die Prävention - also darum, eine akute Belastungsreaktion oder posttraumatische Belastungsstörung bei den Betroffenen zu verhindern."

"Ich kann durch meinen Beruf mein Leben viel mehr wertschätzen"

Ob angehende Polizisten, Ärzte, Rettungssanitäter oder auch Personalchefs die Regeln der Notfallpsychologie erlernen, hängt überwiegend vom individuellen Engagement ihrer Ausbilder oder ihrer Eigeninitiative ab. Verpflichtend ist gar nichts, die Bundesländer organisieren ihre Notarzt- und Polizeiausbildungen sowie die Rettungsdienstleitstellen unterschiedlich. In vielen Gegenden Deutschlands unterstützen mittlerweile ehrenamtliche Helfer des Kriseninterventionsteams des Deutschen Roten Kreuzes die Beamten - eine gute Entwicklung, um die professionellen Helfer zu entlasten, die ja oft nach kurzer Zeit wieder los müssen, zum nächsten Einsatz.

Notärztin Franziska Lipka liebt ihren Job dennoch, trotz aller traurigen Momente. "Es gibt viele schöne Einsätze", sagt sie. "Und ich kann durch meinen Beruf mein Leben viel mehr wertschätzen. Ich weiß, es könnte jeden Moment alles vorbei sein. Seitdem genieße ich jeden Tag bewusster."

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